Die öden Feiern der Taliban und die Regierung dürften die Afghanen nicht lange begeistern
Der Rückfall in die puristische Religion mit dem Bilder-, Musik- und Tanzverbot, der Aussperrung der Frauen und den sich bereits andeutenden Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit - wie lange geht das gut?
Im Taliban-Land gab es in der letzten Woche einige Siegesfeiern. Man kann schon erahnen, dass dies, sieht man von Schüssen in die Luft ab, von denen in Kabul jüngst einige Menschen getötet wurden, weswegen dies verboten wurde, wenig ekstatisch über die Bühne geht. Es sind die Würdenträger alle schon etwas angegraut, Frauen fehlen bei den Veranstaltungen und Musik haben die Taliban gerade wieder einmal in der Öffentlichkeit verboten.
Da gab es beispielsweise eine "große Zeremonie" am 2. September bei Lashkar Gah in der Helmand-Provinz, um das Ende der 20-jährigen Besatzung und die Unabhängigkeit zu feiern. In der "Stimme des Dschihad", einer Online-Publikation des "Islamischen Emirats von Afghanistan" findet man folgende Beschreibung:
Das Treffen, an dem eine große Zahl von Religionsgelehrten, militärischen und zivilen Offiziellen, Stammesältesten, Poeten und Autoren und normale Muslime teilnehmen, begann mit der Rezitation von Versen aus dem Heiligen Koran. Danach hielten Religionsführer und Stammesälteste ausführliche Reden zur Unterstützung des Islamischen Emirats, dem größten Segen der Freiheit, und riefen die Menschen dazu auf, Gott dem Allmächtigen anlässlich dieses größten Segens (Unabhängigkeit) zu danken. Das Treffen endete mit einem Gebet. Danach stellte eine große Zahl von Landsleuten, begleitet von einer Karawane von jungen Menschen mit weißen Flaggen, einen fröhlichen Zug mit Takbirs dar.
Stimme des Dschihad
Darunter muss man wohl verstehen, dass sie Allahu akbar riefen. Die Jungen und die Männer sind hier im öffentlichen Raum unter sich, die Frauen sind weggesperrt. Sonderlich spannend hört sich die Zeremonie nicht an. Das Religiöse spielte eine hintergründige Rolle bei den Kämpfen und der militärischen Ausbildung der Männer, wenn die Taliban aber nun Ordnungsmacht sind, fehlen Kampf und Abenteuer als Kompensation für die religiösen Zeremonien, die von den Alten dominiert werden. Der "Islamische Staat" hatte mit Videos und Zeremonien die Religion in einen "interessanten" Kult der Grausamkeit verwandelt.
Man kann davon ausgehen, dass vor allem unter den jungen Menschen in den Städten, die 20 Jahre lang ein anderes Leben gewohnt waren, der Rückfall in die puristische Religion mit dem Bilder-, Musik- und Tanzverbot, der Aussperrung der Frauen und den sich bereits andeutenden Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit kaum mehr zu ertragen ist.
Dass die beschriebene Zeremonie kein Einzelfall ist, zeigen weitere Mitteilungen der Taliban, beispielsweise über das "glorreiche Treffen" in der Moschee des Bezirks Khyber der Provinz Faryab am 5. September. Wieder versucht die "Stimme des Dschihad" das Treffen anzupreisen, die Schilderung klingt nach einer reichlich öden Zusammenkunft, wieder fragt man sich, wer außer den beteiligten männlichen Honoratioren, die sich ihrer Bedeutung versichern, das interessant finden soll.
Wieder sei das Treffen von einer großen Zahl von Religionsgelehrten, Stammesältesten, Mudschaheddin und Muslimen besucht worden. Die Quantität ist jedenfalls für die Taliban auch ein Zeichen der Bedeutung:
Das Treffen begann mit der Rezitation von Versen aus dem Heiligen Koran, gefolgt von Reden der Religionsgelehrten Maulvi Hayatullah Sahib, Haji Mulasifuddin Jihadi und anderer Religionsgelehrter. Die Gelehrten erwähnten die völlige Unabhängigkeit des Landes, die Umsetzung des islamischen Systems und andere wichtige Themen und informierten die Teilnehmer des Treffens umfassend. Am Ende des Treffens wurde der Heilige Koran als Belohnung der Seelen des Gründers und Führers des Islamischen Emirats, Amir al-Muminin Mullah Mohammad Mujahid (möge Allah ihm gnädig sein) und des Märtyrers Amir al-Mu’minin Mullah Akhtar Mohammad Mansoor und anderer Märtyrer rezitiert. Das Treffen endete mit Gebeten.
Stimme des Dschihad
Vor diesem Hintergrund ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass die Taliban je zu einer inklusiven Regierung kommen werden. Das lässt sich auch aus der nun vorgestellten Regierung ersehen, die nur eine vorläufige Regierung sein soll, weil offenbar im Hintergrund weitere Konflikte um Macht und Einfluss schwelen. Hibatullah Akhundsada, der oberste Führer der Taliban, bleibt weiter - wie Mullah Omar, Bin Laden oder al-Bagdadi - der Öffentlichkeit fern.
Er erklärte, die Regierung werde die "islamische Regeln und das Scharia-Gesetz" wahren. Den Schutz der Menschenrechte und der Minoritäten nehme man "ernst" - im Rahmen der "heiligen Religion des Islam". Unter den 18 genannten Ministern befindet sich keine Frau.
Wie schon berichtet (Ende des Kriegs, Beginn von Bürgerkriegen?), wird Alt-Taliban Mullah Mohammad Hassan Akhund, der auf der UN-Sanktions-Liste steht, Regierungschef. Vize wird Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar, der führend bei den Verhandlungen mit den Amerikanern dabei war.
Mullah Yaqoob, der Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar, wird Verteidigungsminister und zur Einbindung des mächtigen Haqqani-Netzwerks, von den USA als Terrornetzwerk gelistet, wird Sirajuddin Haqqani Innenminister. Auf ihn hat die US-Regierung ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar gesetzt. Alt-Taliban Amir Khan Muttaqi ist Außenminister. Auch sonst sind es viele Mullahs und einige Haqqanis, die nun an der Macht sind. Zur Inklusion ist man nicht imstande, nicht einmal zum Schein.
Der Artikel ist zuerst bei Krass & Konkret erschienen.