"Dolly plus": Blutspende vom Klonkalb
Farmende Forscher aus Deutschland und Österreich haben Kälber geklont, die einen Antikörper produzieren, den es gar nicht gibt
Künstlich hergestellte Antikörper sind schwer im Kommen in der Medizin. In den letzten Monaten und Jahren zugelassen wurden unter anderem Moleküle, die die Blutgerinnung hemmen, rheumatische Erkrankungen lindern und Krebszellen angreifen. Hergestellt werden sie meist mittels genetisch veränderter Zellkulturen. Doch die Petrischale bekommt Konkurrenz - von süddeutschen Klonkälbern.
Bakterien stehen nicht besonders auf Antikörper vom Reißbrett
Theoretisch am einfachsten ist die Gewinnung von künstlichen (oder naturidentischen) Eiweißen mit Hilfe von Bakterien oder Hefepilzen, denen die Gene für die zu erzeugenden Moleküle mittels Gentransfer eingepflanzt werden. Humaninsulin zum Beispiel wird oft von Hefen produziert, die mit dem menschlichen Gen für das den Zuckergehalt im Blut senkende Hormon Insulin "aufgerüstet" wurden. Diese Methode klappt ausgezeichnet bei unkomplizierten Molekülen wie eben Insulin. Sie hat allerdings Grenzen, wenn etwas komplexere Strukturen gewünscht sind.
Antikörper sind solche etwas komplexeren Strukturen. Das gilt schon für jene Millionen, mit denen das Immunsystem tagein, tagaus arbeitet, erst recht aber für so genannte Designer-Antikörper, die es in der Natur nicht gibt und die von Wissenschaftlern am Reißbrett für einen Einsatz in der Medizin entworfen werden.
Natürliche Antikörper sind in aller Regel monospezifisch, das heißt egal wie viele Andockstellen ("F-ab-Fragmente") für körperfremdes Material sie auch haben, innerhalb eines Moleküls sind diese Andockstellen (meist) identisch. Natürliche Antikörper haben außerdem einen unspezifischen Arm, das F-c-Fragment, das an Immunzellen binden kann. Designer-Antikörper können nun anders als ihre natürlichen Vettern auch bispezifisch sein: Sie haben dann zwei Enden, die an unterschiedliche, genau definierte Zielstrukturen binden, zum Beispiel an Oberflächenstrukturen auf einer Tumorzelle und an ganz genau definierte Moleküle auf der Außenseite von Immunzellen. Ist auf diese Art eine Brücke hergestellt, dann können die Immunzellen die Tumorzelle vernichten, so die Theorie.
Ein bispezifischer Antikörper als Hautkrebsterminator
Eine Arbeitsgruppe um Gundram Jung vom Institut für Zellbiologie der Universität Tübingen ist seit einiger Zeit im Besitz eines solchen Antikörpers, der am einen Ende an Hautkrebszellen, am anderen Ende an T-Zellen bindet und diese dazu bewegt, die jeweils gebundene Tumorzelle zu terminieren. Das Problem: Er ließ sich bisher in Säugetier-Zellkulturen nicht in für klinische Studien ausreichender Menge herstellen. Die einzige Alternative für die Massenproduktion, die chemische Synthese, produzierte nur Antikörper von geringerer Qualität.
Die Tübinger klopften deswegen bei der Firma Agrobiogen, beim Institut für molekulare Tierzucht der LMU München und beim Institut für Tierzucht und Genetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien an und holten sich Rat für das reproduktive Klonen, das im Zusammenhang mit der Herstellung therapeutischer Eiweißstoffe auch "Farming" oder "Pharming" genannt wird. Aus der Kooperation hervor ging eine kleine Herde Kälber, die zumindest im Blut recht erkleckliche Mengen des gewünschten Antikörpers produzieren, nämlich etwa 100 Milligramm pro Liter entnommenes Serum, wie die Autoren in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences berichten
Klonlotto-Quote: 11 aus 309
Die Methode, nach der die Wissenschaftler ihre Kälber schufen, ist angelehnt an das Dolly-Verfahren von Klonvater Ian Wilmut vom schottischen Roslin Institute. Der Unterschied freilich ist, dass bei den deutsch-österreichischen Kälbern anders als bei Dolly nicht Zellen eines erwachsenen Tiers Quelle der für das Klonen nötigen Zellkerne waren, sondern embryonale Bindegewebsvorläuferzellen, sogenannte Fibroblasten, die zuvor mit dem Genkonstrukt ausgestattet wurden, welches zur Expression des gewünschten bispezifischen Antikörpers führte. Mit diesem Verfahren sind die Erfolgschancen in der Klonlotterie etwas höher, wenn auch noch immer nicht berauschend: Aus 309 Zellkerntransfers in entkernte Eizellen wurden 96 Embryonen, von denen 77 in insgesamt 31 Leihmütter verpflanzt wurden. Davon wurden 13 schließlich schwanger und brachten immerhin elf lebende Nachkommen zur Welt.
Wilmut selber war auf die Idee mit den embryonalen Zellkernspendern freilich auch schon selbst gekommen und hatte bereits 1997 die transgene Dolly-Cousine Polly geklont, die in ihrer Milch den Blutgerinnungsfaktor IX produzierte. Der allerdings ist ein recht einfaches Molekül. Auch Jung und seine Kollegen wollen jetzt erst einmal warten, ob ihr Designer-Antikörper nicht auch in die Milch sezerniert wird, was die Eiweißernte beträchtlich steigern dürfte. Parallel laufen Tierversuche, in denen die therapeutische Wirksamkeit des Antikörpers weiter untersucht wird. Die erste Studie mit menschlichen Hautkrebspatienten ist in Planung.