Dies "ist eine politische Entscheidung"
- Dies "ist eine politische Entscheidung"
- "Diese Sechs-Monats-Regel entbehrt mittlerweile einer wissenschaftlichen Grundlage"
- Mindestens so gut wie eine Impfung
- Auf einer Seite lesen
Aktuelle Studien belegen, dass Genesene deutlich länger gegen eine Neuinfektion mit Sars-CoV-2 geschützt sind, dennoch verfallen ihr Impfausweis und damit einhergehende Rechte nach sechs Monaten
Aufgrund der Bestimmungen des digitalen Impfausweises haben Geimpfte und Genesene das Recht, beispielsweise Bereiche der Gastronomie und der Kultur betreten zu dürfen, während andere Menschen hierfür bei der 3G-Regel einen aktuellen Test vorlegen oder bei der 2G-Regel vor der Tür bleiben müssen.
Während dieses Recht für Geimpfte in Deutschland ein Jahr lang gilt, werden Genesene jedoch im juristischen Sinne gleichsam nach sechs Monaten von einem auf den anderen Tag als Ungenesene betrachtet und verlieren ebenso wie Ungeimpfte Rechte, die im Sommer noch für die gesamte Bevölkerung galten. Einziger Unterschied zu Menschen, die weder erkrankt und noch geimpft sind: Genesene benötigen nur eine Impfdosis, um als Geimpfte zu gelten.
Nicht jeder Genesene gilt als Genesener
Genesene haben nicht nur gleichsam ein Verfallsdatum nach sechs Monaten, sondern eine Erkrankung reicht nicht aus, um als Genesener betrachtet und Anspruch auf einen digitalen Impfausweis zu haben. Einzig ein PCR-Test gilt als Beleg für eine Erkrankung.
Ein Antikörpertest, der das Level Sars-CoV-2-spezifischer und/oder neutralisierender Antikörper bestimmen kann, wird als Beleg für eine Genesung und damit als Voraussetzung für den digitalen Impfausweis nicht anerkannt, was bei allen Menschen, die sich bei ihrer Erkrankung nicht getestet haben, dazu führt, dass sie nicht als erkrankt anerkannt werden, auch wenn ihr Antikörpertest das Gegenteil aussagt.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte zu diesem Sachverhalt: "Viele Bürgerinnen und Bürger waren infiziert, ohne es zu merken. Mit einem qualitativ hochwertigen Antikörpertest kann man das mittlerweile sicher nachweisen."
Allerdings dient dennoch ein Antikörpertest nur dazu, dass der Betreffende mit nur einer Dosis als Geimpfter anerkannt wird. (Der Test muss hierbei von den Personen jedoch selbst bezahlt werden.) Die offizielle Begründung, den Antikörpertest nicht als Nachweis einer Infektion anzuerkennen, besteht in der Tatsache, dass dieser keinen Aufschluss über das exakte Datum der Erkrankung geben kann. Damit bestimmt er auch keinen Starttag, ab dem der digitale Impfausweis gelten könnte.
"Das stellt die Grundlagen der Immunologie auf den Kopf…"
Unabhängig von der Schutzdauer, die den Millionen Genesenen zugesprochen wird, stellt sich hier eine grundlegende Frage: Inwiefern kann der Antikörpertest nicht herangezogen werden, um festzustellen, ob der Getestete über einen aktuell ausreichenden Schutz gegen eine Reinfektion verfügt, damit Genesene - auch ohne Kenntnis des genauen Datums der Infektion - als geschützt gelten können?
Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn, erklärt ausdrücklich, dass ein Antikörpertest als Nachweis des Genesenen-Status zugelassen werden sollte. Auch der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Karl Lauterbach befürwortet im selben Fernsehgespräch "eine interessantere Nutzung" der Antikörpertests.
Prof. Dr. Klaus Stöhr, Virologe und Epidemiologe und ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms und Sars-Forschungskoordinator, erklärt kurz und bündig auf Twitter: "der Umstand, dass der Nachweis von Sars-CoV-2 Antikörpern nicht ausreicht, um als Genesener zu gelten. Das stellt die Grundlagen der Immunologie auf den Kopf…"
Die Weigerung, einen Antikörpertest als Beleg für eine überstandene Erkrankung anzuerkennen, betrifft wohl rund vier Millionen Deutsche. Eine aktuelle Studie stellt fest, dass nur die Hälfte aller Infektionen erkannt wird. Offiziell gelten mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland als infiziert.
Antikörper und Immunschutz
Lange Zeit war es strittig, ob der Antikörpertest eine sichere Auskunft über die Immunität des Menschen geben kann. Andreas Bobrowski, Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands Deutscher Laborärzte, geht inzwischen jedoch von folgender Faustregel aus:
Liegt der Antikörperspiegel unter einem Wert von 21,8 BAU (WHO-Einheit: BAU/ml - binding antibody units, Anm. d. A.), hat die Person mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Immunschutz gegen Corona. Über einem Wert von 44 BAU, hat die Person mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Immunschutz gegen Corona. (…) Generell können wir zwar davon ausgehen, dass eine Person mit einem BAU-Wert von über 1000 durchaus einen Vollschutz hat. Ob das allerdings nicht vielleicht schon bei 30 oder 40 der Fall ist, können wir im Moment noch nicht sagen.
Andreas Bobrowski
Patienten mit einem Wert von über 1000 rät er aber generell von einer Drittimpfung ab: "Ihr Antikörpertiter (Maßzahl für die Menge bestimmter Antikörper im Blut, Anm. d.A.) ist hoch genug."
Der erste Forschungsbericht, der Grenzwerte der Antikörper und den damit einhergehenden Schutz konkret bestimmt, erschien in Nature Medicine. Ein BAU-Wert von 264 schützt demnach zu 80 Prozent vor einer symptomatischen Infektion in den nächsten vier bis sechs Monaten. Ein BAU-Wert von 899 schützt zu 90 Prozent. (Eine Person, die dem Autor gut bekannt ist, hat sechs Monate nach einer Infizierung einen BAU-Wert von 824, gilt aber nach den Bestimmungen Deutschlands dennoch als ungeschützt).
Aber auch eine geringe Anzahl von Antikörpern in den Monaten nach der Infizierung ist kein zwingendes Zeichen für einen abnehmenden Schutz, wie Prof. Dr. Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, auf Anfrage von Telepolis erläutert:
Aus dem Rückgang der mit derzeit üblichen Methoden bestimmten Antikörper, dem so genannten "IgG", kann man nicht auf das Nachlassen eines Immunschutzes schließen. Während das IgG im Laufe einiger Monate abnimmt oder sogar ganz verschwindet, bilden sich Gedächtniszellen, die im Falle einer Corona-Infektion die Immunantwort sehr schnell wieder hochfahren können.
Alexander Kekulé
Ergänzend kann an dieser Stelle noch auf die Stellungnahme des Vorstands der Gesellschaft für Virologie verwiesen werden:
Selbst wenn die bei erneutem Virus-Kontakt noch vorhandenen Antikörperspiegel nicht ausreichend hoch sind, um eine Infektion mit SARS-CoV-2 komplett zu verhindern, kann die schnelle Gedächtnisantwort unseres Immunsystems zumindest dafür sorgen, dass schwere Krankheitsverläufe verhindert werden.
Vorstand der Gesellschaft für Virologie