EU möchte totale Chat-Kontrolle
Nächster Schritt in Überwachungsstaat? Die EU-Kommission will Privatkonzerne in Strafverfolgung im Netz einbinden
Bereits im Sommer hatte die EU-Kommission – mit folgender Zustimmung des Parlaments – privaten Betreibern das automatisierte Durchsuchen der Nachrichten privater Messengerdienste gesetzlich erlaubt. Die Architekten des Präventionsstaates geben vor, Kindesmissbrauch verhindern zu wollen.
Die Konzerne preschten von sich aus schon vor: Die Firma Apple beispielsweise hatte angekündigt, die Erkennung von "Child Sexual Abuse Material" (CSAM) auf seinen Geräten durchführen zu wollen. Diese ausdrücklich für verschlüsselte Kommunikation und Cloud-Daten entwickelte Methode wird als "Client-Side Scanning" (CSS) bezeichnet.
Ab einer vorgegebenen Anzahl an gefundenen Dateien wird dann automatisch die Polizei informiert. Apple zog nach Kritik das Vorhaben vorerst zurück, nun plant die EU-Kommission jedoch eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, welche die Betreiber von Messengerdiensten nicht nur dazu ermächtigt, in der Privatkorrespondenz ihrer Nutzer zu wühlen, sondern sie sogar dazu verpflichten soll.
Das wäre ohne Frage ein Eingriff, der noch weit über die Vorratsdatenspeicherung hinausginge, eine Verpflichtung zur Inhaltskontrolle käme potenziell der Abschaffung der grundrechtlich und menschenrechtlich konstituierten Vertraulichkeit der Kommunikation und der Garantie der Privatsphäre gleich.
Bei den Plänen handelt es sich um eine Massenüberwachung, die wie die Vorratsdatenspeicherung alle Menschen unter Generalverdacht stellen würde. Ferner aber würde die Überprüfung womöglich strafwürdiger Inhalte auch noch an private Konzerne ausgelagert werden, die dann quasi-judikative wie -exekutive Aufgaben ausführen würden.
Das wie üblich vorgeschobene Argument, Kindesmissbrauch und Kinderpornografie einen Riegel vorschieben zu wollen, dürfte erneut der Türöffner für weitere Maßnahmen sein. Bereits im Sommer hieß es aus der Kommission, dass die totale Chat-Kontrolle auch der "öffentlichen Sicherheit" und der Bekämpfung des "Terrorismus" dienen solle.
EU-Treffen in Slowenien: Ergebnis steht schon fest
In einigen Tagen nun treffen sich die EU-Innenminister unter slowenischer Ratspräsidentschaft zu der "Konferenz über die Prävention und Untersuchung von sexuellem Kindesmissbrauch". Eingeladen sind auch die assoziierten Schengen-Staaten, die westlichen Balkanstaaten sowie USA.
Das Ergebnis steht allerdings wenig überraschend schon fest, beschlossen werden soll "die notwendigen Instrumente, Mechanismen und gesetzlichen Instrumente zur Verfolgung von Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs zu entwickeln und auf nationaler Ebene umzusetzen".
Der Schritt der Kommission war voraussehbar. Menschenrechtsanwälte, NGOs und Internetaktivisten hatten schon seit Anfang 2021 davor gewarnt, dass dem "freiwilligen" der gesetzlich verordnete Generalangriff auf die Privatsphäre drohen würde.
Überraschender ist eher, auf wie wenig demokratischen Widerstand das Schleifen noch verbürgter Grundrechte mittlerweile stößt. Dass vieles nun Gesetz wird, was in der Praxis ohnehin schon längst angewendet wird, dürfte einen Teil der Resignation erklären.
Spätestens der umfassende staatliche Durchgriff auf das gesellschaftliche wie private Leben der Menschen — inklusive der "freiwilligen" Verwendung von Tracking-Software bis zur Erhebung privater Daten als Voraussetzung für die Ausübung von Grundrechten — im Rahmen der offenbar fast alle Mittel heiligenden Pandemiebekämpfung droht akut die letzten politischen Dämme brechen lassen.