Drogen als Anpassung - weil wir es können?
Eine Antwort auf Stephan Schleims Ausführungen
Die Theorie der Drogen-Instrumentalisierung schließt eine Lücke, eine zumindest aus der Sicht des Autors große Lücke, in unserem Verständnis, warum und auf welchen neurobiologisch vermittelten Weg Menschen psychoaktive Substanzen wie Suchtdrogen konsumieren (siehe dazu: Die Droge als Instrument). Es gibt neuropharmakologische Theorien, wie eine Droge Euphorie auslösen kann und über diesen Mechanismus eine wiederholte Einnahme triggert. Aber viele psychoaktive Substanzen lösen ja gar keine Euphorie aus! Dann gibt es Theorien, die beschreiben, wie ein regelmäßiger Konsument möglicherweise eine Drogensucht entwickelt. Aber die allermeisten regelmäßigen Konsumenten auch harter Drogen entwickeln ja gar keine Sucht!
Nun, wie kann man dann erklären, dass so viele Menschen, die meisten Erwachsenen nämlich, um den gesamten Erdball verteilt, regelmäßig psychoaktive Substanzen zu sich nehmen, ohne Euphorie zu empfinden und ohne sich auf direktem Weg in die Sucht zu befinden? Was hält dieses Verhalten am Leben und sorgt dafür, dass es Generation für Generation wieder etabliert wird?
Die Theorie der Drogen-Instrumentalisierung kann das erklären, in dem sie beschreibt, wie Menschen aus geregeltem, situativ hoch systematischem und gut kontrolliertem Konsum verschiedenster Substanzen einen Nutzen ziehen. Sie verfolgen Instrumentalisierungsziele und erzielen so einen Instrumentalisierungsgewinn. Weiter argumentiert die Theorie der Drogeninstrumentalisierung, das wir nicht nur die formalen neurobiologischen Anlagen besitzen, Drogen zu finden, zu entwickeln und zu nutzen, sondern dies auch noch einen evolutionären Vorteil bieten kann gegenüber den Menschen, die von dieser Fähigkeit keinen Gebrauch machen. Das kann die große Verbreitung erklären, und auch, warum das Verhalten nicht ausstirbt.
Stephan Schleim fragt aber ganz zu Recht (Drogen als Instrumente - zur Anpassung?): Sollte man eine Drogeninstrumentalisierung regelrecht empfehlen, um in unserer schnelllebigen und hoch ambitionierten Welt mithalten zu können?
Die Theorie der Drogeninstrumentalisierung beschreibt, was Menschen tun, getan haben und sicherlich auch noch eine ganze Weile weiter tun werden. Sie beschreibt dagegen nicht, was sie tun sollen, oder besser, was sie tun könnten, aber trotzdem unterlassen sollten. An dieser Stelle kann ich nur meine persönliche Meinung zu Stephan Schleims Frage nach dem Umgang mit der zweifelhaften Fähigkeit der Drogeninstrumentalisierung darstellen, da diese ja auch schon einen kleinen Imperativ in sich trägt. Und der ist getragen von den maximal schädlichen Konsequenzen des zur Debatte stehenden Verhaltens. Und das ist in dem Fall immer noch die Drogensucht, ein dauerhaft zwanghafte Einnahme von Substanzen, die nachweislich physiologische Schäden anrichten und zum körperlich-geistigen Verfall des Individuums und oft auch seiner sozialen Umwelt führen.
Bisher wissen wir trotz vieler guter neurobiologischer Anhaltspunkte noch immer nicht genau, wer von einer Suchtentwicklung aus dem regelmäßigen Konsum heraus wirklich gefährdet ist, und wer dieser wiederstehen kann. Da jede Drogensucht auch mit einer Phase der Drogeninstrumentalisierung beginnt, dieses oft über Jahre aufrecht erhalten wird, kann man eine aktive Instrumentalisierung von psychoaktiven Substanzen also niemanden ernsthaft empfehlen. Das Phänomen leugnen sollte man aber auch nicht. Was bleibt also zu tun?
Als erstes, und dies geschieht zum Teil auch schon unter anderem Label, ist eine pädagogische Aufklärung des Konsumenten von Nöten. Sobald eine Gesellschaft psychoaktive Drogen in ihrem Konsum akzeptiert, muss ein mündiger Konsument das Ziel sein, der auch jederzeit in der Lage ist, ein Nicht-Konsument zu werden. Nur so werden Konsumenten in die Lage versetzt, eine umfassende Kontrolle über ihren Konsum zu behalten, regelmäßig auf den Konsum zu verzichten, oder aber ihn gar nicht erst zu beginnen.
Sowohl Drogeninstrumentalisierung als auch Drogensucht sind durch eine Vielzahl einzelner Verhalten charakterisiert (z.B. Arbeiten für die Droge; Drogen kaufen gehen; Drogen zubereiten etc.). Die Mehrzahl dieser Verhalten ist in ihrer Steuerung unbewusst. Phänomene der klassischen und der operanten Konditionierung treiben hier den Konsum und die Instrumentalisierung an. (Vielleicht merke ich zum Beispiel gar nicht, dass ich nur nach zwei Bier in der Kneipe anfange, mich emotional zu öffnen und aus dem Alltag heraus zu einem Sozialleben fähig bin. Dass ich dabei immer eine Droge, den Alkohol, instrumentalisiere, muss ich nicht wissen, damit dieses Verhalten funktioniert.)
Man kann sich aber den eigenen Konsum und seine Parameter durchaus bewusst machen und reflektieren. Dafür gibt die Theorie der Drogeninstrumentalisierung schon mal eine Einordnung der meisten Konsumszenarien und sogar eine pharmakologisch gesicherte Grundlage vor. Viele nicht süchtige Konsumenten sollten sich darin wieder finden. Und dann kann jeder selber fragen, ob er die so angestrebten Ziele unbedingt mittels einer Droge erreichen will, was im westlichen Kulturkreis z.B. durchaus akzeptiert ist, oder ob man lieber auf andere, nicht-pharmakologische Hilfsmittel zurückgreifen mag.
Ein Verständnis der Mechanismen der Drogeninstrumentalisierung sollte deshalb in Gesellschaften mit legal erhältlichen Drogen wie Alkohol, Nikotin und Coffein, zur psychologischen Grundausbildung aller gehören, genauso wie das geschärfte Bewusstsein dafür, das es sich bei den meisten dieser Substanzen eigentlich um Gifte handelt, die bei chronischer Einnahme und/oder hoher Dosierung eben auch als solche wirken.