Ein Bilderstürmer stellt sich selbst ins Abseits
Der Medienwissenschaftler und Publizist Neil Postman wird heute siebzig und will die Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr verstehen
Einstmals wurde er gefeiert als kritischer Mahner und Analytiker in der Erziehungs- und Mediendiskussion, heute taugt er fast nur noch als Kronzeuge für Kulturpessimisten und technikfeindliche Propheten des Untergangs. Der altgediente amerikanische Medienprofessor und ehemalige Grundschullehrer Neil Postman droht zum isolierten kulturkonservativen Rufer in der vermeintlichen elektronischen Wüste gegen die global von neuen Technologien und dem Internet bestimmte Gesellschaft zu werden.
Neil Postman ist ein trauriger Don Quijote. Er hält sich mittlerweile wohl selbst für so einen romantischen Ritter. Gegen die Entmündigung und Orientierungslosigkeit durch eine postmoderne Cyberwelt setzt Postman heute die von ihm geforderte Rückbesinnung auf Ideen der Aufklärung im Zeitalter des Rationalismus aus dem 18. Jahrhundert. Diese Ideen seien für eine kritisch korrigierende Haltung gegenüber Fehlentwicklungen der technisierten Informationsgesellschaft immer noch sehr brauchbar. Die zweite Aufklärung - vom 18. ins 21. Jahrhundert" nannte er 1999 daher sein bisher letztes Buch. Wie bitte? Die zweite Aufklärung hatten wir hier doch schon. Durch das Werk des großen Medienaktivisten Oswald Kolle (vor allem filmisch, begleitet durch unsterbliche Schlagerhits wie "Meine Olle liest den Kolle" und so). Mehr Sex wagen.
Eigentlich komisch, dass Postman (der mit seiner Frau immerhin drei Kinder hat) seinen Kolle nicht kennt. Ursprünglich Lehrer an einer New Yorker Volksschule, wird er nämlich 1959 Professor für Communication Arts und Sciences an der privaten New York University. Und Postman reift im Zeitgeist der aufgeregten 60er Jahre so sehr zum fortschrittlichen Akademiker, dass er 1969 zu den Verfechtern einer Reform des amerikanischen Bildungssystems gehört und gemeinsam mit Charles Weingartner sein erstes Buch "Teaching as a Subversive Acitivity" veröffentlicht. Bildlich gesprochen heisst das in der Realität der 70er Jahre wohl: Indoktrination von Kinderseelen durch fusselbärtige Zausel vor der Schultafel ("Stellt mich doch bitte mal in Frage, Kinder!"). Irgendwann macht das ewige Teach-In aber wohl keinen Spaß mehr. Man wird ja auch nicht jünger, und Neil erkennt an der Schwelle zu den 80ern, dass es rentabler ist, konservativ zu sein.
Es gilt jetzt, mit Erziehung Werte zu bewahren, so wie man als Humanist mit Begeisterung Ovid-Verse neben Pokemon-Namen in Kinderhirne hineinpaukt. "Teaching as a Conserving Activity" heisst das nunmehr bei Postman und so schenkt er uns 1983 sein Epos "The Disappearance of Childhood" (als "Das Verschwinden der Kindheit" 1984 in Deutschland veröffentlicht). Darin versucht Neil, ganz der Teacher, die Schulen im Interesse der Kinder zur Bastion gegen die Übermacht des Fernsehens bei der Meinungsbildung zu erklären. Kindheit als solche sei kein biologisch abgrenzbarer, sondern ein kulturell konstruierter Begriff, den es erst nach der Erfindung des Buchdrucks und der Alphabetisierung größerer Bevölkerungsschichten gegeben habe. Das Lesen habe es dem Großteil der Gesellschaft ermöglicht, sich im Schoß der Schulen behütet zu bilden und die unschuldigen Kindlein davor bewahrt, zu schnell über die Geheimnisse des Erwachsenseins (Impotenz, Mobbing, Offenbarungseid) aufgeklärt zu werden. Das Verhängnis über diese paradiesischen Zustände sei dann aber in Gestalt der elektronischen Medien, vor allem natürlich des Fernsehens (etwa des Schulfernsehens?) gekommen. Dies habe die Herrschaft der Bilder gefestigt, deren gedankenloser Konsum die gedankliche Reflexion verkümmern lasse. Fernsehen macht halt doof.
An solch unerhörten, polemisch zugespitzten Thesen hat die intellektuelle Welt natürlich erstmal zu knabbern. Und Neil legt beherzt nach. Im Orwell-Jahr 1984 fällt erstmals sein berühmtes Bonmot von der "sich zu Tode amüsierenden Gesellschaft", als Postman bei der Frankfurter Buchmesse als Gastredner auftritt. Der Geist von Aldous Huxley schwebt über ihm, als er Amerika vorhersagt, dessen Kultur sei als erste auf bestem Wege, durch die sinnentleerten Fernsehbilder zugrunde zu gehen. US-Fernsehen im Original ist allerdings tatsächlich grausam, jeder der schon mal in den USA ferngesehen hat, wird das bestätigen können. Im 1985 erschienenen Bestseller "Wir amüsieren uns zu Tode" (bis heute sein bekanntestes Werk) kann man es noch mal nachlesen. Die verunsicherten deutschen Wertkonservativen darf Neil 1986 als Gast bei der Christlichen Fernsehwoche (!!!) des ZDF in Mainz beruhigen. Die deutsche Kultur sei durch das deutsche Fernsehen noch längst nicht so in Gefahr wie die amerikanische, so gottlob sein milder Befund, während nicht weit vom Schuss gerade ein schnuckliger kleiner Sender namens RTL Plus den Betrieb aufnimmt... .Neil wird jedoch keineswegs ruhiger. Im September 1987 reitet er in Hamburg bei einem Referat über das Verhältnis von Technik und Kultur erneut wilde Attacken gegen das Fernsehen. Die "an krasser Desinformation leidende Informationsgesellschaft" werde durch das TV "technologisch verdummt", außerdem isoliere es die Konsumenten und töte so das Bewusstsein von sozialem Zusammenhalt. Im Essayband "Die Verweigerung der Hörigkeit" von 1988 stellt der Kultur-Guerilla gleich ein "kulturpolitisches Widerstandsprogramm" gegen das kommerzielle Fernsehen auf, um die Gehirne der Leute vor dem "elektronischen Bildersturm" zu retten.
Aber langsam reicht ihm das Fernsehen als Gegner nicht mehr aus. Jetzt geht's ans Große Ganze. 1992 kommt das Manifest "Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft" heraus, das fast schon vom Unabomber geschrieben sein könnte (obwohl man zugestehen muss, dass Postman im Gegensatz zu Theodore Kaczynski an einem wie auch immer gearteten sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft festhält) . Postman geißelt Technik als krankmachenden Virus (mit Viren hat er`s, dazu gleich noch), der sich negativ durch die ganze Menschheitsgeschichte ziehe und schießt so gegen die unkritische Technikgläubigkeit der computerisierten Informationsgesellschaft. Tja, der Aff will halt immer gern selbst entscheiden, wann er vom Baum runtersteigt. Nach so viel anklagender Polemik und Benennung von Missständen will Neil aber mal wieder konstruktive Lösungsvorschläge abliefern und sich seiner Schule, dem Hort demokratischer Werte widmen. Und so erscheint 1995 die Publikation "Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung", in der er -from the Teacher to the Preacher- neben Reformvorschlägen zu pädagogischer Praxis beklagt, dass die guten alten Götter Jesus, Demokratie, America the Beautiful durch die falschen Götter Ökonomie, Konsum, Multi-Kulti und Technik ersetzt worden seien. Ernsthaft.
Alle guten Pläne nutzen nix, weil der böse Computer mittlerweile weltweit seine Herrschaft angetreten hat und angeblich die Schüler an der althergebrachten, laut Postman geradezu metaphysischen Bildung ("Lesen und Schreiben gibt analytische Kraft") mit Papier und Bleistift hindert . Außerdem hat Postman gesehen, dass das Internet, das Mitte der 90er Jahre rasend schnell an Bedeutung zunimmt, nicht gleich alle Probleme im Handumdrehen lösen kann. Da muss Neil selbst ran und der globalisierten Welt den Weg zur zweiten Aufklärung zeigen. Er hat ja nicht völlig unrecht, wenn man sich nur vergegenwärtigt, welcher Unsinn mit der New Economy und dem Slogan "Alle Bäckerläden sofort ins Web!" getrieben wurde. Und er ist mir immer noch lieber als penetrant herumwuselnde Dotcom-Deppen.
Aber langsam muss man sich doch ernsthaft Sorgen um Postman machen. Er leugnet inzwischen schon fast fanatisch jeden computertechnischen Fortschritt (Altersstarrsinn?) und verlangt, dass jede Innovation erst lang und breit ausdiskutiert wird. Dies ausgerechnet im "Just do it"-Land. Überall sieht er Viren, früher war`s die Technik, heute ist es gar "kulturelles AIDS" (eigentlich ein starkes Stück so ein Vergleich, besonders für Afrikaner), das unser Immunsystem unter "Fakten, Fakten, Fakten" zusammenbrechen lässt. Ich fürchte, irgendwann wird man ihn in einer Holzhütte in Montana finden, den Federkiel noch in der erkalteten Hand. Und man wird vermutlich wirklich nicht sagen können, Neil Postman habe sich zu Tode amüsiert. Happy Birthday!