Die neue Freiheit der Grünen

Seite 3: Was heißt liberal? Und was heißt links?

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Man muss nur weit genug links stehen, dann erscheint einem alles als rechts: Willy Brandt, Egon Bahr, Joschka Fischer, Jürgen Trittin und nun auch Annalena Baerbock und Robert Habeck, die neue Doppel-Spitze der Bündnisgrünen. Um die Frage, was links sei, ging es viel auf der dritten Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen binnen eine Jahres.

In einem engagierten Statement machte Hans-Christian Ströbele klar, dass die Grünen eine linke Partei sind.

Sie gehören meiner Auffassung nach klar ins linke Lager, haben da große Aufgaben und das bedeutet: Sie müssen auf die sozialen Fragen konkrete Antworten geben. Das haben wir übrigens immer gemacht. Dieses Gerede davon, 'es gibt keine Lager mehr, es gibt keinen linken Flügel mehr' - damit kann ich auch nichts anfangen.

Hans-Christian Ströbele

Die Vorstellung bei den Grünen hätten Linke vs Realos gestanden, war schon früher eine Vereinfachung von außen. Tatsächlich hat die Partei viele Flügel, sie profitiert von der Rechtsverschiebung der FDP wie vom, Zerbersten der Piratenpartei und entwickelt sich hin zu einer größeren Mitte Links Bewegung, ja zur größten Mitte-Links-Kraft.

Viel eher ist bei manchen Kritikern eine "Furcht vor der Freiheit" (Erich Fromm) zu erkennen, die Angst, soziales und freiheitliches Denken könnten sich tatsächlich versöhnen lassen.

Die Lage der Grünen

Erkennbar ist somit: In einem Moment, in dem die anderen Parteien händeringend ihre Zukunft suchen, wie gelähmt wirken, entwickeln die Grünen neue Stärken und Ideen. Sie bringen sich ganz neu in Bewegung. Die geplatzten Jamaika-Sondierungen könnten sich für die Grünen als politischer Jungbrunnen erweisen.

Die Grünen lösen sich aus der Starre alter Schablonen und zeigen eine neue Harmonie. Bemerkenswert ist die Geschlossenheit der Partei, die sich in den Jamaika-Sondierungen bewährt hat. Statt wieder in alte Rituale zurückfallen oder in Selbstmitleid, erweisen sich die Grünen als die letzte handlungsfähige progressive linke Partei.

Die Partei der Grünen ist weit mehr als nur das Führungsduo. Fraktionschef Anton Hofreiter verwandelt Grünen-Parteitage regelmäßig für ein paar Minuten in ein bayerisches Bierzelt: "In Bayern haben wir die ganz große Chance, eine Partei, die davon schwafelt dass eine konservative Revolution notwendig wäre, in die Opposition zu schicken, dass sie lernt, über bestimmte Dinge nachzudenken. Wenn es dann immer heißt, man müsse Verständnis haben - dann stehen wir als einzige Partei wirklich ganz klar und hart gegen die Hetzer von rechts." - das tut der Seele gut.

Katrin Göring-Eckardt (die von der Bienenrettung) verkündete "das Jahr der wild Entschlossenen". Für Cem Özdemir, der als Längster überhaupt die Partei geführt hat, gibt es zurzeit keinen neuen Job. Auf mittlere Sicht dürfte noch die Kretschmann-Nachfolge in Stuttgart oder ein Ministerposten im Bund winken.

Die Europaabgeordnete Ska Keller ist inhaltlich gut, aber in ihren öffentlichen Statements etwas schlicht und gern mal populistisch. Der Außenpolitiker Omid Nouripour sorgt für Substanz. Beide gehören dem Parteirat an. Bemerkenswert war in Hannover noch die Wahl der erst 24-jährigen Jamila Schäfer, Ex-Sprecherin der "Grünen Jugend", in den Bundesvorstand - nach einer energischen, trotzdem pragmatischen Rede.

In ihrem Bewerbungsschreiben plädiert Schäfer für "Feindanalyse" bei der neuen Rechten und skizziert das Modell einer "Bewegungspartei":

Bewegung findet heute auf der Straße, im Hambacher Forst und im Netz statt, mit einer Sprache, die auch Menschen verstehen, die nicht gerade vom Marx-Lesekreis kommen. Bewegungspartei funktioniert international und emotional, aktivistisch und emanzipatorisch.

Jamila Schäfer

"Wir haben noch keine österreichischen Verhältnisse, aber sie sind greifbar"

Und dann war da noch der leidenschaftliche Auftritt der Medizinerin Paula Louise Piechotta aus Leipzig, der mit den Worten begann: "Gleich als Vorwarnung: Es geht jetzt mal ganz kurz nicht um Robert" und dann den Auftritt der rechtsradikalen Legida mit dem Verhalten mancher Grüner verknüpfte.

120 50-jährige grölende Typen stehen dann vor uns dann zeigen sie Dir gestikulierend, wie sie Dir die Kehle durchschneiden und dich vergewaltigen wollen. Es war ein verdammt beschissenes Gefühl. Es war aber ein noch beschisseneres Gefühl, sich von Grünen aus glücklicheren Bundesländern sagen lassen zu müssen, dass man Sachsen einfach abschreiben müsse.

Was wollt ihr denn da abschreiben? Wollt ihr da die Minderheit der Sorben abschreiben? Wollt ihr linke Kommunalpolitiker abschreiben, die jetzt aus Sachsen wegziehen, weil ihr Auto einmal zu oft angezündet wurde. Wir haben noch keine österreichischen Verhältnisse, aber sie sind greifbar. Und gerade wir fühlen uns als Generation die eigentlich nur noch darum kämpfen darf, den Status Quo zu erhalten.

Paula Louise Piechotta

In der augenblicklichen Situation des Endes der Kanzlerin Merkel, in der eine "Große Koalition" droht, deren einzige Größe in ihrer Ambitionslosigkeit liegt, ist vieles möglich. "Die FDP von heute ist eine rechte bürgerliche Protestpartei. Sie will nicht gestalten. Sie ist die Stimme der rechten Elite", machte Ex-Minister Jürgen Trittin am Rande des Parteitags die Lage klar. Wo stehen da die Grünen?

Emmanuel Macron hat endlich mal eine Idee und progressiven Schwung in die Europa-Politik gebracht. Was werden die Grünen antworten?

Was wird passieren, wenn die "Große Koalition" doch nicht zustande kommt? Wird Deutschland weiter im Wartezimmer sitzen? Die Grünen haben sich jedenfalls vom alten Tugendterror ein ganzes Stück verabschiedet, und verkörpern neuen Hedonismus eines schönen Lebens für alle. Das ist ein Anfang. Wie das Vertrauen in Baerbock/Habeck statt Misstrauen.