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Digitale Nomaden: Umworben und verächtet

Steuervorteile für digitale Nomaden locken. Doch Fahnder in Griechenland wittern Betrug. Wie mobile Telearbeiter in Südeuropa und anderswo für soziale Konflikte sorgen.

Im Schatten der modernen Technologie und der Freiheit des Reisens formt sich eine neue Generation von Pionieren – die digitalen Nomaden. Eine unberechenbare Gruppe von Fachkräften, die ihre Arbeit von den entlegensten Orten der Welt aus erledigen und dabei sowohl Bewunderung als auch Kritik ernten.

Die genaue Anzahl dieser wandernden Tech-Experten ist statistisch noch im Dunkeln verborgen, doch ihre Auswirkungen sind in einigen Regionen bereits deutlich sichtbar. Staaten werben um sie, Einheimische kämpfen gegen ihre vermeintliche Verantwortung für Gentrifizierung, und jetzt haben auch Steuerfahnder in Griechenland ein Auge auf sie geworfen.

Ein Pionier in dieser Lebensweise war Steve Roberts, ein freiberuflicher Autor und Unternehmensberater, der 1984 sein gesamtes Hab und Gut packte und sich auf eine epische Reise begab.

Der erste digitale Nomade: Fahrrad mit gut 260 Kilo

Auf einem gut 260 Kilogramm schweren Fahrrad durchquerte er Tausende von Kilometern durch die USA, immer auf der Suche nach einem Ort, an dem er seinen Laptop aufklappen und in Ruhe arbeiten konnte. Heute findet man ihn in einem Hausboot, und seine Geschichte ist nur der Anfang eines Phänomens, das die heutigen digitalen Nomaden antreibt.

Die heutigen digitalen Nomaden lassen sich von bodenständigen Motivationen leiten. Sie arbeiten gerne von Orten aus, an denen sie leben möchten. Südeuropäische Länder wie Italien, Albanien [1], Kroatien, Bulgarien und Portugal locken mit einem angenehmeren Klima im Vergleich zu Nordeuropa, wo ihre Arbeitgeber ansässig sind.

Die digitalen Nomaden können sich die lokalen Lebenshaltungskosten aufgrund der höheren Einkommen in Nordeuropa leisten. Ähnliche Bedingungen gelten für digitale Nomaden aus den USA in Mexiko [2].

Verdrängung der einheimischen Bevölkerung

Die finanzstarken mobilen Telearbeiter tragen zur Verdrängung der einheimischen Bevölkerung bei, da sie höhere Mieten zahlen können und ihre hohen Einkommen eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen.

Die Arbeitsweise der digitalen Nomaden besteht darin, den Laptop aufzuklappen, den Hintergrund für Videokonferenzen zu verschwimmen und die Annehmlichkeiten des ausgewählten Ortes zu genießen, sei es ein Strandcafé oder Ähnliches.

Solange die Internetverbindung für die Arbeit ausreichend ist, gibt es keine Probleme. Doch was in den Augen der digitalen Nomaden als hip gilt, sorgt vor Ort bei den Einheimischen für Ärger.

Die Fremden können sich vieles leisten

Die Fremden können sich teure Supermarktpreise leisten und möblierten Wohnraum, der über Plattformen wie Airbnb und Booking angeboten wird. Lokale Vermieter verdienen mit der Vermietung an digitale Nomaden und Touristen mehr Geld als mit herkömmlichen Mietverträgen für Einheimische.

Die Gentrifizierung stellt lokale soziale und urbane Systeme vor neue Herausforderungen. Infolge der durch die Finanzkrise deregulierten Wohnungsmärkte stiegen in Griechenland zunächst die Mietpreise und anschließend die Immobilienpreise auf bisher nicht gekannte Höhen.

Das Wohnen in Athen kostet mittlerweile so viel wie in deutschen Großstädten. Einheimische Studenten können sich kaum noch in der Nähe der Universitäten niederlassen. Dies hat eine andere Form der Fremdenfeindlichkeit hervorgerufen, da die digitalen Nomaden als Kolonialisten wahrgenommen werden.

19 EU-Staaten locken digitale Nomaden

Das Werben einzelner Staaten um digitale Nomaden ist ein weiterer Anreiz. 19 EU-Staaten erteilen Visa für Telearbeiter aus Drittstaaten, die in einem anderen EU-Land ihren Arbeitsplatz und ihre Sozialversicherung haben.

Nicht-EU-Staaten wie Albanien gestatten EU-Bürgern die visafreie Einreise und gewähren problemlos einen eigens für digitale Nomaden gesetzlich geregelten Aufenthaltstitel. Im Gegensatz zu syrischen, afghanischen oder irakischen Bürgerkriegsflüchtlingen sind die Grenzen für digitale Nomaden oder Investoren offen.

Für digitale Nomaden gibt es, wenn sie sich ordnungsgemäß anmelden, Steuervergünstigungen. In Spanien können digitale Nomaden bis zu drei Jahre lang von einem niedrigeren Steuersatz von 15 Prozent statt 24 Prozent profitieren.

Digitale Nomaden: Das Beispiel Griechenland

In Griechenland wird für zwei Jahre ein Steuerrabatt von 50 Prozent auf die Einkommenssteuer gewährt. Bis Ende August 2023 wurden bereits 4.524 Anträge gestellt, von denen 3.052 genehmigt wurden, wie das Finanzministerium bekannt gab. Dies ist den Finanzbehörden jedoch zu wenig.

Sie vermuten, dass ein Großteil der digitalen Nomaden sich ohne Anmeldung in Griechenland aufhält und ihr Einkommen in günstigeren Staaten versteuert. Dabei umgehen sie auch die für griechische Steuerzahler geltenden Fiktiveinkommen für den Besitz von Kraftfahrzeugen oder anderen beweglichen oder unbeweglichen Vermögenswerten sowie die Kontrolle der Bankkonten.

In Griechenland muss entsprechend dem Reichtum, zu dem auch motorisierte Kraftfahrzeuge gehören, das entsprechende Einkommen nachgewiesen werden. Ist das nicht der Fall, wird eine Steuernachzahlung auf das fehlende fiktive Einkommen fällig.

Und dann kommt die Steuerfahndung

Im Visier der Steuerfahnder [3] stehen nun vor allem griechische Staatsbürger, die ihren steuerlichen Wohnsitz im Ausland haben, aber auch ständige Bewohner, die von Griechenland aus für ausländische oder inländische Unternehmen über Telearbeit tätig sind. Bei Kontrollen müssen sie nachweisen können, dass sie 183 Tage im Jahr im Ausland sind.

Zudem geht der griechische Staat verstärkt gegen die Kurz- und Langzeitvermietung von möbliertem Wohnraum über Internetplattformen vor. Die Kathimerini titelte kürzlich, dass "Airbnb nur bis zu 60 Tagen pro Jahr erlaubt [4]" ist.

Zusätzlich wurde ein Steuergesetz erlassen, das die frühere, nur für Hotels erhobene Übernachtungsabgabe abschafft und eine Klimaresilienzabgabe auch auf Airbnb-Unterkünfte einführt. Diese kann bis zu zehn Euro pro Tag betragen.

Immobilienbesitzer, die mehr als zwei möblierte Wohnobjekte als touristische Unterkünfte vermieten, müssen ein Gewerbe anmelden. Damit schränken sich die Möglichkeiten für digitale Nomaden, unter dem Radar des Fiskus ohne Anmeldung im Land zu leben, weiter ein. Denn für einen konventionellen Mietvertrag wäre eine behördliche Anmeldung erforderlich.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9578385

Links in diesem Artikel:
[1] https://northernalbania.com/digital-nomad-albania/
[2] https://www.fr.de/panorama/gentrifizierung-in-mexiko-city-wer-kann-sich-das-leisten-92522582.html
[3] https://www.kathimerini.gr/economy/562746643/psachnei-xenitemenoys-forofygades-i-aade/
[4] https://www.kathimerini.gr/society/562785667/airbnb-eos-60-imeres-ton-chrono/