Digitaler Euro: Zwischen Verschwörung und berechtigter Sorge

Philipp Fess
Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, am Rednerpult. Im Hintergrund die EU-Sternenflagge.

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB. Bild: © European Union 2025 - Source : EP, Fotograf: Alexis Haulot

ARD-Faktenfinder stellt Kritik an der EZB-Währung in den Kontext rechter Verschwörungserzählungen – dabei gibt es auch seriöse Bedenken. Analyse.

Der Weg zum digitalen Euro nimmt zunehmend Gestalt an. Doch noch ist es zu früh, um eine klare Einschätzung dazu abzugeben, wohin die Reise wirklich geht. Das gilt aber sowohl für Befürchtungen wie auch für Beschwichtigungen.

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat die Gesetzgeber der Europäischen Union Anfang März dazu aufgefordert, bis Oktober den rechtlichen Rahmen für die Einführung des digitalen Euro zu schaffen.

Ursprünglich war der November 2025 als Termin angesetzt. In der aktuellen Vorbereitungsphase sollen das Regelwerk und die Infrastruktur für den digitalen Euro ausgearbeitet werden. Erst auf dieser Rechtsgrundlage kann der EZB-Rat schlussendlich über die Einführung befinden.

Seine endgültige Entscheidung wird er voraussichtlich nicht vor dem ersten Halbjahr 2026 treffen, die Einführung erfolgt wohl frühestens in den Jahren 2027 oder 2028.

Faktenchecks warnen vor "Verschwörungserzählungen"

In Faktenchecks haben die Tagesschau und die Deutsche Presse Agentur (dpa) vor voreiligen Schlüssen gewarnt und sich bemüht, "Verschwörungserzählungen" rund um die Einführung des digitalen Zentralbankgeldes zu entkräften.

Zu diesen "Verschwörungserzählungen" zählt der Tagesschau-Faktenfinder Befürchtungen, wonach der digitale Euro staatliche Überwachung begünstigen und das Bargeld als Zahlungsmittel ersetzen könne.

In den USA hat Präsident Donald Trump derweil aus ähnlichen Gründen dem "digital Dollar" als "gefährliche Bedrohung der Freiheit" eine klare Absage erteilt.

Kritiker mutmaßen allerdings, dass die Trump-Regierung nicht die Bürger, sondern lediglich die privaten Zahlungsdienstleister vor allzu großer Konkurrenz schützen will.

Kritik von Antisemiten und AfD-Anhängern

Der ARD-Faktenfinder zeichnet ein vermeintlich klares Bild der Klientel, die entsprechende Befürchtungen äußert.

So bemüht Politikwissenschaftler Jan Rathje vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) einen Vergleich mit den Narrativen rund um die gefälschten und antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion".

Rathje beschließt den Faktenfinder-Artikel mit einem Verweis auf das AfD-Parteiprogramm und seinem Urteil, dass die Partei damit "Ängste schüren" und "unterkomplexe Lösungen oder Weltbilder (…) präsentieren" wolle.

Den möglichen Eindruck, wonach vornehmlich Antisemiten und AfD-Anhänger – denn warum sonst, fragt man sich, kämen diese so prominent im Artikel vor? – digitalen Zentralbankwährungen kritisch gegenüberstehen, relativiert der Faktenfinder allerdings selbst, wenn er darauf verweist, wie die Volksrepublik China die "everything app" WeChat nutze, um ihre autoritäre Staatsführung durchzusetzen und das Verhalten der Bevölkerung zu kontrollieren und zu überwachen.

Erwähnung findet in diesem Zusammenhang auch das Vorhaben des Tech-Milliardärs Elon Musk, die Plattform X nach dem Vorbild von WeChat umzubauen (ein Umstand, auf den Telepolis in einer Serie zur Technokratie eingegangen ist).

An die Adresse der EU richtet der Faktenfinder seine Bedenken allerdings nicht.

Schutz-Versprechen der EU-Kommission

Telepolis hat sich allerdings schon mehrfach damit auseinandergesetzt, warum die Versprechen der EU-Kommission, das digitale Geld mit dem Schutz persönlicher Daten zu vereinen und das Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel abzusichern, noch lange nicht als eingelöst gelten können.

Unter den zitierten Kritikern finden sich – mit Digitalrechtsorganisationen wie netzpolitik.org und der österreichischen NGO epicenter.works – auch solche, die nicht im Verdacht stehen, der AfD zuzuneigen, geschweige denn Antisemiten zu sein. Und dann ist da noch Edward Snowdens Warnung vor dem "Kryptofaschismus".

In den oben aufgeführten Artikeln finden Sie Informationen darüber, welche großen Erwartungen mit der weltweiten Einführung von digitalem Zentralbankgeld verbunden sind ("ein neues Bretton-Woods") und wieso die Versprechen der EU-Kommission sich eben doch noch als leere Versprechen entpuppen könnten.

Einen Vorgeschmack dazu gibt übrigens auch der Faktenfinder, wenn er den Professor für Finanzwirtschaft und Finanztechnologie an der TU Dresden, Lars Hornuf, indirekt mit den folgenden Worten zitiert:

Generell hänge viel davon ab, wie anonym der digitale Euro am Ende ausgestaltet werde, sagt Hornuf. Das sei vor allem eine technische Frage. Je anonymer der digitale Euro, desto höher der Datenschutz. Allerdings würde es dadurch auch schwerer werden, illegale Machenschaften nachzuverfolgen.

Tagesschau, Faktenfinder: Wie mit dem digitalen Euro Ängste geschürt werden

Wer sich in Erinnerung ruft, wie die EU-Kommission auch für die stark umstrittenen Entwürfe zur Chatkontrolle oder der biometrischen Überwachung argumentierte – nämlich mit der Verhinderung schwerer Straftaten bzw. dem hoch emotionalisierenden Kampf gegen Pädokriminalität –, sieht den digitalen Euro vielleicht etwas skeptischer. Und zwar, ohne gleich den "Protokollen der Weisen von Zion" Glauben zu schenken.

Zumal: Wenn sich der Blick auf die Kritik am digitalen Euro so verengen lässt, müssten auch innerhalb der designierten Regierungsparteien CDU/CSU reihenweise Antisemiten zu finden sein (auch wenn das angesichts ihrer schier bedingungslosen Unterstützung der rechtsnationalen Regierung in Israel kaum denkbar erscheint).

Warum?

Die unsichere Zukunft des Bargelds

Die Unionsfraktion hatte im vergangenen Oktober in einer kleinen Anfrage an die damalige Bundesregierung folgende Frage gestellt, die doch sehr nach einer befürchteten – zwar nicht Abschaffung, aber eben treffgenauer: Verdrängung – des Bargelds klingt:

Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass Einschränkungen beim Zugang zu Bargeld und dessen Akzeptanz dazu führen könnten, dass die Wahlfreiheit zwischen Bargeld und unbaren Zahlungsmitteln langfristig nicht mehr gewährleistet ist?

Aus der Anfrage der Unionsfraktion

In der Antwort verweist das Bundesfinanzministerium auf den Legislativvorschlag der EU-Kommission vom 28. Juni 2023, der vorsehe, das Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel dauerhaft zu schützen.

Telepolis hatte über genau diesen Vorschlag bereits berichtet und die Kritik angeführt, dass zwar formal ein Schutz des Bargelds angestrebt wird, dennoch eine faktische Verdrängung durch "attraktivere" Formen der Bezahlung billigend in Kauf genommen wird – nicht zuletzt durch eine Pflicht zur Annahme der Digitalwährung, die gegenüber Banknoten (bislang noch) nicht besteht.

Schon heute sind einige – insbesondere staatliche – Dienstleistungen nicht mehr in bar bezahlbar. Den meisten kommt dabei wohl die Steuer, der Rundfunkbeitrag oder das 49-Euro-Ticket in den Sinn.

Auch dazu, bzw. zur Annahme von Bargeld durch staatliche Stellen auf Bundesebene, hat die Unionsfraktion eine entscheidende Frage gestellt. Die Antwort des Bundesfinanzministeriums ist mehr als aufschlussreich, was die Richtung angeht, die der Zahlungsverkehr in Deutschland in Zukunft einschlagen könnte. Deshalb zitieren wir hier ausführlich aus der Antwort und fetten Stellen, die zum Nachdenken anregen können.

Mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift für Zahlungen, Buchführung und Rechnungslegung (…) zum 1. Februar 2005 sind (…) grundsätzlich nur noch unbare Zahlungswege für die Bundesverwaltung zulässig. Gründe hierfür sind insbesondere:

• Unbarer Zahlungsverkehr war zu diesem Zeitpunkt bereits weit verbreitet. Der grundsätzliche Ausschluss von barem Zahlungsverkehr war verhältnismäßig für die Erhebung oder Leistung von Zahlungen auf Bundesebene und war auch im Interesse der Wirtschaftlichkeit (§ 7 BHO) geboten, weil die Umstellung auf unbaren Zahlungsverkehr Kosten für die öffentliche Verwaltung und damit letztlich für die Bürgerinnen und Bürger reduziert.

Die Annahme und die Leistung von Zahlungen in bar stehen der Automatisierung des Zahlungsverkehrs entgegen. Die Automatisierung des Zahlungsverkehrs ist die Voraussetzung zu dessen Digitalisierung, die von der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürgern gewünscht wird.

• Die Annahme und die Leistung von Zahlungen in bar stellt ein dauerhaftes Risiko für die Kassensicherheit und für die Sicherheit der eigenen Beschäftigten dar und ist daher aus Sicherheitserwägungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Unionsfraktion

Besonders die Argumentation im zweiten Punkt hat das Potenzial, über die Zahlungsabwicklung innerhalb der Bundesverwaltung hinauszuweisen: Eine Mehrheit wünscht sich Bequemlichkeit, deshalb muss eine Minderheit auf ihre Freiheit verzichten.

Noch – das musste selbst das Bundesfinanzministerium in seiner Antwort bekennen – erfreut sich Bargeld allerdings in der Bundesrepublik der größten Beliebtheit. Zugleich nimmt das Ministerium allerdings Bezug auf eine Studie der Deutschen Bundesbank, der einen negativen Trend in der Bargeldnutzung verzeichnet.

Die Frage ist, wie "naturwüchsig" dieser Trend ist, wenn es – der obigen Argumentation folgend – immer weniger Möglichkeiten zur Barzahlung gibt und die "digitale Brieftasche" zur kostengünstigsten/bequemsten Lösung und damit zur Voraussetzung wird, nicht nur, um sich auszuweisen, sondern auch, um Dienstleistungen aller Art in Anspruch zu nehmen.

Besonders diejenigen einer Regierung, die – wie die deutsche, in Zusammenarbeit mit Privatunternehmen und dem Weltwirtschaftsforum – zunehmend auf "gov-tech" setzt.