Die relativen Dinosaurierhasser
Warum verwenden Gegner der Evolutionstheorie ähnliche Argumentationsstrukturen, wie das kleine Grüppchen derer, die die spezielle Relativitätstheorie befehden?
Diskussionen mit religiös motivierten Evolutionsgegnern sind enttäuschend unproduktiv. Daher vermeiden selbst profilierte Fürsprecher der Darwinschen Evolution wie Ulrich Kutschera öffentliche Streitgespräche mit Kreationisten. Interessanterweise verwenden Evolutionsgegner jedoch ähnliche argumentative Grundstrukturen, wie die kleine Gruppe von Kritikern der Einsteinschen Relativitätstheorie. Damit lässt sich besser verstehen, warum der Dialog sinnlos ist und wozu man seine Energien besser verwenden sollte.
Das Darwin-Jahr ist hierzulande bisher relativ ruhig verlaufen. Die Menschen besuchen die Evolutions-Ausstellungen, wie beispielsweise DARWIN und die Entstehung der Arten im traditionsreichen Museum Koenig in Bonn, ohne dass Evolutionsskeptiker Plakate von den Wänden reißen oder Interessierte am Eingang mit Pamphleten belästigen. Allerdings scheinen vor allem solche Besucher in die Museen zu kommen, die der darwinistischen Abstammungslehre nicht kritisch gegenüber stehen. So wird am Jahresende wohl das Fazit gezogen werden müssen, dass die Evolutionskritiker nicht an Boden verloren haben. Aber für diesen Pessimismus ist es vielleicht noch zu früh.
Die meisten, hartnäckigsten und verstocktesten Gegner Darwins kommen aus fundamental angehauchten christlichen und muslimischen Kreisen. Ob sie sich selbst zu den „Kreationisten“, den „Kurzzeitkreationisten“ oder den Anhängern des „Intelligent Design“ rechnen, ist aus der Sicht der Biologie nebensächlich, denn sie teilen wesentliche Kritikpunkte an der Evolutionstheorie. Dass ihnen mit naturwissenschaftlich fundierten Argumenten nicht beizukommen ist, ist evident. Die meisten lehnen naturwissenschaftliche Methoden rundweg ab oder verwenden einen bloß für Laien professionell klingenden, amateurwissenschaftlichen Jargon, so wie Wort und Wissen. Auch mit evolutionskompatiblen theologischen Positionen wird ihnen nicht beizukommen sein, weil ihre Ablehnung auf Dogmen beruht, denen liberal-theologische Ansichten genauso wesensfremd sind wie die Evolutionstheorie.
Ausweg aus einer festgefahrenen Lage
In dieser festgefahrenen Lage erscheint es lohnenswert, den Versuch zu starten, einmal zu verstehen, was für einen Mindset ein Evolutionsgegner eigentlich grundsätzlich haben muss, um sich derartig hartnäckig rationalen Argumenten verschließen zu können. Um dafür Hypothesen aufzustellen ist es hilfreich, zunächst die immer wiederkehrenden Kernargumente von Evolutionskritikern heraus zu destillieren. Sie lassen sich in etwa so zusammen fassen:
Nach allgemein und international akzeptierter Auffassung gilt die Evolutionstheorie als eine der am besten bestätigten naturwissenschaftlichen Theorien, ohne die, so liest man es in den meisten Darstellungen, z.B. die ganze Biologie keinen Sinn mache. Die Theorievertreter versichern uns, es gebe keinen Grund zu irgendeiner Kritik an der Theorie; es habe Kritik lediglich in den Anfangsjahren gegeben, und die sei schon damals eindeutig widerlegt worden.
Wer seither noch Kritik an der Evolutionstheorie geübt habe, sei von Neid oder religiösem Fundamentalismus oder Schöpfungsglauben motiviert, trage auch keine wissenschaftliche Kritik vor und könne daher nicht ernstgenommen werden. Nur noch Spinner oder böswillige Charaktere träten gelegentlich auf mit Kritik an einer Theorie, die gesicherte Erkenntnis darstellt und zu einer Grundlage unserer gesamten Naturwissenschaften geworden ist, darüber hinaus sogar Theologie, Philosophie, Literatur und Kunst beeinflusst und angeregt hat. Die Theorie ist eine der größten geistigen Leistungen der Menschheit im 19ten Jahrhundert und hat alle unsere Vorstellungen über die Natur revolutioniert.
Da es eine ernstzunehmende Kritik der Theorie angeblich schon seit langem nicht mehr gibt, kann natürlicherweise auch keine Kritik diskutiert werden. In den Darstellungen und Lehrbüchern der Theorie kann man daher keine kritische Literatur aufführen. In den Fachzeitschriften der Biologie können keine kritischen Abhandlungen veröffentlicht werden, und auf den Biologie-Kongressen fehlen die kritischen Vorträge. Dies hat die unmittelbare Folge, daß alle offiziellen Schriften über die Darwin’sche Evolutionstheorie seit mehr als hundert Jahren nur noch - mehr oder weniger - brave Nacherzählungen der Originalveröffentlichungen sind.
Die vorgestellten Standpunkte erscheinen hinlänglich bekannt zu sein. Dennoch ist etwas Besonderes an dem Text: Das Original beschäftigte sich nämlich gar nicht mit der Evolution! Der Text wurde mit nur wenigen Änderungen aus einer Niederschrift generiert, die sich kritisch mit der Speziellen Relativitätstheorie (SRT) Albert Einsteins auseinandersetzt. Die Textstellen, die modifiziert wurden, sind im folgenden Zitat hervorgehoben:
Nach allgemein und international akzeptierter Auffassung gilt die Spezielle Relativitätstheorie als eine der am besten bestätigten Theorien der Physik, ohne die, so liest man es in den meisten Darstellungen, z.B. kein Atomkraftwerk betrieben werden könnte. Die Theorievertreter versichern uns, es gebe keinen Grund zu irgendeiner Kritik an der Theorie; es habe Kritik lediglich in den Anfangsjahren gegeben, und die sei schon damals eindeutig widerlegt worden.
Wer seither noch Kritik an der Speziellen Relativitätstheorie geübt habe, sei von Neid oder Antisemitismus oder NS-Ideologie oder stalinistischer Propaganda motiviert, trage auch keine physikalische Kritik vor und könne daher nicht ernstgenommen werden. Nur noch Spinner oder böswillige Charaktere träten gelegentlich auf mit Kritik an einer Theorie, die gesicherte Erkenntnis darstellt und zur Grundlage unserer gesamten Naturwissenschaften geworden ist, darüber hinaus sogar Theologie, Philosophie, Literatur und Kunst beeinflusst und angeregt hat. Die Theorie ist eine der größten geistigen Leistungen der Menschheit im Zwanzigsten Jahrhundert und hat alle unsere Vorstellungen über die Natur revolutioniert.
Da es eine ernstzunehmende Kritik der Theorie angeblich schon seit langem nicht mehr gibt, kann natürlicherweise auch keine Kritik diskutiert werden. In den Darstellungen und Lehrbüchern der Theorie kann man daher keine kritische Literatur aufführen. In den Fachzeitschriften der Physik können keine kritischen Abhandlungen veröffentlicht werden, und auf den Physik-Kongressen fehlen die kritischen Vorträge. Dies hat die unmittelbare Folge, daß alle offiziellen Schriften über die Spezielle Relativitätstheorie seit nunmehr hundert Jahren nur noch - mehr oder weniger - brave Nacherzählungen der Originalveröffentlichungen sind.
Der verwendete Text stammt aus der Veröffentlichung Über die absolute Größe der Speziellen Relativitätstheorie vom Juni 2004, S. XXII. Laut Bekunden des Autors „G. O. Mueller“ sind darin 3789 Arbeiten dokumentiert, die sich kritisch mit der SRT beschäftigen. Wer steckt dahinter? „G. O. Mueller ist das Pseudonym für eine Organisation, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, die unter dem Namen 'Relativitätstheorie' bekannte Ideologie zu Fall zu bringen.“, verkündet Ekkerhard Friebe auf seiner Website. Laut eigenem Bekunden ist er Regierungsdirektor i. R. des Deutschen Patentamtes. Zusammen mit Jocelyne Lopez sei er G. O. Muellers „Interessenvertreter für Deutschland“.
Es ist an dieser Stelle völlig unerheblich, ob „G. O. Mueller“ wirklich eine „Organisation“ ist, oder ob Friebe und Lopez sich alles nur zusammengebastelt haben, um ihrem Publikum eine breite Bewegung von Kritikern vorzugaukeln, die sich vor der „Wissenschaftsmafia“ (Friebe) verstecken muss. Wichtig ist hier nur eins: Friebe, Lopez und andere, vor allem in Foren tätige Anti-Relativisten, stellen im Vergleich zu Evolutionskritikern eine sehr kleine Gruppe dar. Während Fragen zur Evolution einen großen Teil der Öffentlichkeit interessieren, ist die SRT ein ausgesprochenes Nischenthema. Sie emotionalisiert einen Laien nicht einmal annähernd wie die Evolutionstheorie. Friebe und Lopez argumentieren zudem nicht aufgrund religiöser Ansichten gegen die SRT. Sie beanspruchen, die SRT aufgrund des Common Sense angreifen zu können. Lopez’ eigene, esoterisch angehauchte, ausgesprochen amüsante Theorie im Bereich der Entstehung des Universums zeigt keine Gemeinsamkeiten mit religiös-fundamentalistischen Ansichten von Darwingegnern.
Erstaunliche Gemeinsamkeiten von Anti-Relativisten und Evolutionsgegnern
Obwohl Anti-Darwinisten und Anti-Relativisten von ganz unterschiedlichen Ursprungspunkten her argumentieren, ist das Grundgerüst ihrer Kritiken an der jeweiligen Theorie weitgehend deckungsgleich. Die Leichtigkeit, mit der der eine Standpunkt in den anderen überführt werden konnte, belegt dies. Es gibt offenbar gemeinsame Denkstrukturen, die nichts mit der eigentlichen Sache zu tun haben:
- Genau ein Theorienstifter Es existiert genau eine bestimmte Person – Darwin bzw. Einstein – auf die die jeweilige Theorie zurückgeführt werden kann. Es reicht demnach, sich auf die Schlüsselpublikationen dieser Personen zu konzentrieren um zu beweisen, dass diese Gründungsdokumente schon falsch waren. Dass bedeutet auch, dass moderne Entwicklungen der Theorien weitgehend ignoriert werden.
- Die „orthodoxe Wissenschaft“ Es existiert eine „orthodoxe Wissenschaft“, die die Theorien der jeweiligen Theorienstifter wie Dogmen behandelt und mit undurchsichtigen Methoden seit mehr als hundert Jahren global dafür sorgt, dass die Mehrheit der Wissenschaftler nur dem orthodoxen Weg folgt.
- Offensichtliche Schwachstellen und Unterdrückung von Kritik Es gibt offensichtliche, gravierende Schwachstellen, die die bekämpften Theorien spielend widerlegen. Dazu zählen das „Uhrmacherargument“ der Intelligent Design-Anhänger und der „gesunde Menschenverstand“ des Anti-Relativisten. Nur die aktive Unterdrückung von Kritik und Diffamierung der Gegner durch die orthodoxe Wissenschaft verhindert, dass alle Naturwissenschaftler den Irrtum erkennen oder aussprechen dürfen.
Es ist erkennbar, dass die Gegner der jeweiligen Theorie die Entwicklung der Naturwissenschaften mit personenbezogenen, eher geisteswissenschaftlichen Kategorien bewerten. Dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse sich von ihrem Entdecker lösen, die Relativitätstheorie also nicht einfach verschwände, wenn es Einstein nicht gegeben hätte, ist für sie nicht vorstellbar. Vielleicht hieße sie anders, aber ihre Aussagen wären weiterhin gültig, selbst wenn sie später formuliert worden wären. Die SRT lag 1905, dem Einsteinschen „Wunderjahr“, quasi in der Luft. Auch eine Evolutionstheorie nach Darwinschem Muster hätte es gegeben. Alfred Russel Wallace hatte sie nämlich unabhängig von Darwin durch Beobachtungen in Indonesien aufgestellt. Darwin veröffentlichte seine Erkenntnisse erst, nachdem Wallace ihn kontaktiert hatte. Ausgerechnet das Darwin-Jahr bescherte Wallace neue Popularität. Für Verfechter des Glaubens an eine unterdrückende, orthodoxe Wissenschaft ist das unverständlich, wird doch vermeintlich an der Eiche Darwin gekratzt, dem singulären Ursprung der verhassten Theorie.
Beide Kritikergruppen glauben zudem an einfach zu erkennende, quasi direkt sicht- und greifbare Wahrheiten. Es erstaunt der naive Glaube an das, was dem Menschen durch seine Sinne zugänglich ist (Diskrete Wahnehmung). Erklärungen, die über das unmittelbar Erfahrbare hinausgehen, jedoch ein rationales Verstehen von Vorgängen ermöglichen, aber mühsam erarbeitet werden müssen, sind solchen Menschen offensichtlich ein Gräuel. Sie spüren zwar auch, dass mehr hinter dem steckt, was zu sehen ist, aber sie ersetzten die Mühsal der Erkenntnissuche durch ein Offenbarungswissen. Das ist das eigentlich paradoxe: Sie glauben nur das, was sie unmittelbar sehen, aber sie dichten irrational eine ganze Welt von unsichtbaren Entitäten – bzw. einer Superentität namens „Gott“ - hinzu, die kausal auf die Welt wirken.
Sehr schön auf den Punkt bringt diesen Mindset der Ausspruch Douglas Adams’, den Richard Dawkins seinem Buch „Der Gotteswahn“ vorangestellt hat:
„Genügt es nicht zu sehen, dass ein Garten schön ist, ohne dass man auch noch glauben müsste, dass Feen darin wohnen?“
Evolutionsgegner und Anti-Relativisten leben, die einen mehr, die anderen weniger, in ihrer eigenen Welt voller irrationaler Kausalitäten. Sie lassen sich grundsätzlich nicht rational überzeugen. Es ist daher verschwendete Zeit, ihre Argumente rational entkräften zu wollen. Wichtig ist also nicht, mit den Kritikern zu reden sondern über sie, indem ihre Denkstrukturen erläutert und ihre kommunikativen Strategien entlarvt werden. Der Evolutionstheorie selbst ist mehr geholfen, wenn sich Publikationen darauf fokussierten, ihren Lesern die Lust an echten Erkenntnissen zu vermitteln. Beispielsweise, indem die inzwischen gut bekannte Evolution der Vogelfeder als nicht zielgerichteter Prozess veranschaulicht würde. Das ist hilfreicher, als eine der endlos-sinnlosen Debatten über die „Unwahrscheinlichkeit sinnvoller Mutationen“ fortzuführen. Einen eingefleischten Kreationisten wird das nicht überzeugen. Es kann aber vor allem junge, wissbegierige Menschen gewinnen und dazu beitragen, in ihnen die Lust an der rationalen, faktenbasierten Erkenntnissuche zu wecken. Es ist in erster Linie Aufgabe der Schule zu garantieren, dass jeder Schüler und jede Schülerin dazu ausreichend Gelegenheit erhält.