Dreckiger Wahlkampf
In der Ukraine versinkt der Präsidentschaftswahlkampf in einer Schlammschlacht
Am 19. Oktober begann in der Ukraine offiziell der Präsidentschaftswahlkampf, dessen inoffizieller Startschuss jedoch bereits vor einem Jahr fiel. Seit dem endgültigen Bruch zwischen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und dem Präsidenten Viktor Juschtschenko im September vergangenen Jahres liefern sich die einstigen Orangenen Koalitionäre einen gnadenlosen Machtkampf. Doch laut neuester Umfragen ist der aussichtsreichste Kandidat für das Amt des Präsidenten, der am 17. Januar gewählt wird, Viktor Janukowitsch. Dieser muss sich aber gegen einen Vergewaltigungsvorwurf erwehren, nachdem einem Mitglied der Timoschenko-Partei BJuT Kindesmissbrauch vorgeworfen wurde. Ein Indiz dafür, dass in den nächsten Monaten der Kampf um das höchste Amt in der Ukraine an Brisanz gewinnen wird und dabei inhaltliche Themen nicht unbedingt im Vordergrund stehen dürften.
Aus ihren Ambitionen macht Julia Timoschenko kein Geheimnis. Am 17. Januar, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, will die Regierungschefin an die Spitze des flächenmäßig zweitgrößten Staates Europas gelangen. Und dies scheinbar mit Gottes Hilfe. Noch wenige Tage bevor am 19. Oktober der offizielle Startschuss für den Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine fiel, reiste die 48-Jährige schnell in die Zentren des Christentums. Am 16. Oktober wurde sie im Vatikan von Papst Benedikt XVI empfangen, tags darauf legte sie in Jerusalem, wie es sich ihrer Meinung nach für einen "gläubigen christlich-orthodoxen Mensch" gehört, ihre Beichte ab, empfing die Kommunion und betete nicht nur für sich, sondern auch für eine bessere Zukunft der Ukraine, was die Kirche honorierte. Der Jerusalemer Patriarch Theophil III zeichnete die ukrainische Regierungschefin für ihre Verdienste um die Einheit der orthodoxen Kirche aus.
Doch mit ihren frommen Auftritten sorgte die Gasprinzessin, die am vergangen Wochenende offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt wurde und dafür auf den Majdan, dem zentralen Platz der Orangenen Revolution im Herzen Kiews, zurückkehrte, für keine positiven Schlagzeilen. Ebenso wenig wie ihr schärfster Konkurrent Viktor Janukowitsch, der schon seit Monaten Wahlkampfsauftritte absolviert. Doch weder mit seiner Drohung, zukünftig gegen falsche historische Darstellungen des "Großen Vaterländischen Krieges" vorgehen zu wollen, noch mit seiner offiziellen Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten durch seine Partei der Regionen am vorletzten Freitag, schaffte es Janukowitsch langfristig in die Hauptnachrichten ukrainischer Medien.
Stattdessen sorgte vergangene Woche die Vergangenheit des Ex-Ministerpräsidenten mal wieder für Schlagzeilen. Angeblich soll er in den 70er Jahren gemeinsam mit mehreren Freunden in der Stadt Jeniakewo eine Frau geschlagen und vergewaltigt haben. Dies behauptet jedenfalls seit vergangener Woche Sergij Sobolew, Politiker der Timoschenko-Partei BJuT, und spielt damit auf die Jugendzeit Janukowitsch an. Bereits im Wahlkampf 2004 machten die Orangenen Revolutionäre die Jugend des Kutschma-Zöglings zum Thema, der zum ersten Mal 1967 wegen Diebstahl und zum zweiten Mal 1970 wegen Körperverletzung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt:www.anticompromat.org/yanukovich/yanukbio.html wurde. Dier Vorstrafen wurden jedoch 1978 vom Donezker Oblastgericht gestrichen.
Ablenkungsstrategien
Mit den neuerlichen Vergewaltigungsvorwürfen will das Timoschenko-Lager Janukowitsch aber nicht nur diskreditieren. Vielmehr sollen die Behauptungen von einem Skandal ablenken, der die Ukraine schockiert und in den mindestens ein BJuT-Politiker verwickelt ist.
Am 13. Oktober machte der Parlamentsabgeordnete Wadim Kolesnitschenko von der Partei der Regionen publik, dass in dem Ferienheim Artek auf der Halbinsel Krim Kinder von mindestens zwei ranghohen Beamten sexuell missbraucht wurden. "Die Mutter von zwei in Artek vergewaltigten Kindern wandte sich an mich. Wir haben die Fakten überprüft und diese Fakten haben sich leider bestätigt. Heute tun wir alles, damit die ranghohen Täter der Verantwortung nicht entgehen", sagte er damals. Und obwohl der Politiker keine Namen nannte, löste er damit einen Skandal aus, in dem bedauerlicherweise aber nicht die Opfer beziehungsweise die Aufklärung des Falls im Vordergrund stehen, sondern die sich im Wahlkampf befindende ukrainische Politik. Denn noch am 13. Oktober wurde bekannt, dass auch ein Parlamentsabgeordneter des Blocks Julia Timoschenko zu den Tätern gehören soll.
Die Information löste innerhalb kürzester Zeit in der Kiewer Politik eine Lawine aus. Innenminister Juri Luzenko, der im Mai im alkoholisierten Zustand auf dem Frankfurter Flughafen randaliert haben soll, gab einen Tag später zu, dass die Staatsanwaltschaft bereits seit April gegen einen Mann ermittelt, dessen Adoptivkinder das Feriencamp besucht hätten. Der Adoptivvater soll gemeinsam mit weiteren Personen die Kinder in eine Wohnung gebracht und dort missbraucht haben.
Die Namen der weiteren Personen, die die Kinder in dem Ferienheim Artek missbrauchten, das zu Sowjetzeiten ein sozialistisches Vorzeigeprojekt war und seit Januar dieses Jahres zu einem Vorbereitungszentrum für Hochleistungssportler umfunktioniert wurde, drangen auch ziemlich schnell in die Öffentlichkeit. So sollen der orthodoxe Priester Vadym Pajewskij, der wegen Kindesmissbrauch angeblich schon in Russland gesucht wird, so wie der BJuT-Abgeordnete Viktor Ukolow zu den Tätern gehören. Der Verdacht könnte den Ambitionen der ehrgeizigen Julia Timoschenko schaden.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich auch BJuT-Politiker ziemlich schnell zu dem Fall äußerten. So behauptete Grigorij Omeltschenko, ebenfalls von der Mutter der vergewaltigten Kinder über den Fall informiert worden zu sein, und forderte den Präsidenten Viktor Juschtschenko auf, die Ermittlungen zu kontrollieren. Mit dem Ergebnis, dass sich heute neben der Staatsanwaltschaft und dem Innenminister auch ein Untersuchungsausschuss der Werchowna Rada mit dem Fall Artek beschäftigt.
Doch inwieweit diese Ermittlungen zur Aufklärung des Falls beitragen, ist fraglich. "Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich auf den Skandalfall, doch die Mehrheit der Beobachter lässt sich dabei nicht von der Liebe zur Wahrheit oder dem Mitgefühl zu den geschädigten Kindern leiten, sondern von der Feindseligkeit zum Block Julia Timoschenko oder der Partei der Regionen", kommentierte (http://pravda.com.ua/news/2009/10/20/103659.htm) treffend Michail Dubinjanskij in der Internetzeitung Ukrainska Pravda. Eine Kritik, die sich nicht nur an die Politik richtet, sondern auch an die Presse. Nicht einmal die ukrainischen Medien waren bisher ein Gegengewicht zu den von politischen Eigeninteressen geleiteten Aufklärungsversuchen der Politik.
Seit Monaten liefert sich Präsident Juschtschenkmo einen gandenlosen Machtkampf mit seiner einstigen Verbündeten Julia Timoschenko, in dem es vor allem um Geld geht
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Doch nicht nur die privaten Verfehlungen ukrainischer Politiker sind ein Thema in diesem Wahlkampf. Hoffnungen auf eine Wiederwahl macht sich immer noch der amtierende Präsident Viktor Juschtschenko, auch wenn die aktuellen Umfrageergebnisse gegen ihn sprechen. Wie im Oktober durchgeführte Untersuchungen ergaben, wollen gerade mal 3 Prozent der Ukrainer für Juschtschenko stimmen, während die Meinungsforschungsinstitute Julia Timoschenko ein Ergebnis zwischen 17-18 Prozent vorhersagen und Viktor Janukowitsch zwischen 23 und 27 Prozent. Dennoch gibt sich der noch amtierende Präsident nicht geschlagen.
Seit Monaten liefert er sich einen gandenlosen Machtkampf mit seiner einstigen Verbündeten Julia Timoschenko, in dem es vor allem um Geld geht. So blockierte er die Investitionen für die Fußballeuropameisterschaft 2012, die das Land gemeinsam mit Polen austrägt, mit dem Ergebnis, dass die UEFA bisher nur Kiew unter Vorbehalten als Austragungsort bestätigt hat. Eine Praxis, die Juschtschenko auch bei anderen Haushaltsthemen wiederholte und dies neuerdings auch bei der Bezahlung russischer Gaslieferungen tut. Dies erklärte am Freitag jedenfalls der russische Ministerpräsident Wladimir Putin auf einer Sitzung der Partei Geeintes Russland und berief sich dabei auf seine ukrainische Amtskollegin Timoschenko.
Doch egal ob Kindermissbrauch, Vergewaltigungsvorwürfe und Streitigkeiten um den Staatshaushalt. Es sind Themen, die die Ukrainer zwar bewegen, aber nichts mit deren Alttagsleben und Problemen zu tun haben. "Schon der Gasstreit mit Russland war in der Ukraine kein wichtiges Thema. Was die Menschen vielmehr beschäftigt, ist der wirtschaftliche Niedergang des Landes, von dem sie wegen der Inflation selbst betroffen sind“, erklärt der in Deutschland bekannteste ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch gegenüber Telepolis. Für die Situation machen die Ukrainer die Politiker verantwortlich, die aber jede Schuld von sich weisen und stattdessen mit ständigen Machtkämpfen beschäftigt sind. Mit einem erschreckenden Ergebnis. "Die Jugend ist heute apolitisch. Ganz im Gegensatz zu 2004. Damals war die Jugend die treibende Revolutionskraft", sagt Andruchowytsch.
Doch die Hoffnung auf die Jugend hat der Schriftsteller nicht aufgegeben. Vielmehr glaubt er, dass erst durch einen Generationswechsel sich die politische Situation in der Ukraine verbessern wird. Wann dieser Generationswechsel jedoch stattfindet, lässt sich momentan nicht vorhersagen. Doch lange wollen manche auf diesen Generationswechsel nicht mehr warten. Als Reaktion auf den Artek-Skandal werden in der Ukraine die Stimmen, die Veränderungen im Wahlgesetz fordern, immer lauter.
Die ukrainischen Spitzenpolitiker scheint das anscheinend aber nicht zu beunruhigen. Anstatt mit Wahlprogrammen wollen sie sich weiterhin mit Schlammschlachten und ergebnislosen Aktionismus im Wahlkampf positionieren. Und ein neues Thema für ihren Wahlkampf haben die Politiker auch schon gefunden: die Schweinegrippe, deren Opferzahl in den letzten Wochen enorm anstieg.