Die religiöse Härte hinter dem Lächeln
Familienministerin von der Leyen und ihre Verbindungen
Inkompetenz und starres Beharren auf dem eigenen Standpunkt ist nichts Neues bei Politikern, weshalb die Kritik an der Bundesfamilienministerin und ihren "Netzsperren gegen Kinderpornographie" bei vielen lediglich auf Irritation stößt. Sollte dieser so viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie es momentan der Fall ist? Wer sich einmal mit der Politik von der Leyens im allgemeinen beschäftigt, kommt zu dem Schluss, dass es mehr als wichtig ist, Frau von der Leyen nicht zu unterschätzen. Hinter ihrem Lächeln verbirgt sich eine religiöse Härte, die gerade in ihrer Position strategisch eingesetzt wird.
Pädokriminelle
Einer der Begriffe, die Frau von der Leyen in ihren Reden und Interviews immer wieder benutzt, ist der Begriff "pädokriminell". Nun ist die Suchmaschine Google nicht das Maß aller Dinge, dennoch ist es interessant, einmal diesen Begriff nachzuschlagen. Ca. 9.300 Ergebnisse werden von Google vermeldet, wenig, verglichen mit Begriffen wie "pädophil" (36.400) oder "Pädophilie" (87.400). Wer nach Fundstellen sucht, die nichts mit den Aussagen der Frau von der Leyen zu tun haben, findet wenig bis nichts Aussagekräftiges - der Begriff steht quasi "im Raum" und lässt eine Definition vermissen. Dafür finden sich bei der Recherche oft genug Querverweise zum Münsteraner Kinderschutzverein "Carechild". Der Verein, dessen Mitglieder auch in den Heiseforen anzutreffen waren, machte vor allen Dingen durch Zwangsoutings von Betroffenen sexueller Gewalt und Verleumdungen von sich reden. Im Sprachgebrauch der Kinderschutzhardliner fanden sich Vokabeln wie "pädokriminell" oder "pädoman" wieder - Eigenkreationen, die nach und nach Eingang in andere Kreise fanden.
Der Begriff an sich kann bereits als Kampfbegriff gesehen werden. Zum einen findet sich hier eine Verquickung von sexueller Präferenz und Taten, die suggeriert, dass die Präferenz automatisch zur Tat führen muss. Zum Vergleich: Wohl niemand würde einen Mann, der andere Männer vergewaltigt, als homokriminell bezeichnen. Um jemanden zu beschreiben, der straffällig geworden ist, ist es aber nicht notwendig, seine sexuelle Präferenz in den Begriff des Kriminellen mit einzubeziehen. Zum anderen wird hier erneut durch den Begriff allein dafür gesorgt, dass sexuelle Gewalt gegenüber Kindern automatisch mit Pädophilie gleichgesetzt wird. Somit werden nicht nur Pädophile bereits verunglimpft, ohne dass sie sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, es wird auch ausgeblendet, dass sexuelle Gewalt an Kindern aus den verschiedensten Gründen heraus entsteht.
Ein Beispiel dafür, wie dieser Kampfbegriff genutzt wird, zeigt sich am Beispiel Marc Dutroux. Obgleich das abschließende Gutachten ihn keineswegs als pädophil ansah, sondern vielmehr von einem "gegenüber Gewalt empfindungslosen Psychopathen [ausging], der aus Machtstreben und Geldgier gehandelt habe", wird Dutroux gerade auch von den Hardlinern innerhalb der "Kinderschutzorganisationen" weiterhin als pädophil oder pädokriminell bezeichnet. Gleichermaßen werden auch Väter, die ihre Kinder aus einem reinen Macht- bzw. Erziehungsdenken heraus vergewaltigen, von derartigen Organisationen kurzerhand zu Pädophilen, was keiner wissenschaftlichen Untersuchung standhalten würde. Eine andere Organisation, die sich diesen Begriff zu Eigen gemacht hat, ist "Innocence in Danger".
Zahlenspielereien und Vetternwirtschaft
Stefan Niggemeier hat sich bereits ausführlich mit den Verwandschafts- und Bekanntschaftsverhältnissen in Bezug auf "Innocence in Danger" und Frau von der Leyen befasst, daher reicht es, dies nur kurz darzustellen. Julia von Weiler, die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von "Innocence in Danger", hatte zusammen mit Jörg Ziercke, dem BKA-Präsidenten, ein Gesetz zur Sperrung von kinderpornographischen Seiten gefordert. In einem Beitrag der "Welt" wird gemutmaßt, dass sie auch den direkten Kontakt mit der Familienministerin suchte und an deren Vorstoß nicht ganz unschuldig war.
Äußerst aktiv zeigte sich jedenfalls auch der neue Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Ehefrau als Präsidentin von "Innocence in Danger" aktiv ist. Keine Frage - sowohl für "Innocence in Danger" als auch den Bundeswirtschaftsminister stellen die "Netzsperren gegen Kinderpornographie" ein lohnendes Ziel dar, sind sie doch sowohl dafür geeignet, von den sonstigen wirtschaftlichen Problemen abzulenken, als auch weiterhin für eine gute Reputation von "Innocence in Danger" zu sorgen.
Dabei bedient sich "Innocence in Danger" der gleichen Zahlenspielereien wie Frau von der Leyen. Hierbei ist auch die bei Odem.org akribisch aufgearbeitete Ähnlichkeit der Zahlen, mit denen sowohl Herr Ziercke und Frau von der Leyen als auch "Innocence in Danger" agieren, zu beachten. Nicht nur werden Fantasiezahlen genannt, die oftmals von anderen Kinderschutzorganisationen übernommen werden, auch die Quellenangaben (so vorhanden) sind wenig aussagekräftig oder führen ins Leere. Für solche Fantasiezahlen eignet sich natürlich die sexuelle Gewalt vorzüglich: im Zweifelsfall kann noch mit der Dunkelziffer argumentiert werden. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther (die Red. hat den Namen richtig gestellt, danke an den Leser!) stellte hier einen neuen Rekord auf, indem sie von "weltweit 11 Millionen kinderpornographischer Bilder" sprach, die "im Internet im Umlauf [seien, und] mit denen jährlich ein Umsatz von fünf Milliarden Euro erzielt" werde. Dahinter stünden 120.000 vergewaltigte Kinder. Einen Beweis oder gar Quellen für diese Angaben bleiben die Protagonisten schuldig.
Einstiegsdrogen und Heilungen
Ähnlich gerne benutzt die Familienministerin die sogenannte "Einstiegsdrogen"-Argumentation:
Es wird immer mehr über kommerzielle Websites verbreitet. Da werden Millionenbeträge verdient. Pornographische Videos, auf denen Kinder gequält und gefoltert werden, werden allein in Deutschland bis zu 50.000 Mal im Monat heruntergeladen. Die Bandbreite reicht vom Pädokriminellen bis zum User, der wahllos sucht und ignoriert, dass er sich gerade die Einstiegsdroge besorgt.
Eine solche Argumentation, die davon ausgeht, dass derjenige, der unvermutet auf Kinderpornographie stößt, schlagartig davon nicht nur angezogen wird, sondern auch den Wunsch nach "mehr" verspürt, somit also nach immer "härterer Kost" verlangt, wäre von einer Fachfrau nicht zu erwarten gewesen. Ein Mediziner schrieb mir zu dieser Einstiegsdrogenthese:
Es ist milde gesagt erstaunlich, dass die Familienministerin als approbierte Ärztin solche Aussagen öffentlich vertritt. Sie verwechselt hier (bewusst?) eine Paraphile, also eine Störung der sexuellen Präferenz (zu der auch Sadomasochismus, Voyeurismus, Nekophilie etc. zählt) mit einer organischen oder psychischen Abhängigkeit, sprich Sucht. Früher galt auch die Homosexualität als Paraphilie, also als krankhaftes, von der Norm abweichendes Sexualverhalten, bis sie zumindest in den westlichen Ländern weitestgehend gesellschaftlich akzeptiert und nicht mehr unter diesem Begriff geführt wurde. Die Argumentation von Frau v.d.L würde daher analog bedeuten, dass junge Männer beim mehrmaligen Betrachen von nackten Männerbildern homosexuell werden würden [... ] - eine höchst fragwürdige These, die wohl so nur noch in extremen religiösen Kreisen offen vertreten wird.
Wären kinderpornographische Bilder tatsächlich eine Einstiegsdroge, so müssten sie sich, angesichts der Zahlen, die Frau von der Leyen und Co. kolportieren, nicht nur explosionsartig verbreiten, auch die Anzahl der Fälle von sexueller Gewalt müsste ansteigen, was jedoch seit 1997 nicht der Fall ist. Unabhängig von dieser erneuten unbewiesenen Behauptung der Einstiegsdroge ist die dahinter liegende Überzeugung ein wenig mehr Recherche wert.
Wäre eine Paraphilie durch diverse äußere Einflüsse erst formbar, so wäre sie umgekehrt natürlich auch heilbar, wie im obigen Zitat schlüssig formuliert. In Bezug auf Homosexualität finden sich solche Ideen zur "Heilung" nicht nur bei diversen christlichen Gruppierungen in den USA, auch in Deutschland äußern sich Kirchenmitglieder weiterhin öffentlich dahingehend, dass Homosexualität heilbar ist.
Interessant ist hierbei, wie die Rolle der Kirche ausgeblendet wird. So wird in entsprechenden Studien davon gesprochen, dass Menschen nach der "Therapie der Homosexualität" in einer sexuell funktionierenden heterosexuellen Beziehung zufrieden seien. Susgeklammert wird, dass oftmals die Schuldgefühle sowie die Unzufriedenheit ob der Homosexualität erst durch die Kirche entstanden sind. Einfach ausgedrückt: Wer mit der Ansicht, Homosexualität sei eine Sünde, aufwächst, wird selbstverständlich zufriedener sein, wenn es ihm gelingt, diese Sünde größtenteils "aufzugeben", denn die durch die Sündenidee auferlegten Schuldgefühle sowie der Selbsthass werden, zumindest oberflächlich, so dezimiert (die Studie hat weitaus stärkere Schwachstellen, die in der obigen Analyse offengelegt werden).
Diesen Zusammenhang zwischen Frau von der Leyens These und religiösen Fundamentalisten wäre noch als bloßer Zufall oder als eine bemühte Verbindung anzusehen, wäre da nicht die Tatsache, dass auf dem Christival2008, dessen Schirmherren die Bundesfamilienministerin war, nicht nur ein anberaumtes Seminar zu den Wegen aus der Homosexualität angeboten wurde (später wurde seitens der Familienministerin verlautbart, dass das Seminar bereits seit Januar 2008 aus dem Programm genommen worden war), sondern auch äußerst fragwürdige Thesen in Bezug auf die Abtreibungsmöglichkeiten von vergewaltigten Frauen vertreten wurden. Das Seminar über den sexuellen Missbrauch von Jungen wurde, was ebenfalls gerügt wurde, von der Vereinigung Wüstenstrom geleitet, welche die Meinung vertritt, dass Homosexualität "veränderbar" ist und mit entsprechenden Hardlinern aus den USA zusammenarbeitet, die sich für die weitere Kriminalisierung homosexueller Handlungen aussprechen.
Zwar ließ Frau von der Leyen mitteilen, dass es nicht Aufgabe der Bundesregierung sei, bei einer Veranstaltung wie dem Christival, "verschiedene Kleinangebote [...] im Einzelnen zu analysieren, welche Aspekte dort wie auch immer vertreten werden", doch stellt sich die Frage, ob hier nicht die Außenwirkung, die eine Schirmherrschaft der Familienministerin mit sich bringt, einfach beiseite geschoben wird. Wenn innerhalb eines christlichen Festivals die "Therapie der Homosexualität" beworben wird und die Familienministerin dieses Festival bejaht, so entsteht der Eindruck, dass hier sehr wohl auch eine Zustimmung zu den umstrittenen Thesen besteht. Und dass Frau von der Leyen die Sorgen und Probleme Homosexueller nicht wirklich versteht, ist kein Geheimnis:
Offenbar wird vielen Jugendlichen, die ihre homosexuelle Orientierung entdecken, immer noch das Leben zur Hölle gemacht. Die Bundesregierung musste auf eine Anfrage der Grünen einräumen, dass homosexuelle Jugendliche auch heute noch ein viermal höheres Suizidrisiko haben als heterosexuelle. Im gleichen Atemzug verkündete die schwarz-rote Bundesregierung, eine vom Bundestag 2005 geforderte Bestandsaufnahme zur Lebenssituation schwuler und lesbischer Jugendlicher nicht durchführen zu wollen. "Eine solche Notwendigkeit wird nicht gesehen", ließ Frau von der Leyen ausrichten.
Christliche Religion und Erziehung
Dieser Eindruck wird noch dadurch unterstützt, dass die Familienministerin seit ihrer Amtseinführung ihre Funktion als Erziehungsministerin für die Propagierung ihrer eigenen religiösen Werte missbraucht. So blieben bei ihrem "Bündnis für Erziehung" zunächst diejenigen außen vor, die nicht der evangelischen oder katholischen Kirche angehörten. Zwar, so Frau von der Leyen, sollte das Bündnis später durch andere Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbände und die Wirtschaft ergänzt werden, doch die Frage ist, inwiefern die Religion in einem Land, in dem von der Trennung von Kirche und Staat die Rede ist, überhaupt außerhalb des Privaten eine Rolle spielen sollte. Ob Kinder im christlichen Glauben aufwachsen oder nicht, sollte Entscheidung der Eltern sein und bleiben. Doch dass Frau von der Leyen hier nicht neutral agiert, ist nicht verwunderlich.
Auf die Frage, welche Werte sie durch das "Bündnis für Erziehung" vermitteln will, antwortete sie:
Es sind die Werte, auf denen eigentlich unsere gesamte Kultur basiert, die christlichen Werte. Man kann sie auch in ganz moderne Formen fassen: Das sind Dinge wie Aufrichtigkeit, Vertrauen, Verlässlichkeit, Rücksicht, Respekt, der Wert, dass jeder Mensch einzigartig ist. Also zum Beispiel im Kindergarten, dass das kleine behinderte Kind, das nicht so gut malen oder basteln kann, einzigartig ist in seinen Fähigkeiten, das sind Dinge, die werden schon ganz früh im Kindesalter gelegt und da wollen wir heute mit den beiden großen Kirchen einen Auftakt starten.
Mit der christlich überzeugten Bundesfamilienministerin wird also das Christentum, noch stärker als vorher, schon möglichst vom Kindergarten an in die Familien getragen. "Eltern suchen oftmals angemessene Antworten auf die Fragen der Kinder: Wo komme ich her, wer bin ich, wo gehen Menschen nach dem Tode hin? Darauf kann nicht außerhalb eines religiösen Kontextes geantwortet werden" - so Frau von der Leyen, die damit mit der ihr eigenen Vehemenz Fragen nach Philosophie und Atheismus beiseite schiebt. Zwar wurden Muslime und Angehörige des jüdischen Glaubens schnell noch eingeladen, dem Bündnis beizutreten, Konfessionslose haben jedoch keinen Platz, wenn es um Erziehung geht - jedenfalls nicht im Weltbild der Ursula von der Leyen.
Der geradezu fanatisch geführte Kampf gegen "Kinderpornographie im Internet" ist sicherlich für die Bundesfamilienministerin ideal, um sich zu profilieren, die Frage ist aber auch, inwiefern dies nicht nur eine "Einstiegsdroge" für sie ist, um sich, ganz im Sinne der "christlichen Werte", auf Pornographie oder Nacktheiten im allgemeinen zu konzentrieren. Und welchen Raum sie den neuen Formen des Zusammenlebens geben will, die sich von der traditionellen Familie unterscheiden. Urteilt man nach dem, was bisher diesbezüglich zu finden ist, besteht die Gefahr, dass durch die Bundesfamilienministerin die Trennung zwischen Staat und Kirche weiter leiden wird und ein Rückschritt zu antiquierten Ansichten stattfindet.