Dostojewski und Nabokov klonen
Dieses Computerprogramm ist der Untergang des Abendlandes
Buddenbooks steht auf dem Klingelschild einer kleinen Klitsche in Berlin. Im Büro sitzen zwei junge Männer, Karl-Heinz Fabian, 27, ein Informatiker und der 35jährige Thomas Schmidt, ein vom Arbeitsamt zum Programmierer umgeschulter Germanist. Das kommt dabei raus: Buddenbooks. Dieses Computerprogramm ist der Untergang des Abendlandes wie wir es kennen, fürchte ich. Man kann damit nämlich Dostojewski und Nabokov klonen.
Unter dem Deckmantel Demokratisierung der Kunst wirft es Fragen nach künstlerischer Identität und Urheberrecht auf wie noch niemals zuvor. Doch lassen wir die beiden leicht schüchternen, aber sehr bestimmten Herren zu Wort kommen, die uns das alles einbrocken.
Buddenbooks: Angefangen hat das Ganze mit einem Programm für Übersetzer. Bei literarischen Übertragungen ist es oft schwer den Ton des Autors zu treffen. Dabei ist oft das Wichtigste, wie etwas gesagt wird. Eine Freundin von uns hatte einen anspruchsvollen Text, den sie ins Koreanische übertragen sollte. Die hat uns um Rat gefragt und da hatten wir die Idee.
Was war das für ein Text?
Buddenbooks: Der Roman Buddenbrooks von Thomas Mann. Deshalb heißt unser Programm auch Buddenbooks. Wir können damit den Sound des Romans in eine andere Sprache übertragen. Das Prinzip ist ganz einfach. Der Originaltext wird eingelesen und wenn die Übersetzerin sich an die Arbeit macht, erscheint vor ihr der erste Satz der Vorlage. Sie übersetzt nun Wort für Wort und das Programm weist sie an, an dieser Stelle ein Adjektiv zu setzten oder einen Relativsatz zu beginnen wie im Original. Wie bei den normalen Briefassistenten von Word oder anderen Schreibprogrammen. Auch die Stellung des Substantivs wird angegeben, ob nun knallhart am Anfang oder ob sich im Satz die Spannung bis zum Schluss steigert, wenn endlich das erlösende Wort fällt. Es funktioniert so ähnlich wie diese Ausmalbögen für Kinder, die aus einem Haufen Zahlen einen Elefanten zeichnen. Hält sie sich nicht daran, wird es unterkringelt wie bei einem Rechtschreibprogramm.
Das funktioniert?
Buddenbooks: Ja, einwandfrei. Wir haben das dann weiterentwickelt. Man kann mit Buddenbooks nun jedem beliebigen Text den Thomas Mann-Sound geben. Ein Schriftsteller, der so klingen will wie Thomas Mann, lädt sich das Programm und die gesamte Satzstruktur, alle Kommas, alle Stellungen der Prädikate und Präpositionen sind schon vorgegeben. Gerundien, Infinitive, Fragezeichen, Konjunktive, jede indirekte Rede, das ganze Muster vom ersten bis zum letzten Wort. Natürlich kann man nicht alles haargenau nachahmen, das würde geschwollen klingen. Du kannst auch die Übereinstimmung überprüfen, zu wieviel Prozent dein Text deckungsgleich mit der Vorgabe ist. Gerade bei längeren Texten erzielt man erstaunliche Wirkungen.
Dann ist ja wirklich jeder ein Künstler.
Buddenbooks: Genau. Wir haben natürlich nicht nur Thomas Mann im Angebot. Man kann auch Kafka wählen, im Standardprogramm von Buddenbooks ist "Der Prozess" drin. Die Geschichte mit dem Mann, der nicht weiß, warum man ihn vor Gericht stellen will. Im Prinzip ist jeder Schriftstellerstil möglich. Wobei einige schwieriger sind, weil sie entweder so normal sind, dass man sie nicht erkennt, oder aber zu versponnen. Wie zum Beispiel James Joyce. Kann man machen, aber da Joyce so viele literarische Gattungen verwendet und einige Stellen bei ihm so kryptisch sind, klingt es manchmal nur seltsam und man fühlt sich beim Lesen nicht wie bei Joyce. Sehr gut funktioniert Hemingway. Seine kurzen Sätze sind ideal. Chandler schreibt sich fast von selbst. Auch Proust, seine Stilmelodie ist unverkennbar, auch wenn man sich da sehr anstrengen muss. Es ist ja schon anstrengend Proust zu lesen, um so gewandter muss man sein, auf den Gleisen des Paganini der Semantik wandeln zu können. Die Bibel ist auch nicht leicht. Überraschenderweise.
Bei Texten geht es ja nicht nur um Grammatik, sondern auch um Worte, um Inhalt.
Buddenbooks: Um den Inhalt muss sich der Autor schon selbst kümmern, auch wenn eine Vorlage einem oft weiterhilft. Automatisch gibt es auch einen Wortschatz-Check, das Programm schlägt Synonyme vor, es pfeift dich zurück, wenn du in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen das selbe Wort benutzt oder in deinem Text ein Wort wie ŽImmerŽ zu oft verwendest. Wir haben auch eine zeithistorische Funktion, man gibt ein "19. Jahrhundert" und es entfernt moderne Anglizismen und schlägt dafür altehrwürdige Worte wie selbdritt vor, die heute bei normalen Rechtschreibhilfen angekringelt werden. Wir haben den typischen Thomas-Mann-Wortschatz, seine Vorliebe für bestimmte Ausdrücke und Redewendungen, aber wir können auch Goethe aufrufen oder Arno Schmidt.
Soweit die Theorie, wie sieht es in der Praxis aus?
Buddenbooks: Gut, ein Beispiel. Wir haben hier das Kafka-Programm und öffnen das Fenster mit dem Roman "Der Prozess". Auf dem Bildschirm erscheint nun der berühmte Anfang:
Jemand muss Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Tages verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmerermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch eine Weile, usw. usw.
Nun nehmen wir ein anderen Text, den wir an diese Vorlage anpassen. Oh ja, das passt:
Einer muss es auf den Monteur Josef Bloch abgesehen haben, denn als der ehemalige Tormann sich am Vormittag zur Arbeit meldete, wurde er entlassen. Der Polier, der ihm sonst zusammen mit den anderen Arbeitern begrüßte, schaute diesmal kaum auf. Das war noch niemals geschehen. Bloch wartete noch eine Weile und verließ die Bauhütte, usw. usw.
Im Original klingt das so:
Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, dass er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, dass bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Gebäude.
Erkannt? Das war der Beginn von Handkes "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter". Wir können auch den Kafka in einen Handke umwandeln."
Klingt das dann nicht einfach nur blöde? Wie die Tango-Rhythmen auf dem Synthesizer? Entstehen da nicht nur Parodien, wie bei den Mondrian-Fälschungen von Konrad Kujau?
Buddenbooks: Das ist ja das Gute, dass man ja nicht die Oberfläche nimmt wie bei einem Mondrian, sondern die geheime Seele des Textes. Meistens merken die Leser gar nicht, dass sie einen Klassiker wie Anna Karenina vor sich haben. Es klingt nur einfach fantastisch.
Gibt es schon Romane nach dieser Machart?
Buddenbooks: Unser Programm ist ja noch ganz neu. Und wir haben es bisher erst einmal lizenziert, an einen Schriftsteller. Der hat unser Programm benutzt, jedes Kapitel seines Romans in einem anderen Stil zu schreiben. Zuerst wie das erste Kapitel von Thomas Manns "Buddenbrooks", erschienen 1901, dann im Stil des zweiten Kapitels von Rilkes "Malte Laurids Brigge" von 1910, dann nach dem dritten Kapitel von Alfred Döblins "Berlin, Alexanderplatz", zum erstenmal 1929 aufgelegt. Es folgen Ernst Jünger, Hesse, Böll, Handke, Thomas Bernhard, Rainald Goetz, Stuckrad-Barre. Ein Jahrhundertroman in zehn Kapiteln, für jedes Jahrzehnt eins.
Wie heißt der Autor? Worum geht es im Inhalt?
Buddenbooks: Das dürfen wir noch nicht verraten. Allein für das Konzept hat der Schriftsteller einen Vorschuss von 250.000 Mark gekommen. Wir sind mit dreißig Prozent an seinen Tantiemen beteiligt. Für die französische Fassung werden natürlich andere Schnittmuster verwendet, von Celine, Gide und Sartre bis Houellebecq. Für die Verfilmung wird soeben ein neues Programm entwickelt, mit dem man klassische Filme als Vorlage verwenden kann. Also die Einstellungen und die Schnittfolge von Panzerkreuzer Potemkin oder Hitchcocks Psycho. Nicht nur die berühmte Duschszene, die schon oft nachgestellt wurde. Das steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Aber mit dem Schreibhilfeprogramm Buddenbooks kann jeder wie ein Literaturnobelpreisträger schreiben. Das wird das ganz große Ding in diesem Bücherjahr. Ach was, Bücherjahrzehnt.
Das fürchte ich auch.