Digitale Wahlmanipulation: "Die KI baut die Persönlichkeit"

Seite 2: Das Jahr 2042

Sie sehen Ihren Roman als Science Fiction. Bei Science-Fiction-Literatur gibt es eine gewisse Distanz zur Gegenwart. Wie groß ist diese bei "Der Kandidat"?

Christian J. Meier: Die zeitliche Distanz ist knapp 20 Jahre. Sprich: Die Handlung spielt im Jahr 2042. Die technologische Distanz ist ziemlich groß. Diese Tiefe an KI-Manipulation gibt es bei Weitem noch nicht.

Die Carin-Software ist eine sehr mächtige KI. Sie hat einen irren Datenpool zur Verfügung, den es in dieser Gestalt meiner Kenntnis nach noch nicht gibt. In meinem Roman funktioniert bereits das Internet der Dinge. Das heißt, die Menschen interagieren mit ihren Hausgeräten und die Daten fließen irgendwo hin.

Offiziell gibt es keinen großen Datenpool, sondern die Firmen, die diese Geräte herstellen, verwalten diese Daten. Hinter diesen Firmen fließen die Daten dann doch zusammen. Da ist eine Menge an Verhaltensdaten im Spiel, die es derzeit meines Erachtens noch nicht gibt, weil das Internet der Dinge noch nicht so weit vorgedrungen ist. Wenn wir Kaffee kochen, dann landen diese Verhaltensdaten nicht unbedingt im Netz.

Die großen Techfirmen haben zwar riesige Datenmengen, aber nicht so umfassend. Carin hat aber Zugriff auf das alles und kann entsprechend Muster in diesen umfassenden Verhaltensdaten suchen. Daraufhin kann sie sehr feinkörnige Persönlichkeitsdaten der Personen anfertigen.

Dies ist ganz klar ein Science-Fiction-Anteil, dass eine KI ein so sehr individualisiertes Micro-Targeting erlaubt. Heute ordnet man die Menschen in Gruppen ein, in meinem Roman ist diese Gruppe reduziert auf 1. Das ist ins Extreme gedacht. Ob das jemals so krass sein wird, weiß ich nicht. Aber wenn man die Diskussionen von Experten zu dieser Thematik anschaut, dann ist das als Drohkulisse vorhanden.

Das Internet der Dinge greift in den Alltag der Menschen ein. Neue Technologien sind meist erfolgreich, wenn sie Dinge des Alltags einfacher machen. Über diese Gewöhnungsschiene könnte das sich gesellschaftlich durchsetzen. Oder was denken Sie?

Christian J. Meier: Die Menschen im Roman denken da aber anders. Die offizielle Regelung dort ist ja, dass diese Daten offiziell nicht in einen Pool fließen dürfen. Das wird inoffiziell von den Firmen zusammengeführt, die ein Interesse haben, einen größeren Datenpool zu haben, um ihre Algorithmen besser entwickeln zu können.

Es ist so ähnlich wie mit den Deepfakes, dass man nicht damit rechnet. Man denkt, das ist alles super geregelt und das kann alles nicht passieren, und dann passiert es eben doch. Die Idee ist: Man bezahlt dann auch für diese Services. Man zahlt für das Gerät. Ich kann mir eine solche Internet-der-Dinge-Maschine oder eine normale Kaffeemaschine kaufen.

Man hat in dieser fiktionalen Welt eigentlich Freiheiten. Man bezahlt nicht mit der Preisgabe der eigenen Daten, sondern mit mehr Geld für diese besondere, mit dem Internet verbundene Kaffeemaschine. Und denkt, man wäre damit datenmäßig auf der sicheren Seite. Ist man aber nicht.

Belohnungen, Strafen und korrektes Funktionieren

Kann man das gesellschaftlichen Fortschritt nennen?

Christian J. Meier: Nicht unbedingt. Aber in der Form, wie es in meinem Roman umgesetzt ist, finde ich es diskutabel, weil man weiterhin Freiheiten hat. Wenn wir das Beispiel Impfen aufgreifen: Dort gibt es keine Impfpflicht. Das ist überhaupt kein Thema. Sondern eine Belohnung. Man erhält Geld, weil man sich impfen lässt. Man wird aber nicht dadurch motiviert, dass man andere schützt, indem ich mich jetzt impfen lasse. Im Sinne von: Ich tue etwas für die Gesellschaft.

Wir haben dann keinen mündigen Bürger, sondern jemand, der zum korrekten Funktionieren gebracht wird. Durch Anreize oder Strafen. Das ist ja beides. Es gibt Boni und es gibt Maluse. Es ist nicht so schlimm wie das System in China, wo es vielleicht eher ums Wohlverhalten im sittlichen Sinne geht. Natürlich auch politisch, weil man in China nicht offen gegen die Regierung sprechen darf.

Eigentlich ist man in meinem Roman frei. Dadurch, dass viele die finanziellen Boni brauchen, um die Miete zu bezahlen, ist man es dann aber doch nicht. Und diese Unfreiheit ist es letztlich, die viele Wähler zum Kandidaten Boris Riemann treibt.

Ein ambivalentes Thema. Besten Dank für das ausführliche Gespräch.

Christian J. Meier: Gerne.

Christian J. Meier
Der Kandidat
416 Seiten, 12,95 Euro
ISBN: ‎ 978-3947619610

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