E-Auto-Schwemme und Betonbahn

Seite 2: Ausweitung des Autoverkehrs mit "Elektromobilität" als Zusatz

Derweil wächst zurzeit die Autoflotte in unserem Land Jahr für Jahr um mehr als eine halbe Million. Gemeint ist der Bestand an Pkw und das Nettowachstum desselben - die Abmeldungen also bereits berücksichtigt. Wer dem keinen Riegel vorschiebt, der erlebt im entscheidenden kommenden Jahrzehnt ein gewaltiges Wachstum dieser Flotte und einen deutlichen Anstieg der verkehrsbedingten CO2-Emissionen.

Wer dann noch eine Senkung der Mineralölsteuer ins Gespräch bringt und in den Koalitionsvertrag hineinschreibt "Um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen, werden wir begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglichen" (Seite 52), der verschreibt sich auch noch dieser fatalen Orientierung.

Die Ampel-Koalitionäre postulieren (Seite 27): "Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030." Und: "Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität, zum Innovationsstandort für autonomes Fahren und beschleunigen." Einmal abgesehen davon, dass 15 Millionen Batterie-Pkw im gegebenen Zeitraum eindeutig unrealistisch sind und dass autonomes Fahren mit einer gigantischen Steigerung des Energieverbrauchs verbunden sein wird, ist das Ziel "Elektromobilität" aus drei Gründen klimaschädigend: Erstens, weil es nicht verbunden ist mit einer Deckelung des Pkw-Bestands; die E-Pkw sind damit ein Plus, ein Zusatz zur allgemein steigenden Pkw-Dichte.

Zweitens, weil alle Erfahrungen, unter anderem im E-Auto-Pionierland Norwegen, besagen, dass E-Pkw zu mehr als 50 Prozent Zweitwagen und zu mehr als 35 Prozent Stadtwagen sind, was heißt, die Pkw-Flotte wächst gerade dort, wo Autoverkehr zurückgedrängt werden soll - in den Städten. Drittens, weil die Bezeichnung von E-Pkw als "Zero-Emission-Vehicles" absurd, ein bewusster Selbstbetrug, ist. Selbst bei 100 Prozent Ökostrom sind E-Pkw mit massiven CO2-Emssionen verbunden, vor allem aufgrund des gewaltigen Ressourcenverbrauchs (z.B. vier bis sechsmal mehr Kupfer je Pkw) und der energieintensiven Förderung derselben.

Wobei es 100 Prozent Ökostrom auch im Jahr 2030 nicht geben wird. Es bedarf bereits einer enormen Kraftanstrengung, im Fall des Abschaltens der verbliebenen Atomkraftwerke bis Ende nächsten Jahres den Atomstromanteil durch regenerative Energien zu ersetzen - womit aber der fossile Anteil beim Strommix nur gehalten werden könnte. Irritiert nimmt man da zur Kenntnis, dass der "Ampel"-Vertrag kein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus der Atomenergie enthält, dass u.a. nichts gesagt wird zu den atomaren "Forschungsreaktoren" in Karlsruhe und München.

Und dass auch auf diesem Gebiet mit dem Verweis auf "Beschleunigung" eine unverantwortlich schnelle und rigide Festlegung zur Endlagerung von Atommüll droht (siehe S. 65). Der Koa-Vertrag schreibt fest, dass Milliarden Euro Steuergelder dafür ausgegeben werden sollen, um der Autoindustrie und den Energiekonzernen so gut wie alle Infrastrukturkosten für die neue Elektromobilität abzunehmen.

So, wenn es dort auf Seite 51 heißt: "Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss dem Bedarf vorausgehen. Wir werden deshalb den vorauslaufenden Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit dem Ziel von einer Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladepunkten bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur ressortübergreifend beschleunigen."

Eine Passage im Vertrag lässt aufhorchen. Sie lautet: "Wir wollen das Nebeneinander von Autobahn GmbH und Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau Gesellschaft (DEGES) aufheben. Zwischen Bund und Autobahn GmbH wollen wir eine überjährige Finanzierungsvereinbarung abschließen." (Seite 51f) Das dürfte auf eine ergänzende Privatisierung im Bereich Fernstraßen (Bau und Unterhalt) hinauslaufen.

Widersprüchliches im Bereich Schiene

FDP-Verkehrsminister hin oder her - eindeutig positiv zu beurteilen ist die folgende Festlegung im "rot-grün-gelben" Vertrag: "Wir werden die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im öffentlichen Eigentum erhalten. Die internen Strukturen werden wir effizienter und transparenter gestalten. Die Infrastruktureinheiten (DB Netz, DB Station und Service) der Deutschen Bahn AG werden innerhalb des Konzerns zu einer neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt. Diese steht zu 100 Prozent im Eigentum der Deutschen Bahn als Gesamtkonzern. Gewinne aus dem Betrieb der Infrastruktur verbleiben zukünftig in der neuen Infrastruktureinheit." (Seiten 49/50).

Wenn diese Aussagen umgesetzt werden, ist der Konzern Deutsche Bahn AG ein völlig anderer als wir ihn - mit überwiegend negativen Folgen - im Zeitraum 1994 bis 2021 erlebt haben. Damit könnte Transparenz in einem Bereich hergestellt werden, in den Jahr für Jahr mehr als fünf Milliarden Euro fließen. Damit könnten diejenigen, die in Hamburg (Altona-Diebsteich!), in Frankfurt am Main (Fernbahntunnel!), in Bielefeld und Hannover (neue Hochgeschwindigkeitsstrecke mit Tempo 300 km/h) und in Stuttgart (Stuttgart21!) gegen zerstörerische Großprojekte kämpfen, bessere Bedingungen für ihre Engagements erhalten.

Vor allem aber reduziert diese Strukturreform, die mit vergleichbaren Formulierungen im Sommer 2016 auf einer gemeinsamen Tagung von der Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig (Die Linke) und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) erstmals ins Spiel gebracht wurde, den eigentlichen Konzern Deutsche Bahn - insoweit es Deutschland und die Gewinn- und Verlust-Rechnung des Konzerns betrifft - auf die drei Eisenbahnverkehrsunternehmen DB Fernverkehr, DB Regio (Nah- und Regionalverkehr) und DB Cargo (Schienengüterverkehr).

Da DB Cargo derzeit und in den nächsten Jahren massive Verluste einfährt, welche die Gewinne von DB Regio deutlich übersteigen (DB Fernverkehr hat ein Plus-Minus-Null-Ergebnis), schreibt der DB-Konzern damit im Inland deutlich rote Zahlen. Schließlich gehört die deutlich profitable Infrastruktur dann nur noch formal und operativ nur noch hinsichtlich des Arbeitsmarktes zum Konzern.

Staatskonzern als verlängerter Arm deutscher Außenpolitik

Vor diesem Hintergrund ist es dann logisch, dass der Koalitionsvertrag zu den Auslandsbeteiligungen der Deutschen Bahn - und diese machen die Hälfte des gesamten Umsatzes aus - bedrohlich schweigt. Das heißt nichts anderes, als dass die Deutsche Bahn nach den Ampel-Plänen weiter als Global Player unterwegs sein soll - mit Flugverkehr in Asien, mit Lkw- und Logistikgeschäften weltweit oder auch mal mit einem den Regenwald zerstörenden Tren Maya in Mexiko.

Da der Auslandsbereich mit den DB-Töchtern Schenker und Arriva bisher in der Summe gewinnbringend war - was angesichts der weltweiten Krisentendenzen so nicht bleiben muss und ins Gegenteil umschlagen kann - soll er nach dem Willen der Ampel offensichtlich als Gegengewicht zu den Verlustbringern der DB-eigenen Verkehrssparte erhalten werden. Damit aber werden frühere Versprechen, wie sie vor allem von den Grünen gegen wurden, gebrochen.

Der Staatskonzern wird weiter als eine Art verlängerter Arm deutscher Außenpolitik und auch als Träger von massiv klimaschädigenden Verkehrsformen erhalten bleiben. Relativ gesehen könnten dann die Engagements des Vorstand der Holding noch stärker vom Auslandsgeschäft bestimmt und noch mehr vom Kerngeschäft Schiene Deutschland entfernt sein.

Im "Ampel"-Vertrag vereinbart ist auch, was die alte Bundesregierung und die Deutsche Bahn seit mehr als fünf Jahren wie eine Monstranz vor sich hertragen: "Die Verkehrsleistung im Personenverkehr (wird sich) verdoppeln." (Seite 49). Abgesehen davon, dass das formal falsch ist; gemeint ist nicht, dass sich die gesamte Verkehrsleistung im Bereich Schiene "verdoppeln" soll; es geht hier "nur" um den Fernverkehr, der lediglich rund die Hälfte der gesamten Verkehrsleistung ausmacht.

Aber auch hier gilt: Es gibt keine Aussage zu einer Deckelung von anderen Verkehrsleistungen; es findet sich im Koalitionsvertrag kein Wort zu der notwendigen Verlagerung von Straßenverkehren und von Luftverkehr auf die Schiene. Wenn aber alles wächst, dann wachsen erneut die CO2-Emissionen insgesamt. Dann ist das Wachstum des Schienenverkehrs nur das schmutzige Sahnehäubchen oben drauf auf dem kaum begrenzt wachsenden Verkehrssektor.

Der Koalitionsvertrag legt in diesem Zusammenhang fest: "Den Zielfahrplan eines Deutschlandtaktes und die Infrastrukturkapazität werden wir auf diese Ziele ausrichten." (Seite 50). Das läuft auf die oben bereits beschriebene Beton- und Tunnelbahn hinaus. Zum Schienenpersonennahverkehr - er macht fünfzig Prozent der Schienenverkehrsleistung und 90 Prozent des Aufkommens (der Fahrten auf der Schiene) aus - findet sich kein Wort.

Zu den Aussagen "Wir werden mehr Oberzentren an den Fernverkehr anbinden" und "Wir werden das Streckennetz erweitern, Strecken reaktivieren und Stilllegungen vermeiden" kann man nur sagen: Die Botschaft hör ich wohl, wie wohl mir fehlt der Glaube. Vergleichbares haben die letzten drei Vorgängerregierungen vorgetragen und Vergleichbares erklären die Bahn-Oberen seit mehr als 15 Jahren. Doch Jahr für Jahr findet das Gegenteil statt - Abbau der Betriebslänge des Netzes und vor allem Abbau der Netzeffizienz durch Herausnahme von Weichen, von Ausweichgleisen und durch Schließung von Gleisanschlüssen.

Dort wo es bei diesem Thema konkret wird, bleibt die Zielvorgabe hinter den Notwendigkeiten zurück. So wenn es im Koa-Vertrag heißt: "Bis 2030 wollen wir 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren". Das wäre bei der Gesamtelektrifizierung nur ein Plus von 13 Prozentpunkten. Wobei - so eine Einschätzung von "Allianz pro Schiene" - auch dieses eher bescheidene Ziel bei der bestehenden Politik von DB Netz verfehlt werden dürfte.

Im Ampel-Vertrag findet sich der anscheinend nur en passant hingeworfene Satz: "Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt." Dass das im Nahverkehr seit Ende der 1990er-Jahre so ist, ist sattsam bekannt. Die jüngste Pleite des privaten Betreibers Abellio in Baden-Württemberg und der Flickenteppich, den es inzwischen im Schienenpersonennahverkehr gibt, unterstreichen, die Problematik dieser Art Wettbewerb in einem Sektor, der insgesamt als öffentlicher organisiert werden müsste.

Sehr viel spricht dafür, dass mit dieser Formulierung die Ampel und insbesondere der neue Verkehrsminister Wissing andeuten, dass es zukünftig auch im Fernverkehr in großem Umfang "Wettbewerb" geben soll, dass es also ergänzend zum ICE einen großen privaten Fernverkehrsbetreiber auf Schienen - analog dem "Italo" in Italien und der "Westbahn" in Österreich - geben wird. Damit würde es auch im Fernverkehr einen Verlust an Synergien und ein Plus an Fahrplan- und Ticket-Chaos geben.

Allerdings - Vorsicht! Dass der bestehende Konzern Deutsche Bahn diese Entwicklung zu immer mehr Privatisierung verhindern würde, ist ein Trugschluss. Schließlich wächst der Anteil der Privaten von Jahr zu Jahr, auch und gerade weil der "integrierte Konzern" dies indirekt und oft sogar direkt fördert. So sickert derzeit durch, dass die Einstellung des DB-eigenen preiswerten IRE-Verkehrs auf der Verbindung Hamburg - Berlin von der DB selbst herbeigeführt wurde … weil intern bereits die entsprechenden Trassen an den privaten Betreiber Flixtrain vergeben wurden.

Bilanz

In den Koalitionsverhandlungen für die neue "Ampel"-Regierung konnte die FDP auch im Bereich Verkehr starke neoliberale Duftmarken setzen. Der gesamte Verkehrsbereich des Koalitionsvertrags bringt keinerlei Fortschritte im Bereich Klimaschutz. Im Gegenteil - der Autoverkehr wird damit faktisch deutlich gesteigert und die CO2-Emissionen in diesem Bereich werden weiter steigen. Der Ampel-Vertrag ist hier - wie in fast allen Bereichen - Greenwashing pur, ergänzt um viel Digital-Blablabla. Allein die Umstrukturierung des Bahnkonzerns bleibt positiv zu vermerken.

Die drei Zielsetzungen (1) "Beschleunigungen aller Planverfahren", (2) Umsetzung aller Betonprojekte im Schienenfernverkehr unter dem irreführenden Label "Deutschlandtakt" und (3) die angedeutete Orientierung auf Konkurrenzverkehr zum ICE sind negativ zu vermerken. Nur eine breite Verkehrswende-Bewegung von unten kann die Chancen, die es mit der Ampel-Regierung in diesem Bereich auch gibt, wahrnehmen.

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