Eckpunktepapier Gentechnik: Vom Ende der Koexistenz

Mit fast einjähriger Verspätung hat das Bundeskabinett Ende Februar das Eckpunktepapier zur Gentechnik vorgelegt, das überraschende Einsichten bereit hält

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die agrarische Gentechnik birgt Risiken. In Studien der britischen Regierung wurde nachgewiesen, dass die Artenvielfalt zurückgeht, weil gentechnisch manipulierte Superpflanzen sich im Wege der natürlichen Auslese gegen verschiedene artgleiche Konkurrenten durchsetzen. Es gibt auch Hinweise auf gesundheitliche Belastungen und mitunter erhöhte Todesraten von Kleinlebewesen bis hin zu Versuchsratten, die in Kontakt mit gentechnisch veränderten Organismen, sogenannten GVO, geraten oder damit gefüttert werden. GVO in Futter- und Lebensmitteln können auch neue allergene Potentiale für Tiere und Menschen enthalten. Nur ein schwacher Trost angesichts diverser, meist noch ungeklärter Risiken ist, dass GVO-haltige Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen, damit der Verbraucher selbst entscheiden kann, ob er da hineinbeißen möchte. 70%, so die Umfragen, wollen nicht.

Das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Gentechnik, das Ende Februar verabschiedet wurde und die Richtung der künftigen Gentechnikgesetzgebung vorgeben soll, will bestimmte Schutzmaßnahmen einführen (Mangelnder Abstand). Sie sollen den gentechnisch veränderten Pflanzen klar umgrenzte und deshalb kontrollierbare und beherrschbare Räume bzw. Flächen zuweisen und verhindern, dass die Umwelt ungewollt von gentechnisch veränderten Organismen kontaminiert wird. Lange Monate wurde um diese Schutzmaßnahmen gerungen – was jetzt herausgekommen ist, soll die sogenannte Koexistenz möglich zu machen, d.h., dass gleichberechtigt und unbeeinflusst gentechnisch freies und gentechnisch verändertes Leben nebeneinander existiert.

Ganz banal geht es bei der angestrebten Sicherung der Koexistenz um Abstandsflächen zwischen GVO-Äckern und dem Rest. Denn der Wind sorgt bekanntlich für die Bestäubung vieler Pflanzen und trägt den Pollen viele hundert Meter weit. Überraschend im Eckpunktepapier, dass der bisher von Saatgutindustrie und sonstigen Gentechnikbefürwortern für ausreichend erklärte Abstand von 20 Metern versiebenfacht wurde. 150 Meter Abstand zum Nachbarn soll ein Landwirt einhalten, der auf seinem Acker GVO-Mais aussät, die bisher einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die für den gewerblichen Anbau zugelassen wurde. Mehr als 150 Meter könne der Wind den Maispollen nicht transportieren, sagt die Bundesregierung. Andere europäische Länder halten allerdings 200 Meter Mindestabstand für geboten, Portugal, Polen und Lettland zum Beispiel. Luxemburg findet, 800 Meter müssten es schon sein. Saatguthersteller empfehlen Landwirten, ihre Maisäcker im Abstand von drei Kilometern zu solchen Maisfeldern anzulegen, von denen ihre Pflanzen nicht fremdbestäubt werden sollen.

Ob die Bundesregierung mit ihrem Eckpunktepapier also einen ausreichenden Sicherheitsabstand festgelegt hat, um eine Koexistenz zu gewährleisten, darf bezweifelt werden. Und es darf zudem bezweifelt werden, ob das Ziel der Koexistenz überhaupt noch Gültigkeit hat. Das Eckpunktepapier jedenfalls fordert zuallererst Maßnahmen zur umfassenden Förderung der Gentechnik. Dazu will das federführende Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz „Verfahrenserleichterungen“ bei der Genehmigung von Labor- und Freilandforschung durchsetzen. Besonders soll die „Forschungsfreisetzung von GVO deutlich erleichtert“ werden, vermutlich ist damit gemeint, das Einspruchsrecht gegen solche Freisetzungen zu erschweren, denn es sorgt immer wieder für öffentliche Debatten und für Antragsverzögerungen.

Horst Seehofer, dessen bayerischer Wahlkreis sich zur gentechnikfreien Region erklärt hat, will außerdem europarechtliche Regelungen zur Kennzeichnung kontaminierter Ernte außer Kraft setzen: Wenn die Ernte von Landwirten, deren Äcker neben gentechnischen Versuchsfeldern liegen, verunreinigt wird, soll diese Ernte trotzdem nicht gekennzeichnet werden, wie es die EU-Richtlinien verlangen. Die kontaminierte Ernte soll von der Versuchsanstalt aufgekauft und der thermischen Verwertung oder der industriellen Verarbeitung, z.B. der Erzeugung von Biosprit, zugeführt werden. Verbrannte Ernte, befindet Seehofer, gerate ja nicht in den Ernährungskreislauf und sei auch nicht mehr „vermehrungsfähig“.

So will man auch beim gewerblichen Anbau verfahren. Leider, so das Eckpunktepapier, verweigere ja die Versicherungswirtschaft bis heute den Versicherungsschutz für Bauern, die gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen und für Auskreuzungen, Verunreinigungen und Schäden beim Nachbarn haften sollen. Das Risiko, so referiert das Eckpunktepapier die Position der Versicherer, sei bislang nicht kalkulierbar. Daraus zieht die Regierung nicht den Schluss, dass die Kontaminierung anderer Ernte verhindert werden müsse, sie soll hingegen einfach vom GVO-Saatguthersteller aufgekauft werden. Der könne dann damit machen, was er wolle, sie z.B. als GVO-Mais deklarieren und verfüttern lassen oder ebenfalls verbrennen: jedenfalls sei der GVO-frei produzierende Landwirt durch den Aufkauf seiner Ernte hinreichend abgefunden. Auf diese Weise, so die Idee, wird nicht nur der GVO-Bauer vom Haftungsrisiko entbunden, sondern vielleicht sogar der Widerstand unter den Landwirten gegen die agrarische Gentechnik unterlaufen. Denn von denen sind auch 70% dagegen.

Was wird unter dem Druck umfassender Freisetzungen von GVO-Saaten und mit dem Ankauf kontaminierter Ernte aus dem Konzept der Koexistenz?

Das Eckpunktepapier arbeitet sich zu einer überraschend ehrlichen Antwort vor - zu der es über die Bienen gelangt. Denn Bienen bestäuben auch. Allerdings nicht nur innerhalb von 150 Metern „ausreichender Abstandsfläche“. Der Flugradius einer Biene beträgt mindestens drei Kilometer, das Zwanzigfache von 150 Metern. Ihr Wirkungskreis führt über Abstandsflächen, Hecken und sonstige Barrieren und umfasst um die 30 Quadratkilometer.

Auf diesem Weg kann die Biene allerlei Pflanzen „kontaminieren“. Das ist ja eigentlich auch ihr Job. Sie trägt Pollen von Pflanze A auf Pflanze B. Zum Beispiel vom genveränderten Mais auf den biologisch angebauten, von Raps A auf Raps B, von GVO-Obstbäumen auf konventionell gezüchtete. Die Imker haben Sorge, dass sie für derartige Kontaminationen haftbar gemacht werden könnten. Denn gentechnikfrei arbeitende Landwirte können ihre Ernte nicht mehr verkaufen, wenn die Bienen als „Kontaminierer“ ganze Arbeit leisten. Das Ministerium hat hier Klarheit geschaffen und legt fest:

Imker haften nicht für Einträge von gentechnisch veränderten Pollen in konventionelle oder ökologische Kulturen, da sich der Flug der Honigbienen nicht kontrollieren lässt.

Das entlastet die Imker. Aber der Satz enthält eben auch das Eingeständnis, dass Koexistenz angesichts der Insektenbestäubung (Bienen allein sind für die Bestäubung von 80.000 Pflanzen zuständig) eine Unmöglichkeit ist. So wenig wie sich der Flug der bestäubenden Honigbienen oder anderer Insekten kontrollieren lässt, lässt sich die Ausbreitung von genveränderten Organismen kontrollieren, wenn sie erst einmal in der Welt sind.