Digitales für Sessel-Athleten
Olympische Spiele als Videogame
Da war es plötzlich geschehen. Das komplette olympische Team aus Togo nicht mehr aufzufinden. Kurze Zeit später waren 27 Athleten/innen nicht mehr in der olympischen Aufstellung der Volksrepublik China und wer jetzt nichts Böses vermutet, könnte fast meinen, all diese Sportler hätten wegen zwei Videospielen den Kampf um Medaillen und Ehre abgesagt. Warum anstrengen, wenn man am heimischen Reisteller auch vom Turm springen, Kugel stoßen oder Kajak fahren kann? Genau das versprechen "Virtua Athlete 2K" und "Sydney 2000", die beide für die Sega-Spielkonsole Dreamcast erschienen sind, wobei letzteres als offizielles Videospiel zu den Olympischen Spielen von der Firma Eidos auch für fast alle anderen Systeme wie PlayStation oder PC erhältlich ist.
Doch können die virtuellen Surrogate den gerade beginnenden Spielen wirklich Konkurrenz machen? Der Sega-Titel "Virtua Athlete 2K" scheint auf den ersten Blick durch seine sehr gute graphische Darstellung und die detailliert programmierten Stadionumgebungen und Sportler die richtige Wahl zu sein. Zwar ist die Steuerung der nur männlichen Athleten mit dem Dreamcast-Contoller eine fast eigene olympische Herausforderung, doch gerade mit bis zu maximal drei weiteren Mitspielern macht der Wettkampf wirklich großen Spaß. Enttäuschend dagegen die spärliche Disziplinauswahl: 100 Sprint und 1500 Meter Rennen, Kugelstoßen, 110 Meter Hürdenlauf, Speerwurf, Weit- und Hochsprung. Besonders der Hürdenlauf ist dabei mit seiner gleichzeitigen Koordination von Laufen und Springen ein kniffliges Stück Fingerarbeit. Doch prinzipiell hat man schon nach weniger als 10 Minuten als einzelner Teilnehmer "Virtua Athlete 2K" durchgespielt und kann danach das Glück lediglich in der Verbesserung seiner Zeiten und Platzierungen suchen. Bei durchschnittlichen Preisen um 100 DM pro Dreamcast-Spiel ist solch beschränktes Gameplay schon etwas dreist.
Dabei verwundert die mangelnde Flexibilität, da doch aus dem gleichen Programmierhaushalt auch "Virtua Tennis" stammt, das wirklich alle Bestnoten verdient hat. Dabei darf man gar nicht mal Spektakuläres erwarten, aber in Animation und Gameplay überzeugt diese Tennis-Simulation durch ihren schlichten Realitätsansatz, der selbst die berühmten Hechtrollen oder Zeitlupenwiederholungen hinbekommt. Sehr unterhaltsam auch der Kampf gegen mehrere Ballwurfmaschinen. Noch dieses Jahr wird dieses Game in Japan als Onlineversion herauskommen und mit Sicherheit dann noch mehr feste Ballsportfreunde finden. Einziger Kritikpunkt müsste die wohl etwas beschränkte Spielerauswahl sein. Neben Jim Courrier, Tommy Haas oder Carlos Moya fehlen andere bekannte Gesichter wie Pete Sampras oder Andre Agassi. Ganz zu schweigen von Spielerinnen wie Anna Kournikova oder Steffi Graf, deren Geschlecht erst gar nicht vorkommt. Und was hätte es Schöneres gegeben, als Andre und Steffi mal ein paar digitale Bälle spielen zu sehen?
Beim offiziellen Videospiel zu den Olympischen Spielen ist die sportliche Bandbreite generell etwas größer: Hier tritt der geneigte Sesselathlet neben den sechs klassischen Leichtathletik-Disziplinen auch noch bei Wassersportarten wie Kajak-Slalom, Turmspringen und 100 Meter Freistil an. Andere Sportarten wie Radfahren, Tontaubenschießen und Gewichtheben runden das Spektrum der Leistungsbeweise ab. Im Olympia-Modus kann man seinen Sportler individuell trainieren und an Kraft, Moral und Ausdauer feilen. Graphisch holt "Sydney 2000" nicht so viel aus den Möglichkeiten der 128-Bit Dreamcast heraus und die Sportler wirken noch zu kantig, um glaubwürdigen Sportspaß aufkommen zu lassen. Auch sonst vermisst man für einen offiziellen Spieltitel die passende Olympiastimmung des fünften Kontinent, auch wenn die beiden deutschen Moderatoren Gerhard Delling (ZDF) und Thomas Wark (ZDF) sich mit vorgefertigten Kommentaren um Reporterstimmung bemühen.
Sehr seltsam darf es auch anmuten, wenn die Sportler zu duften Breakbeats die Lenden schwingen, was dann doch als seltsame Musikauswahl gelten darf. Mangelhaft auch, dass andere olympische Disziplinen wie Segeln, Mountainbike oder Taekwando völlig fehlen. Und Hardcore-Olympioniken würden wohl auch noch Trampolin verlangen. Beide Spiele erweitern Ihren Spielreiz aber durch die Möglichkeit, eigene Zeiten und Daten in direkten Vergleich zu setzen. Ein High-Score-Contest auf der Eidos-Website verspricht für beweisbare Spitzenplätze Reisen und High-Tech-Preise und auch die eigenen Ergebnisse von "Virtua Athlete 2K" können auf dem Sega-Internetportal Dreamarena ausgetauscht werden. Nur das Doping ist in beiden Games nicht erlaubt und das wird jedenfalls die 27 Chinesen vor dem heimischen Reistopf wieder an Sydney erinnern!