Die wahren Experten biologischer Kriegsführung sind die Bakterien selbst

Genom des Milzbrand-Erregers entschlüsselt

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Zwei Gruppen von Forschern haben das Erbgut der Milzbrand-Bakterien dechiffriert und mit den Genen relativ harmloser, ähnlicher Bakterien verglichen. Ihre Ergebnisse, die sie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature veröffentlichen, sind Grundlage für die Entwicklung neuer Arzneien und Impfstoffe gegen Anthrax.

Bacillus anthracis, Bild: University of Georgia

Bacillus anthracis, der Erreger von Milzbrand, kann zur Herstellung biologischer Waffen verwendet werden. Eigentlich ist Anthrax eine Krankheit, die Säugetiere befällt und nach wie vor auf der ganzen Welt verbreitet ist (vgl. Milzbrand und die Angst). Seit dem Ersten Weltkrieg wird Milzbrand als Kampfstoff eingesetzt, denn die Bakterien haben die Fähigkeit, Sporen als haltbare Dauerform zu bilden und dadurch über viele Jahrzehnte infektionsfähig zu bleiben. In den USA verschickte ein bisher Unbekannter Briefe mit waffenfähigen Anthraxsporen, fünf der Infizierten starben (vgl. Angeblich tappt das FBI im Dunkeln). Seither geht die Angst um und weltweit wird intensiv an Impfstoffen und neuen Medikamenten geforscht. Milzbrand gilt als potenzielle Waffe von Terroristen, denn der Erreger ist einfach zu beschaffen und in Sporenform zu bringen. Ihn waffenfähig zu machen, ist dagegen nicht so simpel. Dennoch zirkulieren Horrorszenarien, erst kürzlich haben Wissenschaftler simuliert, welche entsetzlichen Auswirkungen ein Anschlag mit einem Kilogramm Anthrax bewirken könnte (vgl. Anthrax tödlich wie Atombombe).

Die Entschlüsselung des Genoms von Bacillus anthracis trieben verschiedene Forschergruppen, vor allem vom The Institute for Genomic Research (TIGR). Auf der Website dieses Instituts wurden die Forschungsergebnisse zum Erbgut von Milzbrand gesammelt und allen Interessierten zugänglich gemacht.

Timothy D. Read vom TIGR und 51 andere Biologen von elf verschiedenen Instituten und Universitäten veröffentlichen nun unter dem Titel "The genome sequence of Bacillus anthracis Ames and comparison to closely related bacteria" in Nature die komplette Dekodierung eines virulenten Stamm des Milzbrand-Bakteriums. Damit ist erstmalig ein Anthrax-Stamm komplett sequenziert und analysiert. Es handelt sich um den Ames-Strain, dessen Ursprungsbakterien aus einer texanischen Kuh isoliert, und dann im U.S. Army Medical Research Institute of Infectious Diseases in Fort Detrick weiter kultiviert wurden. Von dort aus wurde er zu Forschungszwecken an viele Labore geliefert. Die bei den Briefanschlägen in den USA verwendeten Milzbrandsporen entstammen diesem Ames-Stamm. Die Sequenz beinhaltet mehr als 5000 Gene mit verschiedensten Funktionen, sie ist wie ein "großes Schweizer Armeemesser", kommentierte Timothy Read. Die Wissenschaftler verglichen die Milzbrand-Bakterien mit den Gensequenzen von zwei unmittelbaren Verwandter derselben Familie, erstens Bacillus cereus, der Lebensmittelvergiftungen verursacht, und zweitens Bacillus thuringiensis, der in der Schädlingsbekämpfung, bzw. als Pflanzenschutzmittel eingesetzt wird. Dabei zeigte sich, dass sich nur etwa 150 der über 5000 Gene voneinander unterscheiden, Eine wichtige Rolle spielen die Plasmiden, extrachromosomale Gene in Bakterien, die für die Virulenz und Giftigkeit eine Schlüsselrolle spielen. Die Leiterin des Anthrax-Genom-Projekts bei TIGR, Claire M. Fraser, erläutert:

Die Entzifferung des Milzbrand-Genoms ist wichtig für ein großes Spektrum biomedizinischer und Bioverteidigungs-Forschung. Die Genom-Sequenz wird Forschungsprojekten die Möglichkeit geben, eine Zielrichtung für neue Medikamente und Impfungen zu finden, ebenso wie die Diagnostik und das Aufspüren von Anthrax zu verbessern.

Das zweite internationale Team aus 23 Genforschern um Natalia Ivanova von Integrated Genomics publizierte unter dem Titel "Genome sequence of Bacillus cereus and comparative analysis with Bacillus anthracis" einen Vergleich zwischen den beiden Genomen, wobei sie für die Analyse die nicht ganz vollständig entzifferte Sequenz des Bacillus anthracis aus den Milzbrandbriefen verwendeten. Dabei stellten sie fest, dass der Anthrax-Erreger im Vergleich mit seinem bakteriologischen Verwandten einen Überschuss an Genen zum Abbau von Proteinen besitzt. Er verdaut die Eiweißstoffe wesentlich effektiver.

Julian Parkhill vom Sanger Institute und Colin Berry von der Cardiff-University in Wales kommentieren in ihrem begleitenden News&Views-Artikel, dass die Milzbrand-Bakterien "eher karnivore Diät bevorzugen", weil ihre Vorfahren wahrscheinlich ihren Speisezettel aus "toten oder lebenden Körpern von Insekten oder anderen Tieren" zusammen stellten. Parkhill und Berry ziehen das Fazit:

Alle diese Erkenntnisse unterstreichen, dass trotz aller kruden Versuche von menschlichen Wesen, die Bakterien selbst die wahren Experten biologischer Kriegsführung sind - sie sind allzeit bereit und hervorragend ausgerüstet, um sich an jedwede gebotene Umweltnische anzupassen und sie auszubeuten. Wir können nur hoffen, dass die Verfügbarkeit dieser Sequenzen denen helfen wird, die daran arbeiten, uns vor diesen Krankheitserregern zu schützen.