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Ein Denkmal für Dick und Don

Zum ersten Mal in der Geschichte ist es Verschwörungstheoretikern gelungen, eine haltlose und rasch widerlegte Theorie felsenfest in den Geschichtsbüchern zu installieren - Teil 1

Die verwegenste aller 9/11-Verschwörungstheorien wird uns noch lange erhalten bleiben, denn die schlichten Gemüter sterben garantiert nicht aus. Auch im Jahr 2030 wird noch der eine oder andere am Stammtisch oder am globalen Tresen von sich reden machen, indem er steif und fest behauptet, die Sonne kreise um die Erde, die Stasi habe Marilyn Monroe ermorden lassen oder 19 afghanische Teppichmesserterroristen hätten am 11. September 2001 US-Geheimdienste und -Militär ausgetrickst und ohne Hilfe von außen Flugzeuge ins World Trade Center gelenkt. Gelernte Faktenverweigerer und gusseiserne Einfaltspinsel werden sich auch 2030 nicht von Fakten und Beweisen erschüttern lassen, sondern wie die hervorragenden Verschwörungstheoretiker aller Epochen an ihrer extrem schlichten Weltsicht festhalten, die im Kern nichts weiter ist als die jederzeit zuverlässige Folge ihrer sofortigen Kapitulation vor allem Komplizierten.

Man kann keinen wecken, der sich schlafend stellt.

Navajo, N. N.

Hartgesottene Konspirologen benötigen keine Beweise. Ihnen genügen Behauptungen von offizieller Stelle, ob vom Amt, vom Arzt, vom Präsidenten oder von Mama, die ihre schlichte Sicht der Dinge stützen. Was nicht sofort und mühelos in ihr Weltbild passt, wird ausradiert, übertüncht und mühelos ignoriert. Dieser Pragmatismus, ohne Wissen der Patienten geboren aus kognitiver Dissonanz, verbindet die, die wissen, dass Eidechsen die Welt regieren, Aliens in Nevada gefangen gehalten werden, dass Osama Bin Laden 9/11 ohne geheimdienstliche Unterstützung durchführen ließ und die Illuminaten-Bilderberger schon seit dem Meteoritenanschlag auf Atlantis hinter allem stecken. Nur sehr wenige unserer Nachfahren werden sich noch die Mühe machen zu hinterfragen, weshalb so viele 9/11-Konspirologen in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends in die Nachrichtenredaktionen des damals noch bestehenden Mainstream aufsteigen konnten. Ebenfalls nur noch in Fachkreisen wird diskutiert werden, wieso es so lange dauerte, bis eine so haarsträubende Verschwörungstheorie wie die "offizielle" als historischer Unsinn entlarvt wurde. Man wird sich an die Gegenverschwörungstheorien erinnern, dass der Mainstream von wenigen Medienmoguln gesteuert, die Wahrheit über finstere Schattenherrscher wegzensiert worden und deshalb zunächst nicht ans Licht gekommen sei, aber diese Erklärung wird man 2030 längst verworfen haben.

Dass es so lange dauerte, bis 9/11 richtig betrachtet wurde, nämlich als Anfang vom Ende des amerikanischen Jahrhunderts, wird erst in der Rückschau vollständig klar werden - ebenso aber wird klar werden, weshalb so viele Meinungsmacher vor den Tatsachen die Augen fest geschlossen hielten und jeden kritisch die Fakten hinterfragenden Zeitgenossen als Verschwörungstheoretiker diffamierten. Je größer der zeitliche Abstand, desto absurder wird einem indes die vorübergehende Definitionsverwirrung in Sachen "Verschwörungstheorie" vorkommen. Schließlich hatten historisch gesehen immer jene als Mutmaßer finsterer Konspirationen gegolten, die eine möglichst laut- und waghalsige Theorie aufstellten, ohne diese auch nur ansatzweise beweisen zu können, und nicht jene, die akribisch recherchierten, wissenschaftlich arbeiteten und Zusammenhänge bis ins allerletzte Detail untersuchten.

Von Mathias Bröckers und Christian C. Walther erscheint nächste Woche im Westend-Verlag [1] das Buch: "11.9. - zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes. 320 Seiten. € 16,99 [D], € 17,50 [A], sFr 24,90. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlags dem Buch entnommen.

Der Fall 9/11 stellte auch in dieser Hinsicht alles auf den Kopf. Denn zum ersten Mal in der Geschichte gelang es Verschwörungstheoretikern, eine haltlose und rasch widerlegte Theorie felsenfest in den Geschichtsbüchern zu installieren. Jedenfalls vorübergehend - immerhin ein gutes Jahrzehnt lang. Die beste Erklärung, wie es dazu kommen konnte, wird 2030 in der psychologischen Fachliteratur ihren Platz gefunden haben, als Paradebeispiel für kollektive Realitätsverweigerung infolge kognitiver Dissonanz - und mancher Fachmann wird die temporäre 9/11-Wahrheit mit der einst gesicherten Wahrheit vergleichen, die Sonne kreise um die Erde. Auch der Verschwörungstheoretiker Kopernikus, der Anno Domini 1543 Machthaber und Meinungsmacher höflich darauf hinwies, die von ihnen propagierte Darstellung halte einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht stand, rannte gegen fest verriegelte Türen - nämlich die eines Gedankengebäudes, um dessen Fortbestand man fürchten musste, ließe man nur auch nur einen von Kopernikus' explosiven Gedanken hinein. Sogar die Teilnahme am Gedankenspiel war strikt zu unterbinden, denn schon das "Was wäre, wenn?" malte ein knallbuntes Armageddon an den Horizont: Wenn, ja wenn Kopernikus' Theorie sich als valid erwiese - dann wäre das geozentrische Weltbild tot. Und mit ihm Gott. Und mit ihm der nun nicht mehr im Mittelpunkt des Universums und der Schöpfung stehende Mensch. Undenkbar. Ende der Diskussion. Bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Kopernikus' Werk befand sich bis 1835 auf dem Index Romanus, Nachfolger Galileo Galilei stand während der letzten zehn Jahre seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1642 unter Hausarrest. Erst nachdem sich die längst beim Volk angekommene Wahrheit über Gott und die Welt selbst von den klerikalen Meinungsmachern partout nicht mehr leugnen ließ, wurde der Verschwörungsspinner formal auch von der katholischen Kirche rehabilitiert, und das quasi umgehend, nämlich 1992. Weit hergeholt, der Vergleich zwischen geozentrischem Weltbild und jenem, in dem die freiheitsliebenden Christen die Gutmenschen sind, an deren Vorbild und System die Welt sich orientieren soll? Beileibe nicht, denn auch im Fall 9/11 hatte es der Konjunktiv von Anfang an in sich: Der 11. September sollte billigend in Kauf genommen oder gar unterstützt worden sein von Vertretern der gewählten US-Regierung selbst, um die Bürger des eigenen Landes schockiert und verängstigt in den Krieg zu schicken? Undenkbar.

Und 9/11 sorgte für eine gewaltige kollektive kognitive Dissonanz

Insbesondere die medialen Meinungsmacher des beginnenden 21. Jahrhunderts, geprägt von den Jahren seit 1945, dem Ende des Zweiten Weltkrieges, mit dem das "amerikanische Jahrhundert" begonnen hatte, wussten, dass ihnen wahrhaft Welterschütterndes drohte - Weltbilderschütterndes, präziser gesagt. Denn jedermann und -frau wusste oder spürte: Erwiese sich, dass demokratisch gewählte Anführer dieses vorbildlich freien Systems, dass Cheney, Rumsfeld oder Bush im Vorfeld Kenntnis davon gehabt hätten, was am 11. September geschehen würde, käme gar heraus, dass Regierende via CIA, Department of Defense und Secret Service ein Verbrechen "bewerkstelligen" ließen, und zwar diesmal eines von atemberaubender Skrupellosigkeit, läge unsere ganze Welt in Trümmern. Nicht nur die Symbole des freien Welthandels in New York, weit schlimmer, die Welt in unseren Herzen und Köpfen. Denn allen Vorbehalten zum Trotz galt zu Beginn des 3. Jahrtausends nach Christi Geburt das Paradigma: Die USA führen uns, den Westen, und am American Way of Life soll die Welt sich orientieren in Richtung Freiheit, Wohlstand und Frieden.

Wären unsere Anführer zu einem Hochverrat an all unseren Idealen fähig, wäre das keine hässliche Systemstörung, wie wir sie oft erleben und wahlweise tolerieren oder ignorieren: keine kapitalistische Blüte wie die geschmierte Zulassung todbringender Medikamente, keine platzenden Bohrinseln oder Atomreaktoren, keine platzende Fünf-Billionen-Dollar-Immobilienblase. Terrorismus gegen die eigene Bevölkerung, von ganz oben toleriert, das ist - das wäre - das Ende unserer Weltsicht, das Ende unseres Glaubens an die Demokratie, die Freiheit, das Christentum, das Ende unseres Weges. Gäbe es das, Terror unter falscher Flagge, ausgehend vom Boden der USA und die eigene Zivilbevölkerung als "Kollateralschaden " in Kauf nehmend, hätten wir nichts mehr, woran wir uns halten könnten. Hätten wir alles verloren und trieben endgültig ohne Glauben und Orientierung durch Raum und Zeit - denn wohin könnten wir uns noch wenden, nach einem solchen Vorgang, auf der Suche nach Leitsternen? An das totalitäre China? An den Islam? Um Himmels willen!

Geraten wir in diese von den Psychologen als kognitive Dissonanz bezeichnete Gemütslage, reagieren wir reflexartig immer auf dieselbe Weise: indem wir alle Fakten ausblenden, die unsere fundamentalen Überzeugungen ins Wanken zu bringen drohen. Und je größer die Dissonanz, je größer die Gefährdung unserer Überzeugungen, desto geringer unsere Bereitschaft, die unser Weltbild stützenden "Fakten" auch nur in Frage zu stellen. Und 9/11 sorgte für eine gewaltige kollektive kognitive Dissonanz, stumm in der Tiefe der westlichen Gedankengebäude widerhallend, im Schlepp einen unwiderstehlichen inneren Befehl: Don't go there! Don't even think about it!

So war denn auf den gesellschaftlich anerkannten Bühnen selbst die versuchsweise Formulierung einer alternativen Erklärung für die Vorfälle des 11. September von Anfang an unzulässig - nicht nur auf dem politischen Parkett, wo jeder Skeptiker von Beginn an als Vaterlandsverräter und Terroristenfreund galt, sondern erst recht in den Massenmedien. Hierzu bedurfte es indes keiner von gegenseitigen Verschwörungstheoretikern herbeiphantasierten Ansagen von oben, aus den Chefetagen von Rupert Murdochs News Corp oder von Bertelsmann, denn eines verbindet die Meinungsmacher von Fox News bis zum Spiegel: Der Erfolg aller massenmedialen Marktteilnehmer basiert auf demselben Geschäftsmodell, alle hängen auf Gedeih und Verderb davon ab, dass Freiheit, Demokratie und freies Spiel der Marktkräfte ihnen ausreichend Anzeigenkunden bringen - und deren Werbemilliarden. Ohne diese wären "rechter" Sender wie "kritisches" Hochglanz-Anzeigenblatt binnen Tagen zahlungsunfähig - beziehungsweise nur noch zum Einzelausgabenverkaufspreis von zirka 30 Euro am Kiosk erhältlich.

So erklären sich die Grenzen, die konservative Nachrichtenmacher ebenso wenig überschreiten wie liberale: Dissens ist zwar zulässig, ja, in Maßen sogar erwünscht, um dem Publikum die Illusion nicht zu nehmen, es habe es mit einem freien System der Berichterstattung zu tun, aber wo immer die Grundlage des Geschäftsmodells bedroht wird, versteht Fox News ebenso wenig Spaß wie der Spiegel. Verständlicherweise. Und so nehmen die hier wie dort überwiegend fest angestellten und vom bestehenden System persönlich profitierenden Mitarbeiter (lies nicht: Journalisten) alle Informationen dankbar auf, die ihr Geschäftsmodell nicht bedrohen - im Fall 9/11 alles, was die einzig für dieses Geschäftsmodell ungefährliche Theorie unterstrich: die Theorie von Osama und den 19 Räubern. Deshalb das energische Zurückweisen alternativer Erklärungsversuche als "Verschwörungstheorien" durch die vereinten Pre$$titutes, deshalb das undifferenzierte Diffamieren, die Nebelkerzen, die wohlfeile Rhetorik. Deshalb die dankbare Begeisterung über den Commission Report. Deshalb der blinde An- und Weiterverkauf einer absurden Verschwörungstheorie. Denn etwas anderes ist die offizielle 9/11-Theorie nicht. Und war es nie, wie der vom Fox- und Spiegel-Propagandafeuerwerk verschonte Rest der Welt vom 11. September an ahnte und spätestens seit dem Einmarsch der US-Truppen in Afghanistan und im Irak wusste. Die Verschwörungstheorie der westlichen Politik und ihrer Medien war von Anfang an, wie jede Verschwörungstheorie, grob vereinfachend, unwissenschaftlich, haltlos, mit Emotionen vermischt und mit dem lauten Vorwurf munitioniert: "Ihre Fragen sind pietätlos! Denken Sie doch mal an die Hinterbliebenen!" Womit auch die dringenden Fragen eben jener Hinterbliebenen zurückgewiesen wurden.

Dass 19 Al-Qaida-Highjacker im Auftrag von Osama Bin Laden vier Flugzeuge in die Twin Towers und ins Pentagon steuerten, dass es keine Kollaborateure in US-Kreisen gab - das hält einer Überprüfung nicht einmal im Ansatz stand, wie wir auf den zurückliegenden Seiten noch einmal in aller Deutlichkeit aufgezeigt haben. Al-Qaida, vor und nach dem 11. September bestenfalls zur Zündung einer Rakete oder Kofferbombe in der Lage, orchestrierte das präzise koordinierte Jahrhundertverbrechen nicht - jedenfalls nicht ohne Hilfe westlicher Geheimdienste -; der Anführer der "Liste", nierenkrank und von Anfang an jede Beteiligung bestreitend, wusste nichts von dem Plan, ebenso wenig wie sein nach 183-facher Folter komplett geständiger Chefplaner Khalid Scheich Mohammed. Die "Hijacker", Sündenböcke, als Schläfer-Kamikaze mit saudischen Pässen unter dem Schutzschirm der US-Geheimdienste und belastet durch fragwürdige Beweisstücke, wurden allem Anschein nach gebrieft und geführt von Mittelsmännern auf der Payroll des CIA-nahen pakistanischen Geheimdienstes ISI, deren Offiziere und Verbindungsagenten die US-Regierung bis heute nicht befragen will.

Was bleibt? Ein umfassender Übungstag des gesamten US-Militärs und diverser Regierungsbehörden, koordiniert verlegt auf den 11. September, geänderte Dienstvorschriften und abwesende Verantwortliche an allen entscheidenden Stellen der Befehlskette. Eine stundenlang lahmgelegte Flugabwehr, erklärbar nur - wahlweise - durch eine Stand-Down-Order oder heillos verwirrende Übungs-Inserts auf den Schirmen ziviler Lotsen. Im freien Fall zusammenbrechende Hochhäuser, darunter sogar eines, das nicht von einer fliegenden Bombe getroffen wurde, dafür aber schon vor dem 11. September präpariert worden war; abgesägte Eisenträger in tragender Funktion, blitzschnell entsorgt, und Nanothermit-Spuren im Staub der Gebäude. Die sofortige Einstellung aller behördlichen Ermittlungen wegen biologischer Massenvernichtungswaffen in Jane und John Does Tagespost, angeblich verschickt von einem irren Einzeltäter, der den Patriot Act mit Macht durchgepeitscht wissen wollte; Whistleblower, umgehend per Maulkorberlass zum Schweigen gebracht. Zuletzt: Die versuchte Verhinderung einer unabhängigen Untersuchungskommission durch die US-Regierung selbst, endend schließlich mit dem Einsatz einer Alibi-Kommission unter der Leitung eines engen Vertrauten eben jener Machthaber, die ihr Desinteresse an jeder Aufklärung von Anfang an überdeutlich unterstrichen hatten; die Verweigerung der Herausgabe aller relevanten Informationen, kein Zugang zum gefolterten Kronzeugen; Lügen, Weglassungen und Fälschungen im Dutzend billiger und das Fazit selbst der offiziellen Vorsitzenden der 9/11-Commission: "We were set up to fail."

Teil 2: Anklagen? Anzeigen? Fehlanzeige [2]


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