Digitale Brieftasche: Der Umbruch zum GovTech-Deutschland

Netzwerk für digitale Identität. Bild: WEF (2022): Advancing Digital Agency, The Power of Data Intermediaries (S. 22)

EUDI-Wallet-Einführung bis 2027: Digitalstaat begeistert Union, Grüne und das Weltwirtschaftsforum, dessen Global Government Tech Center in Berlin kürzlich eröffnete. Nur Datenschützer nicht.

Die digitale Identität für alle rückt näher. Die Bundesregierung hat kürzlich ihre Pläne bekanntgegeben, bis 2027 die digitale Brieftasche (European Digital Identity Wallet, EUDI-Wallet) einzuführen.

Die "Wallet" soll es deutschen Staatsbürgern ermöglichen, sich EU-weit digital auszuweisen. Zu diesem Zweck soll sie nicht nur den digitalen Personalausweis beinhalten, sondern auch die Speicherung weiterer amtlicher Dokumente und die Nutzung elektronischer Unterschriften ermöglichen.

Die Pläne zur digitalen Brieftasche stützen sich auf die eIDAS-Verordnung der Europäischen Kommission, deren novellierte "2.0."-Version im Mai 2024 in Kraft getreten ist.

Die Verordnung wird von Digitalrechts-NGOs wie dem österreichischen Verein epicenter.works sowohl für ihre intransparente und undemokratische Ausarbeitung wie auch für ihre datenschutzrechtliche Bedenklichkeit kritisiert.

Parallel zu den Plänen der Bundesregierung hat die Partei Bündnis 90/Grüne Ende September mit der Forderung nach einer "Deutschland-App" noch einmal ihre starke Fürsprache für eine Digitale Identität in der staatlichen Verwaltung untermauert.

Für den Umbruch zum digitalen Verwaltungsstaat interessiert sich aber auch die Union. Und das Weltwirtschaftsforum, das mit Deutschland in diesem Bereich eng zusammenarbeitet.

Sprunginnovationen mit BMW-Erbin

Die eIDAS-2.0.-Verordnung verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, bis 2027 mindestens eine digitale EUDI-Wallet bereitzustellen. Die Einführung der EUDI-Wallet in Deutschland soll schrittweise erfolgen, wobei die Funktionen kontinuierlich erweitert werden.

Neben der staatlichen Lösung sollen auch private Unternehmen (etwa Apple und Google) sowie Stiftungen die Möglichkeit erhalten, eigene EUDI-Wallets zu entwickeln und in Deutschland anerkennen zu lassen. Das soll den Bürgern eine größere Auswahl bieten und Innovationen fördern, heißt es.

Die Bundesregierung arbeitet eng mit der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zusammen, um die Umsetzung in einem transparenten und partizipativen Prozess zu gestalten. Ideen, Konzepte und Code sollen öffentlich zur Kommentierung und Diskussion gestelltwerden, um breite Expertise frühzeitig einzubeziehen.

Mitglied im Aufsichtsrat von SPRIND sind unter anderem BMW-Erbin und ehemals reichste Frau Deutschlands, Susanne Klatten, als Vorstand der (chemie- und wasseraufbereitungs-fokussierten) Industrie-Beteiligungsgesellschaft Skion GmbH sowie der Geschäftsführer des auf die Nutzbarmachung großer Datenmengen ("process mining") spezialisierten Software-Unternehmens Celonis, Remy A. Lazarovici.

Bundesinnenministerin Faeser betont Vorteile

Die EUDI-Wallet soll in verschiedenen Bereichen Anwendung finden, darunter die behördliche Kommunikation, Bankgeschäfte und die Bewerbung um Arbeitsplätze. Sie soll zudem Grenzkontrollen beschleunigen und den Identitätsnachweis im Alltag vereinfachen.

Die Bundesregierung sieht in der EUDI-Wallet einen wichtigen Schritt zur digitalen Transformation und zur Stärkung der digitalen Souveränität Europas.

In der Antwort an eine Anfrage der Unionsfraktion führt die Bundesregierung aus, dass der elektronische Personalausweis (eID) als "Identitätsanker" allerdings noch nicht weit verbreitet sei, was die Akzeptanz der EUDI-Wallet beeinflussen könnte.

Um dem entgegenzuwirken, plant die Bundesregierung die Entwicklung einer mobilen Lösung, die es ermöglicht, den Personalausweis auf das Smartphone zu übertragen. Diese sogenannte Evolutionslösung soll bis Mitte 2025 auf den meisten mobilen Endgeräten verfügbar sein.

Nancy Faeser (SPD) betonte die Vorteile der digitalen Brieftasche: "Bürgerinnen und Bürger sollen ihre Identität schnell, sicher und unkompliziert direkt über ihr Smartphone nachweisen können", so die Bundesinnenministerin.

Die EUDI-Wallet werde kostenfrei verfügbar sein und zur digitalen Inklusion beitragen, indem sie allen Menschen Zugang zu digitalen Diensten ermöglicht, unabhängig von ihrer finanziellen Situation.

Nutzerfeedback sammeln

Die iterative, also schrittweise Entwicklung der EUDI-Wallet soll es ermöglichen, Nutzerfeedback zu sammeln und die Lösung kontinuierlich zu verbessern. Anfangs werde die Wallet laut Bundesregierung vor allem grundlegende Identifikationsfunktionen bieten, die schrittweise erweitert werden sollen.

Die vollständige Funktionalität, einschließlich qualifizierter elektronischer Signaturen und der Präsentation elektronisch bescheinigter Attribute wie Führerscheine oder Hochschulzeugnisse, soll spätestens 24 Monate nach Inkrafttreten der entsprechenden Rechtsakte bereitgestellt werden.

Die Bundesregierung arbeitet nach eigener Aussage in einem breiten Konsultationsprozess, an dem unter anderem das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Bundesdruckerei beteiligt sind, um die technische Umsetzung und Zertifizierung der Wallet sicherzustellen.

Trotz der Herausforderungen, wie der Integration von Hardwarekomponenten und der Sicherstellung der Barrierefreiheit, bleibe das Ziel, ein sicheres und interoperables digitales Identitätssystem für alle Bürger zu schaffen, heißt es in der Replik auf die Anfrage der Union.

Grüne und Weltwirtschaftsforum machen sich stark in Berlin

Am 30. September hat die Bundestagsfraktion der Grünen in einer Pressemitteilung ihrer gleichlautenden Forderung nach einer umfassenden Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen Ausdruck verliehen.

In besagter Pressemitteilung fordert die Partei die Einführung einer "Deutschland-App", die als zentraler Zugangspunkt für alle digitalen Verwaltungsangebote dienen soll.

In dem Schreiben kritisiert die Partei, dass die digitale Verwaltung in Deutschland im internationalen Vergleich stark "hinterherhinke". Sie betont, dass eine zentrale, interoperable Plattform notwendig sei, um die Vielzahl an digitalen Einzelangeboten zu bündeln und effizienter zu gestalten. Dabei soll das Konzept "Government as a Platform" (GaaP) als Leitbild dienen, um eine moderne, modulare und entwicklungsfähige IT-Architektur zu schaffen.

Gleichzeitig aber sollen analoge Zugangswege erhalten bleiben, um die Resilienz der Verwaltung gegen IT-Angriffe zu stärken und "niemanden zurückzulassen".

Am 1. Oktober wurde in Berlin das Global Government Technology Centre (GGTC) eröffnet, das sich ausschließlich der Förderung von GovTech-Lösungen widmet, um die digitale Transformation von Regierungen weltweit zu beschleunigen.

Das GGTC ist eine gemeinsame Gründung des Davoser Weltwirtschaftsforums und dem Verein GovTech Campus Deutschland. Das Weltwirtschaftsforum sieht im GGTC einen "bedeutende(n) Schritt für das Netzwerk des Zentrums der Vierten Industriellen Revolution (C4IR)".

Beim Eröffnungsevent wurden bereits erste Anwendungsfälle präsentiert, darunter Beiträge vom UN World Food Programme und der Regierung der Ukraine, die mit der App "Diia" utopische und dystopische Fantasien gleichermaßen anregte.

Die Möglichkeiten von "GovTech" wurden auch im Bhutan erprobt, dessen Konzept des "Bruttonationalglücks" vom Weltwirtschaftsforum wie auch vom deutschen Kanzler gelobt wurde.

Datenschutzvorgaben ignoriert?

Die österreichische Digitalrechts-NGO epicenter.works setzt sich seit Beginn der eIDAS-Verordnung für eine transparente, datenschutzkonforme und grundrechtskonforme Umsetzung der Digitalen Identität auf EU-Ebene ein.

Gegenüber den Plänen um die EUDI-Wallet hat die NGO zuletzt in einer Pressemitteilung vom 23. September 2024 beziehungsweise einer ausführlichen Analyse vom 9. September 2024 deutliche Bedenken geäußert.

So kritisiert die NGO, dass die EU-Kommission bei der Umsetzung der eIDAS-Verordnung zentrale Datenschutzvorgaben ignoriere und einen unrealistisch schnellen Implementierungsprozess ohne ausreichende demokratische Kontrolle vorantreibe. Dies widerspreche dem Ziel, ein sicheres und vertrauenswürdiges System zu schaffen, das die persönlichen Daten der Bürger schützt.

Die Autoren der Analyse um Thomas Lohninger heben hervor, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Durchführungsrechtsakte viele der vom Europäischen Parlament und dem Rat eingeführten Schutzmaßnahmen übergingen.

Insbesondere fehlten wichtige Bestimmungen, die eine Überidentifizierung und das übermäßige Teilen persönlicher Informationen verhindern sollen.

Dieser Mangel an Schutzmaßnahmen könnte laut epicenter.works dazu führen, dass die Nutzer in einer Situation ähnlich der "Cookie-Banner-Problematik" gefangen sind, in der sie ständig über ihre Privatsphäre entscheiden müssten, ohne eine sinnvolle Wahl zu haben.

Die Organisation fordert die Mitgliedstaaten deshalb dazu auf, die identifizierten Probleme in den Verhandlungen zu den geplanten Durchführungsrechtsakten zu beheben, um sicherzustellen, dass die EUDI-Wallet den Anforderungen der eIDAS-Verordnung gerecht wird und das Vertrauen der Bürger keinen Schaden nimmt.

Epicenter.works betont, dass der Erfolg der EUDI-Wallet entscheidend von robusten Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch persönlicher Daten abhängt.