EU-Korruption: Der Fall Eva Kaili ist nur die Spitze des Eisbergs

Bessere Zeiten: Live-Debatte mit Eva Kaili über Korruptionsbekämpfung in der EU in der "Bürgerarena", 2. Dezember 2014. Bild: euranet_plus / CC BY-SA 2.0
Das Geständnis von Kailis Lebensgefährte wirkt wie ein durchsichtiger Versuch, die EU-Politikerin zu entlasten. Das eigentliche Problem liegt auch tiefer. Woran die EU krankt und warum das gefundenes Fressen für Populisten ist.
Der erste Hype um den aktuellen Skandal im EU-Parlament hat sich gelegt. Noch ist unklar, ob sich die prominenteste Verdächtige über ihre Anwälte noch aus der U-Haft retten kann.
Fragen ohne Antworten
Der tiefe Fall der früheren EU-Parlamentsvizepräsidentin Eva Kaili (von der griechischen Partei Pasok) hat erste Konsequenzen. Auch Maria Spyraki (von der griechischen Partei Nea Dimokratia), ebenso wie Kaili 2018 Kandidatin für die Auszeichnung mit dem MEP-Award und in Griechenland gleichauf mit Kaili stimmenstärkste Europaparlamentarierin bei den Europawahlen 2019, flog aus ihrer Partei.
Die Immunität der beiden griechischen Parlamentarierinnen wurde diese Woche aufgehoben. Die Frage ist: Werden die Hintergründe beim Fall Kaili aufgedeckt und strukturelle Konsequenzen gezogen?
Collateral Damage
Kaili, die jede Schuld bestreitet, sitzt wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Korruption und Geldwäsche in U-Haft. Maria Spyraki gab ihr Vergehen zu, sie prellte das EU-Parlament um einige Tausend Euro Gehaltszahlungen, weil sie wahrheitswidrig angab, ihr Mitarbeiter sei zu Sitzungen in Brüssel erschienen und im Büro gewesen. "Verdacht auf Betrug zum Nachteil des Haushalts der Europäischen Union", wirft ihr die Staatsanwaltschaft vor.
Denn, statt in Brüssel, war der Mitarbeiter im Ausland zu Hause und kurierte eine Krankheit aus. "Das hat mit Korruption nichts zu tun, ich übernehme die Verantwortung", erklärte Spyraki im griechischen Sender OpenTV. Daher ruht ihre Parteimitgliedschaft bei der Nea Dimokratia. Spyraki wird auch nicht wie geplant bei den kommenden Parlamentswahlen, die voraussichtlich im April nächsten Jahres stattfinden werden, für die Nea Dimokratia kandidieren.
Spyraki war vor ihrer politischen Karriere ebenso wie Kaili Fernsehjournalistin. Beide profitierten von ihrer Prominenz. Noch am Donnerstag versuchten regierungsnahe Journalisten im Fernsehen den Fall kleinzureden. Nach dem Motto: "Es sind doch nur ein paar tausend Euro" wurde der mutmaßliche Betrug verniedlicht. Hätte die Nea Dimokratia gegenüber der Pasok im Fall Kaili nicht so sehr den moralischen Zeigefinger gehoben, Spyraki hätte ihr strafrechtliches Abenteuer vermutlich aussitzen können.
Moralisieren statt gründlich prüfen
Der EU-Parlamentsmitarbeiter Fancesco Giorgi und Lebensgefährte von Kaili stellte sich in einem Geständnis als Erfüllungsgehilfen des früheren Europaabgeordneten Pier Antonio Panzeri dar. Beide hätten die NGO von Panzeri "Fight Impunity" als Geldwäschemaschine für die Korruption von EU-Funktionären zugunsten Marokkos und Katars genutzt, so Giorgi.
Kailis Anwälte wollen nun versuchen nachzuweisen, dass das in Brüssel gefundene Bargeld Schmiergeld gewesen ist, das tatsächlich Giorgi gehörte. Kaili selbst sei unbeteiligt.
Kaili und Giorgi, das Glamour-Paar des EU-Parlaments – wobei Giorgi nun versucht, seine Partnerin vor dem Gefängnis zu bewahren: Das ist Promi-Stoff für eine Telenovela oder eine Netflix-Serie mit hohen Einschaltquoten. Aber Kaili ist nicht der Kern des Problems. Sie ist nur die Skandalspitze eines Eisbergs, der sich aus komplexen Einflussnahmen auf EU-Abläufe von außen zusammensetzt.
Cosi fan tutte: Das machen doch alle!
Es ist bezeichnend, dass sich Politiker und Medien ausschließlich auf die Person Kaili konzentrieren, statt im engen Geflecht von Lobbyisten, Verbänden und Parlamentariern die systemischen Probleme zu suchen.
Sicherlich, Kaili hat im EU-Parlament die Zustände in Katar schöngeredet. Sie attestierte dem Wüstenstaat und Ausrichter der umstrittenen Fußball-WM 2022 Fortschritte beim Arbeitsrecht und bei den Menschenrechten. In ihrer Verteidigung verweist sie darauf, dass sie damit im Einklang mit der Internationalen Arbeitsorganisation sei.
In die gleiche Kerbe schlägt aber auch der Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas. Auch er hatte Katar in öffentlichen Statements und Tweets gelobt. Auffälligerweise mit ähnlichen Worten wie Kaili.
Schinas weist jeden Vorwurf von Korruption gegen sich energisch von sich. Er will keine Gegenleistung erhalten haben. Bei seinem Besuch in Katar habe es nur kleine Geschenke gegeben. "Ja, ich habe einen Fußball bekommen, eine Schachtel Pralinen", sagte er. "Ich glaube, ich habe beides dem Fahrer überlassen, der mich zum Stadion gefahren hat."
Auch Schinas beteuert: Er habe im Einklang mit der EU-Kommission gesprochen und alle seine Aussagen würden sich mit den Berichten der Internationalen Arbeitsorganisation decken, was durchaus stimmt.
Und dann: Bis heute sind auf der Internetseite von Fight Impunity, Panzeris korrupter NGO, prominente Politiker als Mitglieder des Ehrenrats aufgeführt. Sie sind zwar in ihrer Funktion bereits zurückgetreten, aber sie werden dort immer noch gelistet.
Zudem könnte es stutzig machen, dass Kailis Schwester mit zwei eigenen NGOs aktiv und bei weiteren beteiligt gewesen ist. Bei EU-Veranstaltungen zur Digitalisierung trat sie als Expertin für Kryptowährungen auf. Sie war auch Hauptrednerinnen bei einem Digitalisierungskongress "The Athens Roundtable". Einer der Veranstalter war die Organisation ElonTech, der Kailis Schwester als Direktorin und Mitbegründerin vorsteht. Gefördert wurde die Veranstaltung vom EU-Parlament, der Unesco, dem Europarat und der OECD.
Der offensichtliche Filz und die Verwicklungen von Amtsinhabern, Familienmitgliedern, NGOs und Lobbys müssen politisch aufgearbeitet werden, um in Zukunft derartigen Missbrauch von Ämtern zu verhindern. Ansonsten läuft die EU Gefahr, weiter an Glaubwürdigkeit bei den Wählern zu verlieren und Populisten zu stärken.
"Cosi fan tutte", so machen es doch alle, können Populisten durchaus mit Grund behaupten, solange niemand die Verantwortung dafür übernimmt, dass ein Fall wie der von Kaili überhaupt möglich ist. Die strafrechtliche Verantwortung von Kaili und Co. sollte nur ein Element der Aufarbeitung sein.
Die Hauptfrage, wie die EU transparent und der die Demokratie aushöhlende Einfluss von Lobbys auf Abstimmungen beendet werden kann, muss gestellt und beantwortet werden. Ebenso wie die Frage, wo beim Posten-Geschacher und bei der Zuschuss-Verteilung die Korruption anfängt.