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EU-Außenbeauftragter will Kriegsschiffe vor Taiwan: Was steckt dahinter?

James Jeffrey

Aufnahme von BALTOPS im Jahr 2020 mit Kriegsschiffen u.a. aus Norwegen, den Niederlanden, Deutschland, UK und Finnland. Es ist die wichtigste jährliche maritime Übung in der Ostseeregion. Bild: Standing NATO Maritime Group 1

Borrells Aufforderung kommt nach Macron-Äußerung zu mehr Unabhängigkeit von den USA. Doch haben europäische Marinen überhaupt die Fähigkeit, in Asien militärisch etwas zu bewirken? Es geht wahrscheinlich um etwas anderes.

Ende April forderte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell die 27 Mitgliedstaaten auf, Kriegsschiffe über die sieben Weltmeere in die Straße von Taiwan zu entsenden, um eine einheitliche europäische Botschaft an China über dessen zunehmende Kriegslust zu übermitteln. Doch bis heute sieht es so aus, als ob nur geredet und nicht gehandelt wurde.

James Jeffrey ist Ex-Offizier der britischen Armee und Journalist.

Der Aufruf [1] folgte auf ähnliche Äußerungen Borrells während einer Rede in Straßburg [2] am 18. April, als die Staats- und Regierungschefs der EU zusammenkamen, um die Beziehungen zwischen Europa und China zu erörtern. Der Aufruf kam auch nicht lange nach dem umstrittenen Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in China Anfang des Monats.

Macron sorgte international für Aufregung [3], als er sagte, Europa müsse auf der globalen Bühne "strategische Autonomie" erlangen und dürfe den Vereinigten Staaten nicht einfach als "Vasall" folgen, auch nicht, wenn es um Washingtons Taiwan-Politik gehe. Macron hat bereits früher ein eigenständiges europäisches Militär gefordert, um diese Autonomie gegenüber den USA zu erreichen.

"Ich fordere die Marine in allen europäischen Ländern auf, in der Straße von Taiwan zu patrouillieren, um Europas Engagement für die Freiheit der Schifffahrt in diesem absolut wichtigen Gebiet zu zeigen", sagte Borrell [4] in einem Meinungsbeitrag, der am 22. April in der französischen Wochenzeitung Journal Du Dimanche veröffentlicht wurde.

Auch wenn China unsere Sicherheit nicht direkt bedroht, so stellt es aufgrund seines weitreichenden Gewichts in der Welt eine multidimensionale Herausforderung für Europa dar. Wie wird China seine Macht nutzen, und wie können wir damit umgehen? Das sind die beiden Fragen, vor denen wir stehen.

Borrell sprach auch über die grundlegenden Unterschiede zwischen der EU und China in Bezug auf "individuelle Rechte und Grundfreiheiten" und wirtschaftliche "Ungleichgewichte", die sich aus Chinas staatlich gelenkter Wirtschaft ergeben – Punkte, die er auch in Straßburg, dem offiziellen Sitz des Europäischen Parlaments, betonte.

"Taiwan ist für Europa von entscheidender Bedeutung [und] eindeutig Teil unserer geostrategischen Interessenzone", sagte Borrell vor den dort versammelten EU-Beamten, darunter auch die Pr��sidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und fügte hinzu, dass die Meerenge die "strategischste der Welt ist, insbesondere was den Handel betrifft".

Nicht nur aus moralischen und ethischen Gründen sollten wir jede Einmischung von außen in die Angelegenheiten Taiwans ablehnen. Es wäre für uns ein wirtschaftlich signifikanter Eingriff,

… fügte er hinzu und verwies auf Taiwans entscheidende Rolle bei der Herstellung von Hightech-Halbleitern.

Das ist alles gut und richtig. Das Problem ist, dass die EU keine gemeinsame Marine hat, die sie einsetzen kann. Weder die EU noch Borrell haben Exekutiv- oder Legislativbefugnisse, um eines der 27 Mitgliedsländer anzuweisen, seine Marine zu entsenden.

Kurz gesagt: Wenn Borrell etwas unternehmen will, muss ihm ein Mitgliedstaat mit seiner eigenen Marine einen Gefallen tun, wie bei jedem Einsatz von militärischen Mitteln unter dem Banner der EU. Falls sie überhaupt die Kapazität dazu haben.

"Nicht viele EU-Mitglieder haben die Fähigkeit, das zu tun, worum Borrell bittet – Frankreich und Deutschland könnten vermutlich ein paar Schiffe schicken, um [Manöver] zu veranstalten, aber das wäre eine rein symbolische Übung und es ist unwahrscheinlich, dass sie irgendeine abschreckende Wirkung erzielen könnte", sagt Daniel DePetris, ein Mitarbeiter bei Defense Priorities, einer außenpolitischen Organisation, die sich darauf konzentriert, eine realistische Strategie zu entwickeln, die die Sicherheit der USA gewährleisten kann.

Das Problem mit Borrells Erklärung ist, dass die geopolitischen Umstände einfach keine EU-Einsätze in der Straße von Taiwan erfordern ... Ich bezweifle, dass China Europa überhaupt als militärischen Akteur im asiatisch-pazifischen Raum ansieht. Ein symbolisches Kreuzen vor der Insel wird die Meinung der [Kommunistischen Partei Chinas] wohl kaum ändern.

Darüber hinaus, so DePetris, hat Europa zu Hause alle Hände voll zu tun. "Der Vorschlag kommt zu einer Zeit, in der Europa immer noch mit dem zerstörerischsten konventionellen Konflikt seit dem Koreakrieg konfrontiert ist und mit dem gefährlichsten, den der Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat", sagt er.

Es ist ein merkwürdiger Zeitpunkt, um Militärs um die halbe Welt zu verlagern, mit einer Mission, die Beijing scheinbar dazu zwingen möchte, mit Vorsicht zu agieren.

Neujustierung: Das Verhältnis der EU zu den USA und China

In Anbetracht der Tatsache, dass Borrells Botschaft so kurz nach dem Aufruhr ausgesendet wurde, den Macrons Äußerungen ausgelöst haben, ist es wahrscheinlich eine Reaktion darauf. Unklar ist aber, was damit gesagt werden soll.

Würde die Entsendung von EU-Kriegsschiffen als Beweis für eine robustere europäische globale Präsenz dienen, die nicht an die USA gebunden ist, oder wäre es ein Akt der Solidarität, da Washington seit Langem eine stärkere militärische Präsenz der EU fordert?

Die Tatsache, dass Borrells Erklärung "ein gewisses Maß an Zweideutigkeit" enthält, ist wahrscheinlich "beabsichtigt", sagt Anatol Lieven, Direktor des Eurasienprogramms am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Sie könne daher auch als diplomatisches Signal dienen, um den Chinesen die möglichen wirtschaftlichen Folgen eines militärischen Vorgehens gegen Taiwan zu signalisieren.

Anfang April führte China drei Tage lang Militärübungen zu Wasser und in der Luft rund um Taiwan und die Meerenge durch, die einen Tag nach der Rückkehr der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen von einem Kurzbesuch in den USA begannen. Dabei wurden eine Blockade der Insel und ein militärischer Beschuss simuliert [5].

In Anlehnung an DePetris weist Lieven auf das Kapazitätsproblem der EU hin. Selbst wenn sich ein europäisches Land freiwillig melden würde, wäre die Anzahl der Schiffe "unbedeutend" und völlig "abhängig" von der US-Präsenz in den umliegenden Meeren – insbesondere bei der Luftunterstützung.

Andere weisen jedoch darauf hin, dass hinter den Botschaften von Borrell und Macron eine gewisse Logik steckt. "Die EU muss natürlich klarstellen, dass sie den USA nicht unbedingt überallhin folgen wird", sagt Andrew Tettenborn, Rechtsprofessor an der Swansea Law School, der regelmäßig für das Magazin Spectator über EU-Angelegenheiten schreibt.

Gleichzeitig müsse die EU aber "die restliche Anti-US-Stimmung, die wir in den alten EU-Ländern finden, loswerden" und klarer "Partei ergreifen in dem Kampf zwischen Demokratie und Autokratie", der sich auf der Weltbühne abspiele.

"Insofern sollte sie dem Beispiel der USA folgen, wie der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki bei seinem Besuch in den USA sagte", so Tettenborn. Dazu gehört auch, dass die EU ihre Mitglieder ermutigt, "aufzurüsten" – wie es Polen bereits tut, nachdem es erklärt hat, es wolle die stärkste Militärmacht in Mitteleuropa werden (manche sagen, es könnte die stärkste in der gesamten EU werden).

"Zu lange hat sich [die EU] in Sachen Verteidigung auf die USA verlassen und ihre Mitglieder nicht ermutigt, ihren Beitrag zur Nato zu leisten", sagt Tettenborn.

Zu lange ist man auch davon ausgegangen, dass man durch eine Kombination aus moralischer Überzeugung und wirtschaftlicher Größe eine wichtige diplomatische Kraft zwischen den USA, China und anderen sein kann.

Es sieht zwar nicht so aus, als würden bald europäische Kriegsschiffe in die Straße von Taiwan fahren, aber die EU versorgt die Ukraine ganz konkret mit Munition und militärischer Unterstützung. Die Europäische Kommission hat kürzlich zugesagt, der Ukraine in den nächsten zwölf Monaten eine Million Artilleriegranaten zu liefern [6]. Am 2. Mai erklärte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, dass die Verteidigungsindustrie der EU "jetzt in den Kriegswirtschaftsmodus umschalten muss".

Dabei wird vor einer "europäischen Militarisierung" und der Gefahr einer Eskalation gewarnt sowie gleichzeitig der Mangel an kreativer Energie der EU-Führer bei der Suche nach einer friedlichen Lösung für den Krieg in der Ukraine beklagt.

Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts erreichten die Militärausgaben Europas im Jahr 2022 mit 480 Milliarden Dollar den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges.

"Die EU ist in Kriegsstimmung", sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó [7] Ende April, "die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten will die Ukraine für mehr Geld und schneller mit mehr Waffen versorgen, während friedensbewegte Akteure massiv angegriffen werden."

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier [8]. Übersetzung: David Goeßmann.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9058173

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.lejdd.fr/international/tribune-josep-borrell-chef-de-la-diplomatie-europeenne-un-regard-froid-sur-la-chine-134992
[2] https://newsroom.consilium.europa.eu/events/20230418-eu-hr-borrell-at-the-ep-plenary-session
[3] https://www.politico.eu/article/emmanuel-macron-china-america-pressure-interview/
[4] https://www.lejdd.fr/international/tribune-josep-borrell-chef-de-la-diplomatie-europeenne-un-regard-froid-sur-la-chine-134992
[5] https://www.reuters.com/world/us-says-it-is-monitoring-chinas-drills-around-taiwan-closely-2023-04-08/
[6] https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2023/05/05/eu-joint-procurement-of-ammunition-and-missiles-for-ukraine-council-agrees-1-billion-support-under-the-european-peace-facility/
[7] https://mandiner.hu/cikk/20230424_europai_unio_kulfold_szijjarto_peter_szudan_ukrajna_haboru_beke
[8] https://responsiblestatecraft.org/2023/05/16/did-eu-call-for-warships-in-the-taiwan-strait-fall-on-deaf-ears/