Dr. Heisenberg - oder wie er vielleicht doch lernte, die Bombe zu lieben
Zu einer mysteriösen Begegnung zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg
Schauplatz Dänemark, Herbst 1941: Die geheimnisvolle Begegnung von Niels Bohr und Werner Heisenberg ist selbst ein Anwendungsfall der Heisenbergschen Unschärferelation im Makrobereich. Die Erinnerungen der beiden Wissenschaftsgenies gehen bereits bei der Frage auseinander, ob das Treffen nun im Arbeitszimmer Bohrs in Carlsberg oder auf der Pileallee stattfand. Zum brisanten Dauerthema der Wissenschaftsgeschichte wurde aber die Frage, über was sich die beiden Forscher unterhielten, deren gemeinsame Interessen um Quantenmechanik und Kernspaltung kreisten.
In den Zwanziger- und Dreißigerjahren hatten die beiden noch kooperiert und einige bahnbrechende Entwicklungen der Nukleartechnologie gemacht. Doch in jenen weltgeschichtlich heißen Tagen forschte Heisenberg am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin für die Nazis, während Bohr in Kopenhagen arbeitete. Für die Nazis gab es keine wertfreie Wissenschaft und das Interesse an den Erkenntnissen der neuesten Physik richtete sich bei Hitler ausdrücklich auf ihre Kriegstauglichkeit. Bisher war es ein wissenschaftshistorisches Rätsel, was sich an jenem Herbstabend zwischen den Männern zutrug, die zwar der gleichen Zunft angehörten, aber inzwischen verschiedenen Herren dienten. Mit dem Gespräch brach die Beziehung zwischen ihnen während des Kriegs ab.
Teilte Heisenberg Bohr mit, dass er am Bau der Atombombe für die Nazis arbeitete? Eindeutige Stellungnahmen der beiden einzigen Augenzeugen des Gesprächs gab es bisher nicht. Bei einem Nachkriegstreffen mit Bohr beschied Heisenberg die Neugier der Nachwelt, die den britische Schriftsteller Michael Frayn sogar zu einem spekulativen Theaterstück inspirierte, mit der salomonischen Feststellung: "Bald hatten wir beide das Gefühl, es sei besser, die Geister der Vergangenheit nicht mehr weiter zu beschwören." Es könnte danach selbst eine kleine Bombe sein, was nun das Bohr-Archiv der Öffentlichkeit ab dem 5. Februar online preisgeben wird und was die Sunday Times bereits vorab meldete.
Bohr schrieb 1958 an Heisenberg einen Brief, den er nie abschickte. In diesem Brief stellt Bohr dar, dass Heisenberg ihm in jenem Gespräch mitteilte, die Nazis arbeiteten an einer Atombombe, die vielleicht den Kriegsgewinn für die Deutschen mit sich bringen könnte. Danach könnte Heisenbergs Selbstdarstellung in der Nachkriegszeit unrichtig sein, er habe den Bau der Atombombe für das Dritte Reich behindert, indem er die aufwändige Konstruktion in Kriegszeiten für nicht machbar erklärte. Finn Aaserud, Direktor des Niels Bohr Archivs in Dänemark hält diesen Brief sowie weitere zehn Dokumente aber längst nicht für ausreichend, das Motiv Heisenbergs für seine Mitteilung an Bohr zu ermitteln. Handelte es sich um eine Warnung vor dem möglichen Sieg der Nazis? Oder war es der Versuch, Bohr, der ab 1943 für das Manhattan Projekt der Amerikaner an der Atombombe arbeitete, zur Mitarbeit zu gewinnen?
In seiner Stellungnahme zum Treffen stellte Heisenberg das Gespräch so dar, dass zwar andeutungsweise über die Anwendung der Kernspaltung für die Waffentechnik gesprochen worden sei, er aber den horrenden Aufwand einer solchen Entwicklung in Kriegszeiten kaum für machbar hielt. Am 06.August 1945 wurde Hiroshima durch eine amerikanische Atombombe eingeäschert. Auch hier behauptet Heisenberg, dass er ungläubig gegenüber dieser Mitteilung gewesen sei, zumal er nicht glauben mochte, dass die ihm gut bekannten Atomphysiker ihre Kräfte für ein solches Höllenprojekt eingesetzt hätten.
Auch mit dem jetzt vorliegenden Brief bleiben also Heisenbergs Motive, Bohr auf das explosive Thema anzusprechen, im Dunkel der Geschichte. Ein Pakt der Intelligenz gegen das Böse oder der Versuch Heisenbergs, Bohr gerade für den Teufelspakt mit den Nazis zu gewinnen? Werner Heisenberg war ursprünglich keinesfalls ein Liebling der braunen Führer, weil er doch die "jüdische Physik" Albert Einsteins praktizierte. Aber selbst die Nazis waren in der Lage, schnell zu begreifen, dass die Logik der Naturwissenschaften nicht mit rassistischen oder ethnischen Vorurteilen zu korrumpieren war.
Immerhin war das von Heisenberg geführte Gespräch mit Bohr hoch gefährlich. Bohrs Arbeitsräume im besetzten Dänemark wurden abgehört. Wenn die Nazis Heisenberg als Verräter entlarvt hätten, wäre sein Schicksal wohl besiegelt gewesen. Nach dem Krieg hat Werner Heisenberg die für ihn günstige Version des Gesprächsverlaufs gewählt. Er habe in diesen Tagen die Bedeutung erkannt, Hitler nicht in den Besitz der Bombe kommen zu lassen. Angeblich begriff er die Macht der Wissenschaft, die Macht des Bösen zumindest behindern zu können. Wie immer nun des Forschers moralische Stärke einzuschätzen gewesen sein mag, gibt es gleichwohl auch fatalistischere Aussagen Heisenbergs zur politisch-moralischen Rolle des Wissenschaftlers.
Heisenberg relativierte in einer späteren Betrachtung den Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts zum Guten, dem er ursprünglich angehangen habe. An die Möglichkeit der Atombombe habe zur Zeit der Entdeckung der Uranspaltung durch Otto Hahn niemand gedacht: "Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, hier das Wort 'Schuld' zu verwenden, selbst wenn wir in irgendeiner Weise in diesen ganzen Kausalzusammenhang verwoben sind." Letztlich seien Individuen in der Wissenschaftsentwicklung ersetzbar und Entdeckungen nicht dauerhaft aufzuhalten.
Carl Friedrich von Weizsäcker griff in einem Gespräch Heisenbergs Schuldfreizeichnung mit der Unterscheidung von Entdeckungen und Erfindungen auf. Der Entdecker wisse nichts von den Anwendungsmöglichkeiten, die erst in den Verantwortungsbereich der Erfinder fielen. Boshaft übersetzt heißt das, dass ein hinreichender Abstraktionsgrad der Wissenschaft und der zündende Funke der Erkenntnis keine moralischen Probleme aufwerfen. Aber Weizsäcker hatte auch eine Entschuldigung für die Atomphysiker parat, die die Bombe schließlich konstruierten. Sie hätten nicht als Individuen, sondern im ausdrücklichen Auftrag einer kriegführenden Gemeinschaft gehandelt. Allerdings hätten sich die amerikanischen Atomphysiker um politischen Einfluss bemühen können, zumindest jedenfalls die Entscheidung über die Verwendung der Bombe nicht zu früh aus der Hand geben sollen. So wäre Hiroshima vielleicht verhindert worden.
Heisenberg folgte diesem Vorwurf nicht, sondern beschließt den Diskurs Weizsäckers mit den Worten: "Wahrscheinlich haben wir an dieser einen Stelle einfach mehr Glück gehabt als unsere Freunde auf der anderen Seite des Ozeans." Wer im Kaffeesatz der ethischen Selbstreflektionen des Wissenschaftsbetriebs lesen will, mag das als Freizeichnung des Wissenschaftlers von persönlicher Schuld interpretieren. Vielleicht brauchte Heisenberg dieses Erklärungsmuster, um seine schillernd unaufgeklärte Beteiligung am Bau der Bombe sich selbst gegenüber rechtfertigen zu können. So wie es unmöglich ist, gleichzeitig Impuls und Ort eines Teilchens beliebig genau zu messen, so wenig ist es trotz der jetzt vorgelegten Dokumente möglich, das Ausmaß der Verstrickung Heisenbergs genau anzugeben. Aber das Verhältnis von Wissenschaft, Schuld und Verantwortung ist nicht nur ein unscharfes Kapitel dieser Wissenschaftsgeschichte, sondern bleibt weitergehend und heute dräuender denn je ein diffuses Problem der Ethik selbst.