Dominanz der USA, Russlands Autarkie und Chinas Aufstieg: Die Realitäten des Waffenhandels 2024

Lars Lange
US-amerikanische Flagge mit Dollars, Kugeln, Schalen, Patronen und Geschossen darauf.

Bild: Shutterstock.com

Friedensforschungsinstitut Sipri: USA bauen Top-Stellung im globalen Waffenhandel mit 43 Prozent Marktanteil aus. Europa rüstet massiv auf. Analyse.

Der weltweite Handel mit schweren Waffen blieb im Zeitraum 2020 bis 2024 nahezu konstant im Vergleich zu den Vorjahren. Laut dem aktuellen Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri verringerte sich das Gesamtvolumen lediglich um 0,6 Prozent.

US-amerikanische Dominanz

Die beherrschende Entwicklung ist jedoch die massive Ausweitung der US-amerikanischen Dominanz auf dem globalen Waffenmarkt. Mit einem Anteil von 43 Prozent – fast der Hälfte des gesamten internationalen Waffenhandels – haben die USA ihre Position deutlich ausgebaut.

Die Steigerung um 21 Prozent im Vergleich zum vorherigen Berichtszeitraum übertrifft die Entwicklung aller anderen großen Top-5 Exportnationen. Der Umfang der US-amerikanischen Waffenexporte ist inzwischen so groß wie derjenige der nächsten acht größten Exporteure zusammen.

Massive Zunahme von Waffenimporten in Europa

Parallel dazu zeigen die Daten dramatische regionale Verschiebungen, insbesondere die massive Zunahme von Waffenimporten in Europa, die um 155 Prozent anstieg. Die Ukraine hat sich mit einem beispiellosen Anstieg der Importe um über 9.600 Prozent zum weltweit größten Waffenimporteur entwickelt, gefolgt von Indien, Katar, Saudi-Arabien und Pakistan.

Während die USA Waffen in 107 Staaten exportieren, kann Russland nur auf wenige Kernmärkte setzen. Die USA verlagerten ihren Fokus vom Nahen Osten (von 49 Prozent auf 33 Prozent) nach Europa, das mit 35 Prozent US-Exportanteil erstmals seit zwei Jahrzehnten Hauptempfänger wurde.

Frankreich behauptete den zweiten Platz mit starken Lieferungen an Indien (28 Prozent) und wachsender Präsenz in Europa. Italien überraschte mit einem Anstieg von 138 Prozent und konzentrierte 71 Prozent seiner Exporte auf den Nahen Osten.

Gamechanger Ukraine-Krieg

Die regionalen Verschiebungen im Waffenhandel zeichnen ein präzises Bild der aktuellen Konfliktherde und geopolitischen Spannungsfelder. In Europa veränderte der Ukraine-Krieg die Rüstungslandschaft grundlegend. Die Ukraine wurde mit einem Anstieg der Importe um über 9.600 Prozent zum größten Waffenimporteur weltweit, wobei 45 Prozent dieser Importe aus den USA stammten.

Bemerkenswert ist, dass 71 Prozent der US-amerikanischen Lieferungen gebrauchte Waffen aus Altbeständen waren. Diese Praxis ermöglicht es den USA, ältere Waffensysteme abzugeben und gleichzeitig ihre eigenen Arsenale mit moderneren Systemen aufzufüllen – ein wirtschaftlich vorteilhaftes Modell für die amerikanische Rüstungsindustrie.

Bedeutender Waffenimporteur Polen

Polen hat sich als bedeutender Waffenimporteur in Europa etabliert und bezieht modernste Systeme sowohl aus den USA als auch in bemerkenswertem Umfang aus Südkorea.

Der Kauf von K2-Panzern und FA-50-Kampfflugzeugen aus Südkorea macht 42 Prozent der polnischen Importe aus – ein Novum für einen Nato-Staat und Zeichen einer sich diversifizierenden Beschaffungsstrategie innerhalb des Bündnisses.

Auch Indien diversifizierte seine Importe weiter, wobei der Anteil russischer Waffen von 72 Prozent (2010-2014) auf 36 Prozent (2020-2024) sank. Gleichzeitig baute Pakistan seine Waffenimporte um 61 Prozent aus, wobei 81 Prozent aus China stammen – ein klares Zeichen der engen strategischen Partnerschaft, die gegen Indien gerichtet ist.

Enorme Steigerungsrate in Japan

Japan steigerte seine Importe um 93 Prozent, fast ausschließlich aus den USA (97 Prozent), was die wachsenden Spannungen mit China widerspiegelt.

Afrika verzeichnete mit einem Rückgang von 44 Prozent den stärksten Einbruch der Waffenimporte. Dennoch stieg die Einfuhr in westafrikanische Staaten um 100 Prozent, vor allem durch Käufe von Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Mali, Mauritania, Niger und Senegal – ein Indikator für die zunehmende Instabilität in der Sahelzone.

Der Krieg in der Ukraine erwies sich als entscheidender Wendepunkt für den globalen Waffenhandel. Mindestens 35 Staaten lieferten schwere Waffen an die Ukraine, wobei die USA (45 Prozent), Deutschland (12 Prozent) und Polen (11 Prozent) den größten Anteil beisteuerten.

Ukraine-Krieg und Waffenhandel

Die Ukraine entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit vom unbedeutenden Empfänger zum weltgrößten Waffenimporteur. Besonders 2023 und 2024 erreichten die Lieferungen Rekordniveaus, mit einer zunehmenden Tendenz zu weitreichenden Waffensystemen.

Diese Erfahrungen auf dem Schlachtfeld könnten weitreichende Folgen für den künftigen Waffenhandel haben. Denn der Konflikt offenbarte deutliche Defizite bei westlichen Waffensystemen unter realen Kampfbedingungen.

Trotz der milliardenschweren Unterstützung zeigten sich zahlreiche hochgepriesene westliche Schlüsselsysteme nicht den Anforderungen eines intensiven Konflikts gewachsen.

Die begrenzten Munitionsvorräte, Wartungsprobleme und die Verwundbarkeit komplexer elektronischer Systeme erwiesen sich als gravierende Schwachstellen.

Russland: Wenig Importe

Russische Waffensysteme könnten trotz internationaler Isolation vom Ukraine-Konflikt profitieren. Die demonstrierte Robustheit und Zuverlässigkeit der Waffen unter extremen Bedingungen, kombiniert mit deutlich niedrigeren Kosten im Vergleich zu westlichen Alternativen, macht sie für viele Staaten im Globalen Süden attraktiv.

Besonders im Bereich der Drohnentechnologie, wo russische Systeme hohe Wirkung bei geringen Kosten zeigten, könnten sich neue Exportchancen ergeben.

Bemerkenswert ist, dass Russland während dieses großangelegten Krieges nahezu keine Waffensysteme importieren musste – lediglich 0,5 Prozent der globalen Waffenimporte entfielen auf Russland.

Dies kann man als Autarkie der russischen Rüstungsindustrie interpretieren, die trotz westlicher Sanktionen in der Lage war, den enormen Bedarf der eigenen Streitkräfte annähernd vollständig aus heimischer Produktion zu decken.

Die minimalen Importe beschränkten sich auf spezifische Lieferungen aus Iran und Nordkorea – ein Zeichen strategischer Kooperation unter Sanktionsbedingungen, nicht jedoch einer Abhängigkeit.

China und Indien: Autonomiebestrebungen

Chinas Ausscheiden aus den Top-10 der Importeure markiert den erfolgreichen Abschluss eines jahrzehntelangen Prozesses hin zur rüstungstechnischen Autarkie.

Auch Indien verfolgt mit seiner "Make in India"-Strategie ähnliche Ziele, was den deutlichen Rückgang seiner Importe um 9,3 Prozent teilweise erklärt. Diese Autonomiebestrebungen stehen in deutlichem Kontrast zur wachsenden Abhängigkeit europäischer Staaten von US-Waffensystemen.

Abhängigkeit Europas von den USA

Denn die USA haben durch die gezielte Ausweitung ihrer Waffenexporte nach Europa ihre strategische Position erheblich gestärkt. Der Anstieg ihres Anteils an den Importen europäischer Nato-Staaten von 52 auf 64 Prozent schafft dauerhafte Abhängigkeiten – durch Wartungsverträge, Munitionslieferungen und Modernisierungsprogramme.

Diese Bindung geht weit über den initialen Kaufpreis hinaus und sichert langfristige politische und wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten.

Russisch-indische Rüstungskooperation

Ein fundamentaler Unterschied zeigt sich in den Geschäftsmodellen der großen Exporteure. Während westliche Anbieter, insbesondere die USA, in der Regel auf vollständige Systeme ohne Technologietransfer setzen, verfolgt Russland traditionell einen anderen Ansatz.

Die russisch-indische Rüstungskooperation umfasst etwa umfangreiche Technologietransfers, gemeinsame Entwicklungsprojekte wie die BrahMos-Raketen zusammen mit Indien und Lizenzproduktionen von Kampfflugzeugen und Panzern.

Dieser Ansatz ermöglicht es Empfängerländern, eigene industrielle Kapazitäten aufzubauen und langfristig unabhängiger zu werden.

Rüstungsindustrie und Arbeitsplätze

Dabei reichen die wirtschaftlichen Dimensionen des Waffenhandels weit über die unmittelbaren Verkaufszahlen hinaus. Für Exportnationen wie die USA, Frankreich und Russland sichert die Rüstungsindustrie Hunderttausende hochqualifizierte Arbeitsplätze und treibt technologische Innovationen voran.

Gleichzeitig stellt der massive Mittelabfluss für Importnationen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung dar – Gelder, die für soziale oder infrastrukturelle Entwicklung fehlen.

Besonders brisant ist die Frage nach europäischer Souveränität in der Verteidigungsindustrie. Die wachsende Abhängigkeit von US-amerikanischen Waffensystemen steht in direktem Widerspruch zu Bestrebungen nach größerer strategischer Autonomie.

Der Verlust industrieller Kapazitäten schwächt die europäische Position in internationalen Krisen und bindet den Kontinent noch enger an amerikanische Sicherheitsinteressen.

US-Rüstungsindustrie und geopolitischer Einflussgewinn

Die kontinuierliche Expansion der Nato nach Osten hat sich für die USA sowohl strategisch als auch wirtschaftlich als Erfolgsgeschichte erwiesen. Die Sipri-Daten belegen eindrucksvoll, wie die US-amerikanische Rüstungsindustrie den geopolitischen Einflussgewinn in bare Münze umwandeln kann.

Der Anstieg der US-Waffenexporte nach Europa um 233 Prozent steht in direktem Zusammenhang mit der Nato-Osterweiterung und der daraus resultierenden Neuausrichtung der Verteidigungspolitik ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten.

Neue Nato-Mitgliedstaaten wie Polen, die baltischen Republiken und Rumänien haben ihre Verteidigungsbudgets massiv aufgestockt und sich dabei vorrangig für amerikanische Waffensysteme entschieden. Selbst langjährige Nato-Partner mit eigenen Rüstungsindustrien wie Deutschland und Frankreich sahen ihren Anteil an innereuropäischen Waffenlieferungen schrumpfen.

Die strukturelle Einbindung europäischer Staaten in US-amerikanische Waffensysteme schafft langfristige Abhängigkeiten, die weit über den aktuellen geopolitischen Kontext hinausreichen. Wartung, Ersatzteile, Munition und Modernisierungsprogramme binden die europäischen Partner für Jahrzehnte an US-amerikanische Technologie und Standards.

Auch die Frage nach der Souveränität über die in den USA bestellten Waffensysteme stellt sich drängend.

Während die populäre Wahrnehmung oft ein Bild der USA als schwindendes Imperium zeichnet, offenbart der Waffenhandel ein anderes Bild: eine Supermacht, die ihre globale Dominanz in einem Kernbereich staatlicher Souveränität – der militärischen Ausrüstung – nicht nur behauptet, sondern deutlich ausgebaut hat.