Diyarbakir - Stadt-Zerstörung und Enteignung

Seite 2: Weltkulturerbe dem Erdboden gleichgemacht

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Auf dem Satellitenfoto vom Mai 2016 ist gut zu erkennen, dass mindestens zehn Hektar eng bebautes Gelände dem Erdboden gleichgemacht wurde. 832 Gebäude wurden komplett und 257 Gebäude teilweise zerstört. In den engen Straßenzügen wurden teilweise die Häuser beidseitig abgerissen, damit das Militär und die schweren Baufahrzeuge Zugang zum Stadtteil bekamen.

Seitdem hat keiner mehr Zugang außer Militär und Bautrupps. Selbst das UNESCO-Kulturstättenmanagement von Sur, das bei der von der HDP/BDP regierten Provinzverwaltung angesiedelt war, hat keinen Zugang, um sich ein Bild über den Zustand des Weltkulturerbes zu machen. Die UNESCO hielt sich trotz internationaler Proteste mit Kritik an der Regierung sehr zurück, um keine diplomatischen Konflikte zu riskieren obwohl es sich in Sur um die systematische und umfangreiche Zerstörung einer eigenen Welterbestätte durch ein Mitglied der UNESCO handelt. Ein einmaliger Vorgang.

Dies berichtet der Mitarbeiter des UNESCO-Kulturstättenmanagement, Ercan Ayboga im Kurdistan Report Nr. 193. Lediglich ein Masterplan für die Zukunft Suricis und ein Bericht bis Ende 2018 wird von der Türkei erwartet. Bis dahin könnte es schon zu spät und die komplette Altstadt und das Tigristal mit den Hevsel-Gärten irreparabel zerstört sein. Denn ein weiteres Satellitenfoto aus dem August 2016 zeigte, dass mittlerweile schon 20 Hektar und 1519 Gebäude, darunter 89 denkmalgeschützte Gebäude, völlig zerstört waren. 40 historische Gebäude waren teilweise zerstört, 41 ernsthaft beschädigt.

Das berühmteste historische Gebäude ist die Hasirli-Moschee. Sie ist komplett zerstört worden. Die berühmte Kursunlu-Moschee, das Pasa-Hamam (Badehaus), die größte armenische Kirche, die Surp-Giragos-Kathedrale mit ihren angrenzenden denkmalgeschützten Geschäften und die armenisch-katholische Kirche, alles auch touristische Highlights, sind ebenfalls teilweise zerstört.

Die armenische Surp-Giragos-Kathedrale wurde gerade erst wieder aufwendig von den dort ansässigen Armeniern mit Hilfe der HDP-Provinzverwaltung restauriert. Mit der Wiedereröffnung der ehemals größten armenischen Kirche im Mittleren Osten erhofften sich die Armenier die Wiederbelebung ihrer Religion und Kultur in der Türkei. Die HDP/BDP Stadtverwaltung unterstützte dieses Anliegen, denn das östliche Stadtviertel von Sur war ursprünglich das armenische Viertel. Die armenische Zeitung Armenian Weekly zeigt in ihrer Ausgabe vom 1. September 2017 das Ausmaß der Zerstörung und Plünderung im Juli 2017.

Wegen der Enteignungen in der Altstadt ist nicht davon auszugehen, dass die türkische Regierung diese Gebäude wieder originalgetreu aufbaut. Offensichtlich sollen die kurdische, christliche und armenische Geschichte ausgetilgt werden. Verloren geht dabei auch das für Sur charakteristische Handwerk und die Handelsstruktur der Armenier und Assyrer von Surici.

Foto der Provinzverwaltung: Satellitenfoto vom August 2016

Im September 2016 wurden den Provinzverwaltungen alle Denkmalschutzstättenmanagements entzogen und direkt dem Kultusministerium unterstellt. Im Oktober 2016 wurden die Ko-Bürgermeister von Diyarbakir verhaftet und die Stadt wurde unter Zwangsverwaltung gestellt. Die meisten städtischen Angestellten verloren daraufhin ihren Job und wurden gegen Erdogan-treue Angestellte ausgetauscht.

Fotos, die aus landenden Passagierflugzeugen aufgenommen werden konnten, zeigten die fortschreitende Zerstörung von Sur. Im Mai 2017 waren schon 35-40 Hektar und ca. 2500 Gebäude komplett zerstört.

Foto aus einem landenden Flugzeug. Bild: Ercan Ayboga vom 4.Mai 2017

Im Mai 2017 weitete die Regierung den Abriss auf die südwestlichen Teile der Altstadt, auf die Stadtteile Lalebey und Ali Pasa, aus. 500 Familien wurde mitgeteilt, sie hätten innerhalb von zwei Wochen ihre enteigneten Häuser zu verlassen. Bis heute widersetzen sich die Familien der Aufforderung.

Eine in Sur gedrehte Videodokumentation in den noch frei zugänglichen Teilen gibt einen Einblick, was die dort lebenden Menschen durchmachen mussten und müssen: Alle Türen zu ihren Häusern wurden aufgebrochen, Wasser und Strom wurden abgestellt, überall sind Polizei und Militär postiert. Viele Menschen geben die Hoffnung auf Besserung auf und verlassen die Stadt.