Die stille Machtübernahme: Wie die AfD die bürgerliche Mitte infiltriert und dominiert
Die AfD infiltriert die Mitte. Ihre Positionen werden von anderen übernommen. Was folgt daraus? Ein Kommentar.
Die Talkshows und Nachrichtensendungen der letzten Tage zeigen, wie rasant ehemals der AfD vorbehaltene Positionen von den Parteien der sogenannten "bürgerlichen Mitte" übernommen werden. Was vor Jahren noch als rechtsextrem galt, ist inzwischen Mainstream.
Die Parteien der "bürgerlichen Mitte" überbieten sich darin, Forderungen der AfD zu erfüllen. "Das Reich der niederen Dämonen", als das Ernst Niekisch den Nationalsozialismus bezeichnete, dehnt sich in die Mitte der Gesellschaft aus und verallgemeinert sich.
Die AfD wird dadurch allerdings nicht verschwinden, sondern erst recht triumphieren. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ihr der marode bürgerliche Laden in die Hände fällt. Gemäß der Hegel-Marxschen Geschichtsphilosophie müsste der überreife Apfel den sozialistischen Kräften in den Schoß oder vor sie Füße fallen. Aber diese Annahme hat sich als fataler Irrtum erwiesen.
Verhängnisvolle Fehlannahme der Linken
Dass die Vorstellung vom objektiven und ehernen Gang der Geschichte falsch und verhängnisvoll war, das hätten die Linken spätestens nach dem Triumph des Nationalsozialismus einsehen müssen.
Max Horkheimer zog in seinem Buch "Dämmerung" schon früher den Schluss:
Die sozialistische Gesellschaftsordnung wird von der Weltgeschichte nicht verhindert, sie ist historisch möglich; verwirklicht wird sie aber nicht von einer der Geschichte immanenten Logik, sondern von den an der Theorie geschulten, zum Besseren entschlossenen Menschen, oder überhaupt nicht.
Und diese "zum Besseren entschlossenen Menschen" existieren gegenwärtig nicht in hinreichender Zahl und Qualität. Das macht das Elend der Linken, das ist die traurige Wahrheit.
Die eschatologische Vorstellung, die Geschichte bewege sich gewissermaßen automatisch "nach vorn" und "zu uns hin", hat die Funktion eines "Ermutigungselixiers".
Gelämter Kampfeswille
Diesen Begriff hat Otto Rühle für den objektivistischen Marxismus der Zweiten Internationale geprägt, der den Status einer säkularen Religion besaß, die den Massen versicherte, dass der Sozialismus auch ohne ihr Zutun kommen werde. Sie müssten lediglich der Parteilinie folgen, die Füße stillhalten und pünktlich ihre Mitgliedsbeiträge entrichten.
Diese über Jahrzehnte propagierte und eingeübte quietistische Haltung trug entscheidend dazu bei, den Kampfeswillen zu lähmen und den Weg zum Sieg des Faschismus zu ebnen.
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Die bestorganisierte und -geschulte Arbeiterklasse Europas kapitulierte 1933 und gab über Nacht ihren Geist auf – wie immer gilt, was für alle gilt, nicht für jeden. Wo waren denn die Hunderttausende von Parteimitgliedern der KPD, ihre fünf bis sechs Millionen Wähler, der Rote Frontkämpferbund, die Straßen- und Betriebszellen?
Sie waren passiviert durch einen Marxismus, der von Fatalismus kaum zu unterscheiden war und die ihm folgenden Massen zur Unterwerfung unter "objektiven Gesetzmäßigkeiten" anhielt.
Das Proletariat als Fußtruppe
Das zur Fußtruppe der Notwendigkeit degradierte Proletariat wurde so nicht zum Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft, wie das "Kommunistische Manifest" es prophezeit hatte, sondern die zum Faschismus mutierte bürgerliche Gesellschaft wurde zum Totengräber von Kommunisten und Sozialdemokraten.
Der Historiker Volker Weiß hat vor Jahren bereits darauf hingewiesen, dass sich die Neue Rechte erfolgreich aus dem Fundus linker Traditionen und Theorien bedient.
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So hat man vom italienischen Kommunisten Gramsci gelernt, wie bedeutsam der Kampf um die "kulturelle Hegemonie" ist und ihn nach beharrlichen Bemühungen inzwischen offenbar gewonnen.
Der Bereich des Sagbaren wurde Schritt für Schritt ausgeweitet, Begriffe besetzt und Diskurse und Themen in der Öffentlichkeit platziert. Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek haben auf diesem Gebiet ganze Arbeit verrichtet.
Bei der Eroberung der kulturellen Hegemonie spielen die sogenannten "sozialen Medien" inzwischen eine große Rolle. Keine andere politische Kraft ist dort so aktiv und erfolgreich wie die AfD.
Rechte gewinnt die Jugend
Wie die vergangenen Wahlen zeigen, scheint es ihr auf diese Weise gelungen zu sein, die Köpfe vieler jungen Leute zu gewinnen und mit rechten Ideen zu füllen.
Der Vorteil der Rechten besteht darin, dass ihre Denkweisen dichter an der bürgerlichen Normalität und den gängigen Denk-, Gefühls- und Affektgewohnheiten angesiedelt sind als die der Linken. Rechtes Denken muss ohnehin bestehende Ressentiments lediglich in Gang setzen und verstärken, während kritisch-linkes Denken einen Bruch mit den gängigen Denk- und Gefühlsmustern beinhaltet und es insofern deutlich schwerer hat.
Wir müssen den steinigen Acker der Vorurteile mühsam bestellen, während die Rechten einfach ihren Mist ausbringen und unterpflügen und bald erste Früchte ernten können.
Leo Löwenthal hat in seinen Studien über Vorurteile das Verfahren der Rechten, Ressentiments zu bewirtschaften, als "umgekehrte Psychoanalyse" bezeichnet. Unbewusste Triebregungen, Konflikte, Neigungen werden verstärkt und manipuliert, anstatt sie ins Bewusstsein zu heben und über sich und ihre Herkunft aufzuklären.
Das rechte Vorgehen ist ein durch und durch antiaufklärerisches und simples, während die linken Gegenkräfte lange und mühsame Wege gehen müssen.
Es gilt immer noch, was Adorno in den frühen 1960er Jahren sagte: "Es hilft nur emphatische Aufklärung, mit der ganzen Wahrheit, unter striktem Verzicht auf alles Reklameähnliche."
Götz Eisenberg betreibt seit einigen Jahren unter dem Titel "Durchhalteprosa" einen eigenen Blog.