Die jetzt 50-Jährigen sind kränker als vorhergehende Generationen
Nach einer Studie von US-Wissenschaftlern könnte der Gipfel der kontinuierlich steigenden Lebenserwartung bereits überschritten sein
In den letzten Jahren wurden wir stets mit den Voraussagen konfrontiert, dass die Menschen immer älter werden. Seit Jahrzehnten steigt die Lebenserwartung bei Männern und Frauen kontinuierlich an: bei 1963 geborenen Frauen lag sie bei 73 Jahren (Männer: 68), heute liegt sie bei 81,5 (75,9) Jahren. Zusammen mit der sinkenden Geburtenrate wird deshalb behauptet, dass allein die demographische Entwicklung die sozialen Sicherungssysteme zusammenbrechen lasse, weswegen sie umgebaut werden müssten. Nach einer Studie von US-Wissenschaftlern könnten solche Hochrechnungen jedoch in die Irre gehen, da möglicherweise der Gipfel der Lebenserwartung bald erreicht oder überschritten werden und die nächste Generation der Alten schon weniger gesund sein könnte.
Wirklich in die Zukunft sehen lässt sich natürlich nicht, doch Wissenschaftler von der University of Pennsylvania und der Carleton University haben, wie sie in Cross-Cohort Differences in Health on the Verge of Retirement (Ende 2006 zuerst online erscheinen, jetzt in National Bureau of Economic Research erscheinen) beschreiben, umfangreiche, landesweit erhobene Daten von Selbstberichten von Menschen über ihren Gesundheitszustand aus verschiedenen Altersjahrgängen miteinander verglichen. Die Daten wurden beginnend mit dem Jahr 1992 von mehr als 20.000 US-Amerikanern erhoben, die zu Beginn zwischen 51 und 56 Jahre alt waren. Die ausführlichen Befragungen wurden alle zwei Jahre wiederholt.
Befragt wurden drei Jahrgänge, nämlich Angehörige der Geburtsjahrgänge (und ihre Ehegatten) von 1936-41 (jetzt 66-71 Jahre alt), von 1942-47 (jetzt 60-65) und von 1948-53 (jetzt 54-59). Letztere gehören der Generation der "Baby Boomer" an, also der geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge, die nun bald in das Rentenalter eintreten werden. Die "Baby Boomer" seien bereits wie ein Tsunami über die Bildungsinstitutionen hereingebrochen, hätten dann den Arbeits- und Heiratsmarkt überflutet und würden nun mit ebenso großen Veränderungen ins Pensionsalter eintreten. Um zu antizipieren, welche Folgen das haben könnte, wurden die älteren Kohorten auch jeweils im gleichen Alter befragt, wie sie ihren Gesundheitszustand beurteilen, ob sie Probleme mit der Beweglichkeit haben oder unter Schmerzen leiden, so dass vergleichbare Daten vorliegen.
Nach den Ergebnissen sieht es so aus, als würde die kontinuierliche Verbesserung der körperlichen Verfassung, die Hauptursache für ein längeres Leben ist, mit der Generation der Baby Boomer bereits an ihr Ende gekommen sein (was allerdings auch dann nichts über die Situation der nachfolgenden Generationen aussagt, auch wenn hier bereits vor zunehmender Verfettung und den damit einhergehenden Gesundheitsrisiken gewarnt wird). Nach den Selbstaussagen sind die jetzt Fünfzigjährigen in schlechterer gesundheitlicher Verfassung, haben sie mehr Schmerzen und auch mehr Probleme, die körperlichen Alltagsaufgaben zu bewältigen, als die vorhergehenden Jahrgänge. Sie haben zudem mehr chronische Leiden, psychische Krankheiten und Alkoholprobleme.
Wie "objektiv" Selbstbeurteilungen sind, ist hier natürlich der Pferdefuß. Vielleicht sprechen die "Jüngeren" auch nur eher ihre Probleme an, möglicherweise haben sie auch andere Erwartungen an den Gesundheitszustand, weswegen sie ihn als schlimmer beurteilen als die Jahrgänge, die kurz vor und während des Zweiten Weltkriegs geboren wurden. Die ganze Maschinerie des Gesundheitssystems könnte höhere Normen und eine höhere Aufmerksamkeit auf das produzieren, was "nicht in Ordnung" ist oder anders sein könnte. Dazu kommen andere Veränderungen. So sind die Baby Boomer-Jahrgänge weniger "weiß", aber gebildeter, die Zahl der verheirateten oder in Partnerschaften lebenden Menschen ist gesunken. Sie haben auch eher das Glück oder das Risiko, dass vor allem ihre Mütter, aber auch ihre Väter noch leben, wenn sie schon 50 Jahre alt sind. Und sie sagen auch eher, dass ihre Kindheit gut war.
Nach den Auswertungen scheint es so zu sein, dass die Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands nicht erst mit den Baby Boomern, sondern bereits Ende der 40er Jahre begonnen hat. Die Wissenschaftler sprechen von einer "Erosion der Gesundheit der Menschen im mittleren Alter in den USA". Sie haben nicht nur mehr Probleme bei der Bewältigung von körperlichen Tätigkeiten wie dem Treppensteigen, dem Knien oder dem Aufstehen von einem Stuhl, sondern mehr Angehörige dieser Altersgruppe berichten von Schmerzen, chronischen Krankheiten, psychiatrischen und Alkoholproblemen.
Die jetzt 50-Jährigen könnten also, wenn die Ergebnisse der Studie zutreffen und wenn sie auch für andere westliche Länder gültig wären, schon kränker ins Rentenalter als die vorhergehenden Jahrgänge eintreten. Bei den über 65-Jährigen konnte ein Rückgang der Behinderungen v on 26,5 Prozent im Jahr 1982 auf 19 Prozent 2004/2005 festgestellt werden. Eine Umkehrung dieses Trends könnte bedeuten, dass die Kosten für das Gesundheitssystem stärker steigen, als bislang angenommen, es könnte aber auch heißen, dass die Lebenserwartung zurückgeht und daher die Renten- und Gesundheitssysteme gegenüber den auf Hochrechnungen beruhenden Voraussagen entlastet werden.