EZB-Anleihenkäufe: Bundesverfassungsgericht will keine Fakten schaffen
Eilklagen von Gauweiler, Lucke und Henkel werden abgelehnt, um das Ziel der Geldpolitik, die Anhebung der Inflation, nicht zu gefährden. Indessen macht sich auch bei Notenbankern die Einsicht breit, dass dafür höhere Löhne wichtig sind
Das Bundesverfassungsgericht wollte mit einer "vorübergehenden Regelung" keine Fakten schaffen, weshalb die Richter gestern Eilanträge ablehnten, die einen Stopp der deutschen Beteiligung an den Anleihenkäufen der EZB forderten.
Wie die FAZ in der heutigen Printausgabe aus der gestrigen Entscheidung zitiert, begründete der Zweite Senat die Ablehnung damit, dass man mit einer einstweiligen Stopp-Verfügung das Ziel des EZB-Kaufprogramms, die Inflation anzuheben, "womöglich sogar verhindert" hätte. Demgegenüber würden aber den Klägern "kein wiedergutzumachender Nachteil" entstehen, wenn das Gericht später entscheide.
Der Zeitpunkt der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hängt davon ab, wann das EuGH über zentrale Fragen urteilt. Im Juli dieses Jahres hatte Karlsruhe das EuGH um eine Stellungnahme darüber gebeten, inwieweit der EZB-Anleihekauf gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt. Erst aufgrund der EuGH will sich das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung treffen.
Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung
Das Gericht hatte im Juli zentrale Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Auf dieser Grundlage soll dann in Karlsruhe über die Klagen verhandelt werden. Der Zweite Senat machte im Juli in seiner Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens allerdings geltend, dass "gewichtige Gründe dafür (sprechen), dass die dem Anleihenkaufprogramm zugrundeliegenden Beschlüsse gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstoßen sowie über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgehen und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreifen".
Die Eilkläger, genannt werden Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel und Peter Gauweiler, drängten darauf, dass die deutsche Beteiligung an den Anleihekäufen schon vor der endgültigen Entscheidung, die sich trotz des "beschleunigten Verfahrens" hinziehen kann, gestoppt wird. Mit einer einstweiligen Anordnung würde aber die "Hauptsache vorweggenommen", argumentierte das Bundesverfassungsgericht.
Spekulationen über Fortführung der Anleihenkäufe
Bis verbindlich zur Hauptsache geurteilt wird, könnten die umstrittenen Käufe bereits beendet sein, spekuliert der Tagesschau-Bericht. Der EZB-Rat entscheidet am Donnerstag nächster Woche in Frankfurt über die Fortführung des Programms.
Die FAZ berichtet im Gegensatz zur Tagesschau von Erwartungen, wonach das Kaufprogramm nicht beendet, sondern lediglich reduziert werde. "Denkbar" sei eine Halbierung des derzeitigen monatlichen Anleihen-Kaufvolumens der EZB von 60 Milliarden Euro auf die Hälfte. Spekuliert würde in Finanzkreisen über eine Verlängerung um "mindestens sechs oder neun Monate".
Während Peter Gauweiler und die ehemaligen AfD-Politiker Lucke und Henkel ihre Kritik an den rechtlich unsauberen, überbordenden Anleihenkäufen (wozu laut Ralf Streck auch längst Firmenanleihen gehören), auf die Risiken der deutschen Steuerzahler (vgl. dazu: EZB-Geldpolitik kann Deutschland viele Milliarden kosten) und Souveränitätsfragen konzentrieren, argumentiert der Ökonom Heiner Flassbeck aus einem anderen Blickwinkel.
Höhere Lohnabschlüsse wären besser
Für ihn ist die Lohnpolitik Quelle des Übels der geringen Inflation, die mit der Geldschwemme (Quantitative Lockerung) anzuheben versucht wird.
Ganz eindeutig war es die Politik der Lohnkompression, die von Rot-Grün durchgesetzt und von CDU/CSU bejubelt wurde, die dafür sorgte, dass die Lohnstückkosten in Deutschland bis zum Jahr 2007 überhaupt nicht stiegen. Das war ein klarer Verstoß gegen die Regeln der europäischen Währungsunion, in der man sich gemeinsam zum Ziel gesetzt hatte, eine Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent zu erreichen. (…) Und es war auch unzweifelhaft die Politik, die das durchsetzte, genauso wie unter der geistigen Führerschaft der deutschen Politik von der Troika nach Beginn der Krise weitere Lohnkürzungen in den Krisenländern erzwungen wurden, die die ohnehin in Europa vorhandenen Deflationstendenzen verschärften.
Heiner Flassbeck
Anscheinend schwenken nun auch die Notenbanken in diese Richtung. Nach einem aktuellen Bericht des Handelsblatts, der die Sicht von "Österreichs Notenbank-Gouverneur" Ewald Nowotny wiedergibt, sei eine "neue Konstellation eingetreten".
Obwohl die Arbeitslosenquoten "deutlich gesunken sind", tritt nicht ein, was zu einer höheren Inflationsquote führt, nämlich eine Steigerung der Verbraucherpreise. Was, so nun auch die Erkenntnis von Notenbankern, mit den Löhnen zu tun haben könnte:
Daher ist die neue Konstellation eingetreten, dass Notenbanken für höhere Lohnsteigerungen eintreten, um so eine adäquate Inflation zu erreichen.
Ewald Nowotny
Bisher hätten Notenbanken immer vor zu hohen Lohnabschlüssen gewarnt. "Jetzt ist das anders", so Nowotny.
Angestrebt wird eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Im September lag die Teuerung laut Handelsblatt bei 1,5 Prozent. Geht es nach Einschätzungen des österreichischen Notenbankers so rechnet man für 2018 sogar mit einer noch niedrigeren Inflationsrate. "Für 2018 prognostizieren die Ökonomen sogar einen Rückgang der Inflation auf 1,4 Prozent."