Die "gelbe Gefahr"
Die Taliban verordnen eine gelbe Markierung für die Hindu-Minderheit
Nach dem unrühmlichen Bildersturm auf eine andere Kultur, der radikalen Vernichtung der Buddhastatuen in Bamiyan, haben die Taliban sich nun zwei Monate später auf eine verwandte Technik der Menschenverachtung besonnen: die Zwangskennzeichnung Andersgläubiger. Die Hindu-Minderheit soll in Brusthöhe auf der Kleidung gelb markiert werden. Allein die Sikhs sind davon ausgenommen, da diese Religionsangehörigen sich durch ihre Turbanform schon selbst als Andersgläubige outen. Ausländer sind auch nicht betroffen, weil die prügelnde Sittenpolizei vermutlich hier auch keine Zuordnungsprobleme hat. Uno-Generalsekretär Kofi Annan sowie Vertreter westlicher Staaten und selbst das nach Kasten differenzierende Indien haben die Diskriminierung aufs Schärfste verurteilt.
Gelb ist – jenseits seiner positiven Bedeutungszuschreibungen - eine höchst gefährliche, historisch brisante Signalfarbe: Zwietracht, Neid, Gefahrenalarm konturieren ihre Semantik und Wilhelm II. hatte auch seine schlechten Gründe, von der "gelben Gefahr" eines unheimlichen Ostens zu palavern. Die nun empörte Weltöffentlichkeit verweist sinnfällig auf den "Judenstern", der seinen frühen Vorläufer etwa im "gelben Ring" fand. Auf den päpstlichen Befehl Innozenz III. (4. Laterankonzil 1215) hin, dass Juden und Sarazenen eine eigene Tracht zu tragen hätten, wurde im Mittelalter der gelbe Ring nebst dem spitzen Hut als herabsetzende Kennzeichnung der Juden eingeführt. Die Nazis haben die ins Auge springende Ausgrenzung nicht erfunden, aber in aller machtbürokratischen Perfidie aufs Extrem der Menschenverachtung getrieben.
Warum kennzeichnen Menschen andere? Wer identitätsschwach ist, benötigt äußere Kennzeichen, um die Welt für sich begreifbar, unterscheidbar, normierbar zu machen. Wer andere Menschen zwangsweise kennzeichnet, will ihnen die personale Identität rauben, generalisiert sie zu Unpersonen, um sich selbst darüber zu identifizieren. So entstand im Mittelalter etwa das ikonografische Stereotyp des hässlichen Juden, dessen äußerer Hässlichkeit die innere des "Christusmörders" korrespondieren sollte (Vgl. Nachum T. Gidal, Die Juden in Deutschland, Köln 1997, S. 43 ff.) und bis hin zu den Zerrbildern des "Stürmers" reicht. Gefangene wurden in der Vergangenheit zwangstätowiert, zu Nummern abgestempelt, in der Ecole militaire des 18. Jahrhunderts herrschten farbige Kennzeichnungszwänge, um die "Guten" von den "Schlechten" zu trennen. In den Konzentrationslagern der Nazis wurden farbige Winkel zu Repressionsinstrumenten einer negativen Hierarchie, die die Ausgegrenzten weiter differenzierte, um sie selbst im Leiden noch zu entsolidarisieren. Zuvor hatten die Taliban schon aus der Angst vor dem weiblichen Körper ihre Frauen gesichts- und körperlos gemacht, nun folgt in ideologischer Konsequenz die Austreibung fremder Individualität.
Der Versuch ist vor allem geeignet, die Integrationsnotwendigkeiten eines Gemeinwesens zu untergraben. Wer nur das Eigene gelten lässt, wird bald nichts Eigenes mehr besitzen. Fremdenhass ist verdrängter Selbsthass. Und vielleicht ist der psychologische Schluss nicht allzu kühn, dass der Wille zur Selbstvernichtung die letzte Triebfeder ist, das Fremde gnadenlos auszugrenzen. Die Abspaltung lässt zuletzt nichts Eigenes mehr zu, weil in einer Orwell-Welt immer neue Gründe gefunden werden, warum einige Mitglieder immer noch gleicher sind als andere, bis schließlich keiner mehr übrig bleibt. Die religiösen, politischen, weltanschaulichen Motive sind dagegen historisch wie gegenwärtig so wohlfeil wie beliebig. Auch die nun verlautete Rhetorik einiger Taliban-Funktionäre, die Hindus hätten selbst die Initiative zur Kennzeichnung gehabt, passt zum zynischen Arsenal der religiösen Fanatiker, da die Verordnung eine Pflicht dekretiert, der im Fall des Verstoßes Sanktionen folgen werden. Hinter der Kennzeichnung lauert die Vernichtung.
Die Taliban gehören nicht zur - ohnehin fragilen - Völkergemeinschaft, weil ihnen der Begriff der Gemeinschaft nur als selbst verordnete Zwangsgemeinschaft geläufig ist. Als Abwehr gegen eine komplexe Welt kennzeichnen sie andere, uniformieren andere, und bleiben doch unter ihren Turbanen und Bärten uniform und gesichtslos. Sollten sich nicht bald die gemäßigten Taliban gegen die fortschreitende Selbst- und Fremdausgrenzung in Afghanistan durchsetzen, braucht es nicht viele Seherfähigkeiten, um den Taliban eine höchst begrenzte Zukunft zu bescheinigen.