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Die ignorierten Klimaängste der Jugendlichen und das Versagen der Mächtigen

Jutta Blume

ClimateStrike Rally, 2019, in den USA. Bild: US-Regierung / Public Domain

Energie und Klima – kompakt: Die Klimakrise eskaliert weiter. Eine Mehrheit der Jugendlichen ist deswegen tief besorgt, wie eine Umfrage zeigt. Was die Ängste wirklich antreibt.

Wie berichtet, gefährden in verschiedenen Weltregionen starke Hitzewellen die Gesundheit der Menschen. Andernorts führten Starkregenfälle zu zerstörerischen Überschwemmungen.

So starben im Norden Indiens am vergangenen Wochenende über 20 Menschen infolge des heftigen Monsunregens. Besonders betroffen war unter anderem der Bundesstaat Himachal Pradesh, wo stellenweise an einem Tag so viel Regen fiel wie sonst in einem Monat.

In Japan fielen den stärksten jemals verzeichneten Regenfällen mindestens sechs Menschen zum Opfer. In der Stadt Kurume gingen 402 Millimeter Regen in nur 24 Stunden nieder. Die Niederschläge in Japan führten zu Überschwemmungen und Erdrutschen.

Erdrutsche gab es auch im Nordosten der USA, wo beispielsweise im Hudson Valley ganze Straßenabschnitte wegbrachen. Und auch in verschiedenen Regionen Spaniens ergossen sich vergangene Woche innerhalb kurzer Zeit große Wassermassen. Auf Videos aus der nordspanischen Stadt Saragossa war zu sehen, wie Autos durch die Straßen gespült wurden, die sich in reißende Flüsse verwandelt hatten und sich Menschen verzweifelt an Autodächern festhielten.

Die extrem hohen Temperaturen auf der Erde – sowohl in der Luft als auch an der Meeresoberfläche – sorgen dafür, dass mehr Wasser verdunstet und die Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, sodass Regenwolken immer größere Wassermengen mit sich bringen können.

Die Bilder der Zerstörung und vor allem die Plötzlichkeit solcher Überschwemmungen sind durchaus beängstigend, und so ist es nicht verwunderlich, dass laut einer aktuellen Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen weltweit die Mehrheit angab, sich wegen des Klimawandels Sorgen zu machen.

Für die in The Lancet veröffentlichte und von Avaaz finanzierte Studie [1] wurden 10.000 junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren in zehn verschiedenen Ländern befragt. Jeweils 1000 Teilnehmende kamen aus Australien, Brasilien, Finnland, Frankreich, Indien, Nigeria, den Philippinen, Portugal, Großbritannien und den USA.

59 Prozent gaben an, sich große oder extreme Sorgen zu machen, insgesamt 84 Prozent waren zu einem gewissen Grad besorgt. Die Wahrnehmung der Klimakrise geht für die jungen Menschen mit unterschiedlichen belastenden Emotionen einher.

Sie berichteten von Sorge, Angst, Wut, Trauer, Verzweiflung, Scham und Schuldgefühlen. Diese Gefühle seien nicht als Ausdruck psychischer Krankheit zu verstehen. Der ständige psychische Stress, dem die jungen Menschen durch die Klimakrise ausgesetzt sind, stelle aber eine Gefahr für ihre psychische Gesundheit dar, so die Autor:innen.

Der Klimawandel und wetterbedingte Katastrophen haben vielfältige Auswirkungen, sowohl direkte (z. B. Zerstörung und Trauma) als auch indirekte (z. B. Überlastung persönlicher und öffentlicher Ressourcen, Zerstörung funktionierender Gemeinschaften), und führen auch zu Klimaangst. Kinder und Jugendliche sind daher mit zahlreichen Stressfaktoren konfrontiert, haben aber nur wenige Ressourcen, um diese abzumildern oder zu vermeiden,

… heißt es in der Studie.

Und was tun die Regierungen?

Die negativen Gefühle würden allerdings durch die Erfahrung verstärkt, dass Erwachsene nicht adäquat handeln, um der Klimakrise zu begegnen. Dies führe zu Verwirrung, und dem Gefühl, verlassen und verraten zu werden.

Die Teilnehmenden wurden auch dazu befragt, ob die Regierung ihres Landes oder die Regierungen anderer Länder ihre Sorgen bezüglich der Klimakrise ernst nehmen würden. 63,8 Prozent aller Befragten beantworteten dies klar mit Nein, nur 30 Prozent fühlten sich ausreichend ernst genommen.

Das Nein überwog dabei in allen zehn Ländern. Fast genauso fielen die Umfragewerte dazu aus, ob die Regierungen genug tun würden, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Ebenso fühlte sich die Mehrheit in allen Ländern von ihren Regierungen verraten.

45 Prozent gaben an, durch die Klimaängste in ihrem alltäglichen Leben beeinträchtigt zu sein, wobei hier deutliche Unterschiede zwischen den reicheren und den ärmeren Ländern herrschten. In Indien und Nigeria berichteten 74 Prozent von Beeinträchtigungen, auf den Philippinen 66 Prozent.

Die Autor:innen der Studie räumen ein, dass durch das Format der Online-Befragung und zum Teil durch die Notwendigkeit von Englischkenntnissen nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Zugang hatten. Außerdem gäbe es bislang keine standardisierten Methoden, um das Ausmaß von Klimaangst zu erfassen.

Dennoch stelle die Studie durch die große Zahl der Teilnehmenden und die globale Reichweite einen guten Anfang dar, um "das globale Ausmaß der psychologischen Auswirkungen des Klimawandels und der unzureichenden staatlichen Maßnahmen auf junge Menschen zu quantifizieren".

Das wichtigste und erschreckendste Ergebnis mag darin liegen, welchen psychologischen Schaden Erwachsene und speziell Regierende den jungen Menschen durch ihr Nichthandeln zufügen.

Die Klimaangst von Kindern und Jugendlichen sollte also nicht nur als Folge einer Umweltkatastrophe betrachtet werden, sondern auch als Folge des Versagens der Mächtigen (in diesem Fall der Regierungen), gegen die Bedrohungen vorzugehen. Unsere Ergebnisse stimmen mit diesem Argument überein und untermauern zusammen mit den bereits vorhandenen Erkenntnissen die These, dass die Klimasorgen bei Kindern und Jugendlichen als Ungerechtigkeit und moralische Verletzung angesehen werden können,

… heißt es in den Schlussfolgerungen der Studie.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9214245

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(21)00278-3/fulltext#%20