EZB-Anleihenkäufe und Inflationsgefahr
Die traditionelle Ökonomie überschätzt die Gefahren
Gleich vorweg: Die hier vertretene Ansicht wird vermutlich von den in diesem Jahr zurückgetretenen und bis dahin wichtigsten deutschen Notenbankern Jürgen Stark und Axel Weber nicht geteilt werden. Viel mehr werden die Rücktritte als massiver Widerspruch gegen die Staatsanleihenkäufe der EZB gesehen. Sollte dies zutreffen - bislang haben sich die Herren dazu in der Öffentlichkeit noch nicht ausführlich geäußert und es wird ja wohl nicht so sein, dass sie nur endlich mal so richtig gut verdienen wollten, wie Weber demnächst bei der Großbank UBS -, müssen sie wohl befürchtet haben, dass durch diese Käufe das Mandat der EZB in Gefahr gerate, "mittelfristig in der gesamten Eurozone die Stabilität der Preise zu sichern".
Was ist aber so gefährlich daran, wenn die EZB z.B. italienische Staatsanleihen kauft? Die traditionelle Lehrbuch-Volkswirtschaftslehre legt zu dieser Frage mit der "Quantitätstheorie" eine einfache Antwort vor und geht schlicht davon aus, dass eine Erhöhung der Zentralbank-Geldmenge bei gleichbleibendem Güterangebot einfach die Preise im Ausmaß der Geldmengenausweitung erhöht. Denn wenn die Notenbank den Banken mehr Reserven zuteilt, bringen diese das Geld als Kredite unters Volk, und das sogar mit einem hohen "Multiplikator". Dieses Geld wird ausgegeben, wobei aber kein höheres Angebot vorhanden ist. Und nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage steigen die Preise, wenn bei gleichem Angebot die Nachfrage steigt.
Mythos der harten D-Mark
In der einfachen Welt der Ökonomen ist der Zusammenhang also völlig klar und negativ: Eine höhere Geldmenge bedeutet höhere Preise und eine drastisch höhere Geldmenge führt sogar zu einer "Hyperinflation", wie sie Deutschland 1921 durchmachte, als nach dem ersten Weltkrieg immer mehr Geld gedruckt wurde. Dieses verlor daraufhin immer schneller an Wert, die Wirtschaft kam praktisch zum Erliegen und die Bevölkerung wurde um ihre Ersparnisse gebracht. Diese Erfahrung hat die Deutschen offenbar so schwer traumatisiert, dass sich die deutsche Mark nach dem 2. Weltkrieg durch eine extrem konservative Geldpolitik auszeichnete.
Tatsächlich dürfte der Mythos der harten D-Mark durch das strikte Einhalten eines quantitativen Geldmengenziels erreicht worden sein. So hatte die Bundesbank ab den 1970er Jahren bald als weltweit einzige wichtige Notenbank auf eine strenge Begrenzung der Geldmenge gesetzte, während die anderen Zentralbanken nur noch die Inflationsrate und später die "Inflationserwartung" zur Richtschnur ihrer Geldpolitik gemacht hatten. Die D-Mark erwies sich über Jahrzehnte als deutlich stabiler als etwa der US-Dollar, das britische Pfund oder der Yen, und dieser Erfolg wirkt offenbar bis heute nach. So wurde einerseits der EZB die Beachtung der Geldmenge in die Statuten geschrieben, während andererseits die deutschen EZB-Entscheidungsträger stets einen konservativen Kurs verfolgt haben.
Vom Anwerfen der Notenpresse
Allerdings ist die einzige Geldmenge, die Notenbank direkt beeinflussen kann, die Menge der Reserven, die den Banken zur Verfügung stehen. Wenn die EZB Anleihen kauft, dann bezahlt sie, indem sie auf dem bei ihr geführten Konto der Bank, von der die EZB die Anleihen kauft, den Kaufpreis gutschreibt. Das ist, was für gewöhnlich als "Anwerfen der Notenpresse" bezeichnet wird: Kraft ihres Amtes kann die EZB einfach eine höhere Zahl am Konto der dieser Bank eingeben und schon sind die Anleihen bezahlt. Diese Reserven kann die Bank aber nicht als Kredit an einen Kunden vergeben, sondern nur entweder als Bargeld direkt beheben, auf dem Konto belassen (wo sie zudem verpflichtet ist, einen Mindestbestand zu halten, der von ihren vergebenen Krediten abhängt), oder Zahlungen an andere Banken leisten oder dieser Reserven leihen, indem ihr Zentralbankkonto debitiert wird und auf dem der Empfängerbank eine entsprechende Gutschrift erfolgt.
Außer in der Form von Bargeld können die Reserven die Zentralbankkonten also nicht verlassen und ihr Gesamtvolumen ändert sich nur durch so genannte "Offenmarktgeschäfte", mit denen Notenbanken seit jeher die Geldmenge kontrollieren. Dabei kauft die Notenbank entweder Wertpapiere an und erhöht dadurch die Reserven um den Kaufpreis, oder sie verkauft und verringert die Reserven entsprechend. Wenn die Notenbank also Wertpapiere kauft, dann erhöhen sich ihre Aktiva um diese Wertpapiere, während die Passiva um die Gutschrift auf dem Konto der Verkäuferbank zunehmen.
Vergibt eine Bank hingegen einen Privatkredit, übereignet sie keine Reserven (kein Privatkunde hat ein Konto bei der Notenbank), sondern sie schreibt dem Kunden den entsprechenden Betrag auf dessen (bei ihr geführten) Konto gut. Erst wenn der Kunde mit dem Geld Zahlungen leistet, also z.B. eine Immobilie mit einem Bankscheck bezahlt, dann reicht der Verkäufer den Scheck bei seiner Bank zur Gutschrift ein und diese Bank verrechnet ihn mit der Bank des Verkäufers (saldiert mit allen anderen in der gleichen Verrechnungsperiode erfolgten Transaktionen zwischen diesen beiden Banken) über die jeweiligen Zentralbankkonten.
Die traditionelle Ökonomie geht nun davon aus, dass überschüssige, d.h. über die Mindestreserve hinausgehende Reserven (die früher nicht verzinst wurden, heute bei der EZB allerdings 0,75 % p.a. bringen) für die Banken einen Kostenfaktor darstellen und das Kreditvolumen daher so schnell wie möglich entsprechend erhöht wird. Das klingt zwar logisch, entspricht aber nicht der Realität in den Banken. Denn wie inzwischen auch die Fed und EZB in Studien festgestellt haben, vergeben die Banken zuerst die Kredite und besorgen sich erst dann die dafür erforderlichen Reserven - die sie sich von anderen Banken ausleihen oder durch den Verkauf von Vermögenswerten beschaffen können.
Überschüssige Reserven scheinen mit Preissteigerungen im Wertpapiermarkt und im internationalen Rohstoffmarkt verbunden zu sein
Während normalen Offenmarktgeschäfte der Feinabstimmung dienen und das Tagesgeschäft der Notenbanken darstellen, finden sich mit Japan, Großbritannien und den USA erst drei moderne Notenbanken, die versucht haben, schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen mit der massiven Ausweitung ihrer Bilanzen zu begegnen. So betrug die Bilanzsumme der Fed Anfang September 2008 noch knapp 900 Milliarden Dollar und wurde bis November im Zuge des ersten "Quantitative Easing" ("QE I") auf mehr als 2,2 Billionen Dollar ausgeweitet. Inzwischen wurde QE II umgesetzt und die Bilanzsumme der Fed liegen heute bei mehr als 2,8 Billionen, während sich das Volumen der Privatkredite im selben Zeitraum in etlichen Kategorien verringert und laut Fed in Summe nur von 33,601 Billionen (2008) auf 36,112 Billionen (2010) ausgeweitet hat.
Auffällig ist, dass die Konsum- und Immobilienkredite zurückgegangen sind, wobei nicht ganz klar ist, ob der Rückgang auf die verschärften Vergabekriterien der Banken zurückzuführen ist oder ob die Haushalte versuchen, ihre aus dem Ruder gelaufenen Schulden zu reduzieren. Der einzige Bereich, wo sich die höheren Reserven vermutlich in Preissteigerungen manifestieren, scheinen der Wertpapiermarkt und der internationale Rohstoffmarkt zu sein, wofür wohl das weltweite Abbröckeln von Aktienkursen und Rohstoffpreisen seit dem Auslaufen von QE II am 30. Juni ein Beleg sein dürfte.
Das bestätigt auch einer aktuellen Studie der Bank of England (BoE), die nach der Lehman-Pleite für rund 200 Mrd. Pfund Wertpapiere aufgekauft und ihre Bilanzsumme dadurch bis Februar 2010 ungefähr verdreifacht hatte. Demnach wurden nicht nur die Renditen der britischen Staatsanleihen um einen Prozentpunkt gesenkt - was eine erhebliche Steigerung der sich gegenläufig zu den Zinsen bewegenden Anleihepreise bedeutet -, laut BoE wurden auch die Preise andere Finanzwerte "signifikant" gesteigert.
Das hätte zwar ebenfalls Wohlstandseffekte hervorgerufen, d. h. Finanzinvestoren könnten aufgrund der steigenden Kurse ihrer Vermögenswerte auch ihren Konsum gesteigert haben. Noch stärker dürfte die globale Inflation aber durch die steigenden Rohstoffpreise angeheizt worden sein. Das war tatsächlich weltweit spürbar, wobei der Zusammenhang zwischen der geldpolitischen Lockerung und den steigenden Rohstoffpreisen nicht ganz klar ist. Sicher ist jedoch, dass die vergleichsweise hohen Inflationsraten in den USA und Großbritannien nicht dadurch begründet werden können, dass die Banken wie wild Kredite an die Haushalte ausgereicht hätten.
Angesichts der enormen brachliegenden Kapazitäten und der flauen Wirtschaftslage scheint derzeit aber eine Deflation für die USA viel wahrscheinlicher zu sein als eine Hyperinflation, was auch in Japan zu beobachten war. Dort hatte die Notenbank jahrelang fast ebenso expansiv agiert wie zuletzt die Fed, hatte aber nicht mit Inflation, sondern mit sinkenden Preisen zu kämpfen.
Während die Fed ihre Bilanz seit dem Krisenausbruch um fast zwei Billionen Dollar ausgeweitet hat, bezifferte die EZB ihre Anleihenkäufe zuletzt mit 143 Mrd. Euro. Daraus eine Gefahr für die Geldwertstabilität abzuleiten, die schwerer wiegt als die Gefahr, dass Spanien, Italien und vielleicht sogar Frankreich von den Finanzmärkten massakriert werden und die Eurozone daran zerbricht, erscheint dann doch etwas verwegen.