Ein Eroto-Porno-Grafischer Stunt

Der Film "Baise-moi" ("Fick mich!")

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Baise-moi, zu deutsch "Fick mich": Das ist der bedrohlich pubertär und illusionslos klingende Filmtitel eines französischen Cross-Over-Exploitation-Streifens, der seit diesem Sommer Skandal macht. Mit Baise-moi steht auch den Deutschen Kinos ein explosiver Cock-Tail postfeministischer Ganzkörpererotik, aggressiv-penetrativer Stunts und blutig-detonierender Special Effects in Haus, in dem gallische Pornosubversion durch mediale Beschleunigung und comicartige Übertreibung in mythisch-geschwisterliche Gewalttätigkeit ausartet.

Exploitation ist der Begriff für Billigproduktionen (nicht nur in Hollywood), bei der die Beteiligten mit einem geringen Budget drehen, im kleinen Team aber auch freier und ungezwungener agieren können. In Warhols Trash erhielt die Vorstellung, dass Subversion billig zu haben, ja im Unstilisiert-Kunstlosen beheimatet sei, die Weihen der Film-Pop-Art. Schon in den 50er Jahren entstanden Streifen, die im Angebot des oft langweiligen Standardkinos schnell zum (Vorfilm-) Kult wurden und in Vorstadttheatern und Autokinos wie die Pilze blühten.

Quentin Tarrantino begriff Anfang der 90er Jahre diese Lücke und spritzte das Pulp als Frischzellenkur in das A-Kino Hollywoods. Seit dieser Infusion reden Hollywoods Schauspieler auch in gehobenen Produktionen immer heftiger über das eine, allerdings so, als ob eine neue Kaugummi-Marke damit gemeint sei, und bedienen die Pistole so lässig wie einen friedlichen Saftmixer.

Mit Baise-moi steht auch den Deutschen Kinos ein explosiver Cock-Tail postfeministischer Ganzkörpererotik, aggressiv-penetrativer Stunts und blutig-detonierender Special Effects in Haus, in dem gallische Pornosubversion durch mediale Beschleunigung und comicartige Übertreibung in mythisch-geschwisterliche Gewalttätigkeit ausartet.

Den französischsprachigen Kinogängern zwischen Paris und Brüssel ist dieser Film bereits ab dem Sommer als Teil einer ständig anwachsenden Selbstaufklärungs-Filmwelle präsentiert worden. Zu ihr gehört gleichfalls Catherine Breillats ungleich akademischer gehaltene Post-Porno-Studie Romance X. Auch hier war der Skandal vorprogrammiert. Die Rechtsextremen schlugen zu und beide Filme landeten zunächst mit einem Index ab 18 in den wenigen verbliebenen Pornokinos der Großstädte, was den kommerziellen Ruin bedeutet hätte (wäre da nicht die internationale TV- und spätere Video-Verwertung).

Breillat hatte anlässlich ihres Werks, in dem die Hauptdarstellerin sichtbar mit dem eigenen Begehren gegen die Frigidität und Impotenz ihres Partners ankämpft, eine Hymne auf das Zärtlichkeitspotential des italienischen Pornoprofis Rocco Siffredi, der auch unter Frauen eine große Fangemeinde hat, angestimmt. Die überregionalen Zeitungen, auch in Deutschland, von der Süddeutschen Zeitung, über die FAZ bis hin zur ZEIT, fanden es wert, über diesen kinematografischen Diskurs und seine skandalträchtigen Überschreitungsformen zu berichten, zwischen erotischem Kunstanspruch und heftiger Gesellschaftskritik, über die neue Koalition von Schauspiel und Pornografie.

Nichts völlig Neues übrigens, wenn man die Überbietungen des Körperkinos der 60er und der 70er Jahre vergegenwärtigt, durch B-Filmer wie Russ Meyer und John Waters in den USA und prominente europäische Autoren wie Buñuel, Fellini, Visconti, Ferreri, Pasolini, Godard und Faßbinder sowie Oshima in Japan. Freilich waren viele Einsätze der Nacktheit und des extremen sexuellen Ausdrucks mehr theatralisches Kalkül, mehr klassischer Akt als reine sexuelle Provokation. Heute wirken sie wie mythische Filmikonen, erpresst im Kleinkrieg zwischen asketischer Ideologie, dialoglastiger Ausführung, der Inszenierungswut des Regisseurs und der sinnlichkeitstrunkenen Risikobereitschaft von Schauspielern von Weltruf, wie Helmut Berger, Michel Piccoli, Andrea Ferreol, Catherine Deneuve, Romy Schneider, Helen Mirren und Isabelle Huppert.

Catherine Breillat war zu dieser Zeit eine junge Nebenfigur für cineastische Insider, die im Abspann auftrat. Sie spielte mit in Bernardo Bertoluccis damaligem Skandalfilm, dem heute artifiziell wirkenden Liebesspiel Der letzte Tango in Paris (1972). Übrigens in der Nebenhandlung zum Psychodrama zwischen dem alternden Paul (Marlon Brando) und der blutjungen Jeanne (Maria Schneider), die sich namenlos in dem von Francis Bacon mitgestalteten Design, einem leerstehenden Pariser Boulevardatelier, hinter verzerrenden Milchglasscheiben, gleichsam an sich, unbeobachtet von der Außenwelt und im entscheidenden Moment immer schön im Off des Kamera-Frames an den Rand der Besinnungslosigkeit und Vereinsamung liebten. Während die Seelen und Körper glühten, tickten die Normalzeit und die Geschichten der Vergangenheit wie eine Bombe vor sich hin.

Breillat stellte die Kamerafrau im TV-Team von Tom (Jean-Pierre Leaud) dar, der als offizieller jugendlicher Freund Jeannes eine Frühform der Big-Brother-Strategie verfolgt: Als Reporter in eigener Sache baut er Jeanne in eine kitschige TV-Live-Romance mit absehbarer Medienhochzeit von Jungregisseur und Jungdarstellerin ein. Auf Breillat und die jüngere Garde der Filmerinnen, wie sie in Baise-moi am Werk sind, hatte nicht dieses brave Rollenschema, sondern die finale Szene prägenden Eindruck hinterlassen, in der Jeanne den plötzlich nicht mehr distanzierten, sondern liebevoll-zudringlichen Paul mit dem Revolver ihres verstorbenen Vaters (einem Oberst, der in Algerien fiel), erschießt.

Neuerkundung des Fleisches

Theatrale Nacktheit und symbolträchtige Interpretation des Sexus und Eros in den Augen der gebildeten Vaterfigur, das ist lacanianisches Kulturgeschwätz von gestern. Die derzeitigen Autoren- und Autorinnen-Filmer aus dem französischen Sprachbereich versuchen einerseits das Sexuelle und seine Äußerung, die Schrift, die Spur des Fleisches (was Porno-Graphein im Griechischen bedeutet), als das tölpelhafte Unwesen partieller männlicher Lust und andererseits als das verwickelte Wesen weiblicher Erotik filmisch zu erkunden, es aus dem Klischee banaler Marktförmigkeit herauszulösen - in Dokumentationen, Reportagen, Spielfilmen und Live-Shots, die nicht platt informieren und brav inszenieren, sondern einfach betören und überwältigen wollen.

Die Macher vor und hinter der Kamera entwickeln exemplarische Fragestellungen und probieren neue Strategien der Darstellung, um die Verbindungen von Gehirn, Herz und Unterleib zu ergründen, die die kulturelle Mode streng geteilt. Sie bauen drastisch-naturalistische Gegenmodelle, die zugleich mit der Freiheit schauspielerischer Subjektivität und menschlichen Ausdrucks vereinbar bleiben sollen. Dem unsublimierten Objekt-Video-Film-Porno und dem sich unentwegt in sexual-symbolischen Anspielungen ohne eigentlichen Vollzug ergehenden Hollywood-Kastrations-Kino soll gleichermaßen ein Schnippchen geschlagen werden.

Der blinde Fleck des industriellen Pornos ist die Ausradierung der individuell kontrollierten Intimität und ihrer dosierten Repräsentation, die im delikaten Zwischenspiel von Subjekt und Objekt, Individuum und Gesellschaft ihre erotische Performance zwischen Entblößung und Verhüllung kundtäte. Die eigentliche Zensur des Pornos ist die Einrahmung (Frame), sowohl in der ständigen Fixierung des voyeuristischen Blicks auf bestimmte Körperteile, an denen sich die Sexualität vorrangig abspielen soll, als auch in der Fixierung des Szenarios auf den sexuellen Vollzug, der zum leeren Kontakt entfremdeter Körper wird. Die Zensur des Hollywood-Kinos ist genau komplementär: Die Regeln des Hays Office legten ein Cutting nahe, das immer über der Gürtellinie und außerhalb der heißen Phasen der Entblößung und des Körperkontaktes blieb. Die Sexualität wurde zu einem X, einem Kult des Nicht-Dargestellten und Undarstellbaren, das durch schwülstige Arrangements von Kulissen, Make-Up, Requisiten, Gesten und Verbalorgien ersetzt wurde.

Das europäische Autorenkino hat sich gegen diese doppelte Zensur der Traumfabrik und der Pornoindustrie gewehrt, wo es nur konnte. Und Baise-moi ist das jüngste punkige Statement dieses europäischen Protestes, ein weiblich durchtriebenes Gaunerstück zweier zwillingshaft in ihr gemeinsames Schicksal verbündeter Verfolgter, die im spielerisch-lustvollen Angriff auf die männliche Macht und Potenz das letzte Vergnügen vor der unausweichlichen Festnahme und Hinrichtung suchen, den kalten Halt an der schlummernden Waffe und den Kick durch den Discman am heißen Ohr.

Baise-moi hat seine eigene Skandalgeschichte, die bereits das pornografische Feld besetzt, mit ihm subversiv spielt und es in Gegenzug ausbeutet, so wie dieses die Frauen, die in diesem von Männern beherrschten Feld tätig sind, expropriiert. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Virginie Despentes, die sich mit diesem Werk (zu deutsch: Wölfe fangen, erschienen bei Rowohlt) und ihrem zweiten Roman Die Unberührte einen Namen in Frankreich gemacht hat. Authentisch aus dem Milieu der Straßenkinder, der Straßenmädchen, der Peep-Show- und Porno-Starlets zu berichten ist eine Sache. Aber einen angemessenen Stil zu finden, mit und in der Sprache einer medial raffinierten Gosse das Drama der inneren Vernichtung und die Gegenbewegung, die ungebändigte Gier nach einem freien Leben, den Hass auf alles, was sich in den Weg stellt, intensiv zu schildern und die Risikohaftigkeit und Aussichtslosigkeit einer solche Frauenexistenz packend zu pointieren, dies ist Despentes zweifelsfreier Verdienst.

Paradoxien des Glamourfetischporno

Despentes, die das Drehbuch auf der Basis ihres Romans schrieb, hat den Film zusammen mit der (Ex-) Glamour-Porno-Actrice Coralie Trinh Thi verwirklicht. Die franco-indochinesische Coralie und die Wasserstoffblondine Lea Martini (im Abspann als Unterstützerin von Baise-moi erwähnt) waren Sexstars im Paris Mitte der 90er Jahre. Beide Frauen haben nicht nur in schäbigen oder mediokren Produktionen mitgewirkt. Im Umfeld des französischen Penthouse-Magazin stehen sie als zweideutige Leit-Figuren, in denen sich Pornografie und visueller Chic, Hochkultur und Subkultur glamourös überkreuzen und überlagern.

Die Polyphonie der niederen und gehobenen erotischen Rollen fand einen Höhepunkt in der Zusammenarbeit Lea Martinis und Coralie Trinh This mit dem Film- und Videoregisseur Andrew Blake. Er verstand es, aus der Welt des gehobenen Standard-Pornos, nach gängigen Produktionen der frühen 90er Jahre, im Umfeld des Penthouse-Labels neue Maßstäbe zu setzen. Er nutzte die Doppelbewegung der modischen Erotisierung und Sublimierung des Sexus und der umgekehrten Pornografisierung der Mode und des Chic (Porn Art, Glamour Porn). Nach durchschlagenden Erfolgen mit The Art of Desire und Liaisons Érotiques, die bei aller Vorwegnahme der späteren Bildsprache noch der filmischen Narration der späten 80er verhaftet sind, arbeiteten Blake und das Studio A Entertainment in Santa Monica an einem stark an MTV orientierten avantgardistischen still-fotografischen Video-Clip-Stil. Still-Photography bedeutete, den Fluss der bewegten Bilder und das "angehaltene" Posing vor der Fotokamera in einem Aufzeichnungsprozess zu beherrschen, die Ästhetik von Shots und Takes miteinander kunstvoll zu verkoppeln.

Pate bei dieser Idee stand sicherlich Madonnas Skandal-Video Justify my Love, Anfang der 90er Jahre, in dem körpernahe Bilder eines nur angedeuteten Liebesballetts in phantasmatischen Schnitten zerlegt und zu Eye-Catchern überhöht werden. Mit der noch halbkeuschen Serie Venus Descending 1 und 2, die um das spätere Markengirl Dahlia Grey aufgebaut wurde, betrat Blake eine neue Welt: Das Pin-Up-Bild unberührter Schönheit sollte mit sexueller Explizitheit und modischer Extravaganz verschmolzen werden. Mit der digitalen Bildbearbeitung konnten irritierende Jumpcuts, Sprünge in Raum und Zeit erzeugt werden, um den Modellen einen distanzierten fotografischen Kultwert weiblicher Schönheit im architektonischen Raum und in der musikalischen Zeit zu entlocken. Monumentalisiert im perfekten Modelling erscheint Venus vor unterkühlten postmodernen Kulissen im halbnackten Outfit auf hochhackigen Stilettos. Unnahbare, an der Scham unschuldig glattrasierte, marmorne Geschöpfe treten in einer newtonianischen Welt ohne Männer auf. Die Frauen führen sich selbst vor, in einem para-lesbischen Science-Fiction, in obsessiven Ritualen immerwährender Selbstbefriedigung stacheln sie auch das Geschlecht der Gespielinnen an, durch ein Ensemble stets dienstfertiger langnägeliger Frauenhände, wie in jenem berühmten Horror-Korridor von Polanski. Hand und Haut und ausgeklügelte Spielgeräte werden zu allkommunizierenden Sexualorganen, umspielen den Körper als aufragenden Phallusfetisch.

Blake befreit sich von den ersten, noch von unbeholfener dramatischer Handlung durchzogenen Varianten der Venus-Serie und bildet den reinen Clip-Cut zunächst in Captured Beauty, dann in Desire, Unleashed und Paris Chique (dt. Bizarre Woman) aus, um eine stumme, fast handlungsfreie weibliche Bildwelt der Glamour-Girls, der Mode und des Sexus in weiträumigen Supervillen am Rande von LA, Paris und Rom zu schaffen, eine Art bewegten Fotoevent. Die wortlosen erotischen Verwicklungen, körperlichen Posen und emotionalen Arrangements werden durch Raoul Valves ambientartige Jazzmusik aufgeheizt und im sparsamen Voice-over durch eine in absoluter Vergangenheit erzählende Ich-Gebieterin (zumeist Dahlia Grey) drakonisch angekündigt. Ist diese Welt ohne Männer wirklich für Frauen oder doch nur für Männer gedacht?

Andrew Blake hat die Grenze besetzt, an der Sex durch permanente Nacktheit und fetischistische Unterkühlung filmisch, modisch und architektonisch universalisiert und zugleich zur Hierogyphe neutralisiert wird, zum jederzeit an- und abschaltbaren Sexotainment. Die wenigen Phalli, die plötzlich aus den Modeanzügen der männlichen Darsteller herausragen, wirken wie hochkünstliche Einlagen, wie Intermezzi ioccosi zwischen den Schenkeln ihrer Königinnen, die endlich Audienz gewähren. Der Genuss wird in zahllose Nah- und Fernperspektiven gebrochen, in einem visuell opulenten Tantrismus hochquälerischer Zeitlupe.

Andrew Blake hat die Verkunstung des gehobenen pornographischen Films durch Stilübernahmen aus der Modefotografie und durch Blick- und Perspektivenverschachtelungen virtuos eingesetzt und dadurch eine Partitur typischer Gefühle ins erotische Körper-Universum zurückgeholt. Insofern kann von einer videocliptechnisch wiederaufbereiteten Posing-Oper der erotischen Effekte und Affekte gesprochen werden. In Paris Chic spielt Coralie Trinh Thi eine mit Lackdessous auf Stöckelschuhen ausstaffierte exotische Regisseurin, die mit ihrer Kamera die zunächst barock ausstaffierte Lea Martini beim Liebesspiel mit ihrem Galan Bruno Aissix (einem Mitproduzenten) aufnimmt. Mediale Objektivation, Verliebtheit durch und in Distanz, vermeintliche Annäherung als Unterwerfung unter Dominanz, Ausstrahlung durch Geheimnistuerei, Entblößung und Entwertung, Eifersucht und Rage, Machtübernahme und Entwicklung der eigenen Dominanz, damit sind die Bestandteile der egomanischen Gefühlslibretti der Blake-Soft-Pornos beschrieben.

In einer Welt der Frauen, die für erotisch aufgeschlossene Männer (als Rezepteure und Voyeure) gemacht sein könnte, schrumpfen die Männer als Akteure zur Nebenrolle, zum bloßen phantasmatischen Insert ihrer selbst, zur Halluzination, zum medialen Gastspiel, dem eigentlich keine Erlaubnis zur Gegenwart erteilt wurde. In dieser Aussage liegt Blake mit den Mikromodellen von Stream und Pin Ups 1 und 2 nicht so weit entfernt von Kubricks letztem Film, Eyes Wide Shut, in dem die konkrete Sexualität der Ehepartner von der metaphysisch-phantasmatischen Welt künstlich hochgezüchteter Eifersucht, vermeintlich exklusiver Orgiastik und gesellschaftlicher Rangordnung beinahe zerrüttet wird.

Die Paradoxie des Glamour-Sex-Models ist der Schlüssel zum Verständnis der modernen Tele-Erotik, wie sie Paul Virilio hellsichtig erläutert hat: In einer Welt der über- und außersinnlichen Reizüberflutung, wie sie von Gehlen bis Marshall McLuhan für die künstlichen Informationskreise eines umweltentbundenen und instinktreduzierten Menschen-Sinnen-Wesens diagnostiziert wurde, führt der mediale Charakter heutiger Autosexualität, ihr abundanter erotischer Selbst-Bespiegelungsprozess zur Dispersion, zur Trennung und Neutralisierung der Geschlechter und Partner. Hypermedien und freigesetzte Hypersexualität laden einander auf. Der Glamour bietet dem eigenen und anderen Geschlecht ein warenästhetisches Reservat der Selbstbehauptung und des kapriziösen Eigenlebens, ein Konstrukt, das ihm in der alltäglichen Welt vor Ort zu fehlen scheint. Der blanke Hinweis auf das Geschlecht sucht immer wieder das modische Spiel, um die Realität des körperlichen Begehrens, seine Reife und sein Altern zu überhöhen.

Gewaltsamer Stunt zwischen Idealismus und Materialismus

Mit Baise-moi ist Virginie Despentes und Corali Trinh Thi ein eroto-porno-grafischer Stunt voller Wucht und Gewalt gelungen, dessen Radikalität mit Punk, Pulp und Trash, wütend, auf das Koordinatensystem des heutigen Medien-Sex-Glamours reagiert.

Stunts sind nicht mehr zu versichernde artistische, gefährliche, fragwürdige Einsätze, für die andere als Double ihren Kopf und ihren Körper hinhalten müssen (angeblich oder wirklich, weil sie geschickter, beweglicher, unbedenklicher oder auch schöner sind). Es gibt Action-Stunts, Sex-Stunts, Nackt-Stunts. Vor der Einführung der digitalen Bildbearbeitung waren sie für etablierte Stars unentbehrlich.

Die endlosen Beine, die sich am Anfang von Pretty Woman mit Strumpf und Stiefel zur Nachtschicht rüsten, sind nicht die von Julia Roberts. In Baise-moi sind die Körper der kindlich-verspielten Manu (Raffaëla Anderson) und der reiferen, zurückhaltenderen Nadine (Karen Bach) wirklich ihre Körper. Manu und Nadine müssen sich selbst spielen, Anderson und Bach spielen in jedem Moment sich selbst, als Schauspielerinnen, als Figuren und als Körper. Sie vollbringen eine bewunderungswürdige Leistung, indem sie für sich selbst und füreinander ununterbrochen Stunts liefern.

Anderson und Bach sind Pornodarstellerinen und Schauspielerinnen, die Virginie Despentes durch John B. Roots Doku-Fiction-Film Exhibitions (1999) kennen lernte und sofort als ideale Besetzung empfand. "Es ist wichtig, die Sexszenen 'in echt' zu filmen, ohne Body Double, denn es ist zum ersten Mal, dass man die Geschlechtsteile von Frauen sieht, die sich nehmen lassen, ohne dass man nur 'das Eine' sieht. Um dieser Fragmentarisierung ein Ende zu setzen, um diese Szenen Teil der 'Gesamtheit' werden zu lassen, müssen sie echt sein. Den Frauen die Ganzheit ihres Körpers zurückzugeben, die ihnen bisher immer verweigert wurde, bedeutet auch, den Frauen das Recht auf ihre eigene Sexualität zurückzugeben und diese dem männlichen Blick zu entreißen. Es sind die Männer, die mit der weiblichen Sexualität Schwierigkeiten haben, das ist nicht länger unser Problem", so Virginie Despentes (im Katalog der Feminale, 10. Internationales Frauen Film Festival in Köln, 2000, S. 118 f.).

Despentes bringt in ihrem Diskurs eine alte These, jedoch mit neuen, radikalen Mitteln: Die Wiederherstellung der körperlichen Ganzheit der Frauen im Leben, in der Kunst und im Film wird nicht in befriedeter Weise, sondern militant, schräg und schrill, mitten durch das Spiel von Macht und Unterwerfung, Hochkultur und "Pornografie" geführt. Despentes könnte so argumentieren, dass Bach und Anderson nun als seriöse Schauspielerinnen, gleichsam oberhalb der Gürtellinie rehabilitiert werden, wie Tracy Lords durch John Waters. Auf diese Position wird aber bewusst verzichtet.

Despentes und Trinh Thi wollen, dass Bach und Anderson sich im Rahmen von Buch und Drehbuch, als Porno-Schau-Spielerinnen doppelt provokant positionieren. Um eine unmögliche, fast destruktive Formel zu benützen: Der Idealismus und der Materialismus der Schauspielkunst sollen sich in einer radikalisierten post-feministischen Kinoästhetik gegenseitig "marxistisch aufheben", in einem komplexen artistischen Stunt. Die ungezügelte Porno-Grafie soll die Schauspielerei aus den konventionellen Grenzen des üblicherweise Darstellbaren herausreißen, soll den weiblichen Exzess des Ausdrucks und der Wollust dokumentieren und die Stilistik eingeübter Gesten und Rollenklischees durchbrechen. Dieser Teil ihrer antiästhetischen Botschaft gilt auch deutlich als Kampfansage des Trash, Punk und Pulp gegen die Glamour-Waren-Ästhetik des hypersexualisierten Medienbewusstseins. Umgekehrt soll die entfesselte Darstellungskunst die hochstandardisierten Sexszenen, Stellungen und Kameraeinstellungen der Pornoindustrie hinwegfegen, soll im improvisatorischen Acting Out wieder in eine lebendige, ganzheitliche Körpersprache, eine unzensierte Sprache der Lust, des Begehrens verwandelt werden, im positiven wie im negativen Ernstfall von Liebe und Hass, Anziehung und Ekel.

Warum so und nicht anders? Despentes und Trinh Thi wissen es: Die Pornografie ist der unglückliche Body Double des etablierten Hollywood-Kinos. Pornografie könnte im Guten ein Kamasutra, ein mediales Archiv der Liebestechniken und Lebenskünste sein. Aber solange Hollywood Körper, Seele und Geist feinsäuberlich auseinanderdividiert, ist die eigentliche Pornografie im abstrahierenden Andeutungskino Hollywoods selbst zu finden: Eine verstümmelte Schrift der körperlichen und geistigen Lust, überall Schranken der Autorität und der Zensur, Hieroglyphen der Entstellung und Verstellung.

Darüber kann auch die Integration pornografischer Elemente in den Hollywood-Mainstream wie in Paul Verhoevens Basic Instinct nicht hinwegtäuschen. Sie bestätigt eher noch die These vom "Verdrängungskino". Warum wegen zweier übereinanderschlagender Schenkel im Zehntelsekundentakt soviel Aufstand? Wenn die Stars in Leidenschaft heuchelnden Nacktszenen sich selbst doubeln, dabei aber Hautkleber und Bodynetze auf den erogenen Zonen tragen, weil nicht Erregung, sondern nur das Bild der Erregung verlangt ist, dann wird die Unterwerfung des zensierten Körpers unter das spekulative Marketing der kalkulierten Triebunterdrückung manifest. Vom belebenden Sex bleibt nur die verstreute Reizwäsche und die Anatomie der zerstückelten Leiche übrig, hingemetzelt vom eigenen Sehnsuchtstabu oder von einer verqueren Frau, die nur zum Schein Anteil nahm und die im imaginären Höhepunkt den Eispickel rausholt und den Kerl absticht, weil sie es leid ist, den Mega-Orgasmus vorzutäuschen. Erotische Subversion verrutscht zur Political Correctness. Sexbits müssen als Skandal mit tödlichem Ausgang beglaubigt werden und die puritanischen Gemütern bekommen volle Genugtuung: auf außerehelichen Geschlechtsverkehr folgt sofortige Bestrafung.

Auch in Baise-moi haben die Heldinnen nichts Gutes zu erwarten. Aber weil sie keine schönen Gefangenen des Glamors sind, weil sie wahrhaftige Proletarierinnen des sexuellen Alltagslebens im Milieu zwischen Chauvismus, Prostitution (Nadine) und erstem Porno (Manu), haben sie, im klassischen Sinne, auch nichts zu verlieren. In den verteilten Rollen sexueller Ausbeutung ist bereits die Dialektik von Körper-Arbeit und Körper-Schauspiel eingeschrieben, die heuchlerische Kritik an der Gewaltausübung "aus Frauenhand" übersehen hat.

Nadines (Karen Bachs) abwesender Gesichtsausdruck am Beginn des Films könnte auch am Ende stehen. Wie in Trance, in einer endlosen Nacht, irgendwann, irgendwo. Die Sucht gibt dem Film die Form eines Trips. Die Einkehr in das künstliche Paradies der Selbstbetäubung hält nie lange an. Der Fahrstuhl zum Schaffott wartet. Baise-moi ist voll von kleinen, bösartigen Fluchten und wilden Räuschen, und doch ein Film der ständigen Ausnüchterung spekulativer Erwartungen. Die Gewaltverherrlichung des Films ist insofern eine Fehlwahrnehmung. Die Drogen, der Alkohol, die Videos, der Discman, die Stereoanlage, das Auto, die Waffe, die Ficks und die Flics - immer wird plötzlich umgeschaltet, muss eines das andere ersetzen, bis nichts mehr übrigbleibt. Jeder Versuch, zu entkommen, lässt die Angst vor der Wirklichkeit wachsen. Unberechenbare, anarchistische Frauen drehen ihr eigenes Ding, entziehen sich durch ihre Tricks und Techniken der männlichen Macht, um ihr auf Zeit eine Gegenmacht entgegenzusetzen, um ihr Leben, und sei es mit Gewalt, auszukosten und daran zugrundezugehen.

Die Begegnung der beiden Frauen am Fluss auf der Parkbank dauert nicht lange. Drei gedrungene weiße Typen starren von oben auf sie herab. Kidnapping im BMW. Die Vergewaltigung in der Garage ist der Moment der Wahrheit für den Film, das Geschehnis, das die beiden später zusammenschweißen wird. Die bewegte Kamera, die Schreie Nadines (im Roman: Karlas), die erniedrigende Banalität der Entblößung, die Brutalität der Gewalt und die Widerlichkeit einer gefühllosen Kondom-Penetration in Großaufnahme. Es sind gerade die ungeschminkte, theatralische Totale und die pornografischen Details, die den Zuschauer bedrücken.

Aber wofür stehen diese Bildelemente? Für eine Sozialreportage zur Unterdrückung der Frau? Oder für eine illusionslose mediale Parodie dessen, wie das Pornogeschäft in Wirklichkeit, an seiner rüden Basis abläuft? Während Nadine völlig aufgelöst ist, bleibt Manu unterkühlt und folgt den Befehlen der Angreifer aufs Wort. Sie raubt ihnen die Lust an der Gewaltherrschaft, indem sie jeden anstachelnden körperlichem Widerstand unterlässt und scheinbar müde und entleert, ohne jede positive oder negative Intensität, gehorcht. Und sie beugt der Lust an der Herrschaft ein zweites Mal vor, wenn sie die Regie auf der Wortebene übernimmt, den Penetrator verbal angreift, ihn als Schlappschwanz tituliert, der jegliche überzeugende sexuelle Energie vermissen lasse. Lustlos geworden, ziehen sich die Angreifer zurück.

Diese Taktik der coolen Ausnüchterung, des bewussten Ausstiegs aus dem vermeintlichen Gefühlsausbruch führt näher an den Kern des Films als alles Gerede über Sex and Crime. Nadine fragt Manu, ob sie in Pornos gearbeitet habe, sie bejaht. Als Darstellerin kennt Manu die Wahl, zwischen Engagement und Verstellung, der gezielte seelisch-körperliche Einstieg und Ausstieg aus dem Szenario. Es ist die Taktik des pornografischen Schau-Spiels, der kalkulierte Einsatz des Körpers und der Seele, der zur Befreiung aus der Raserei des Leidens verhilft.

Die kindlich-magische Eigenwilligkeit und Anarchie Manus erreicht ihren ersten fatalen Höhepunkt, als ihr brüderlicher Freund die Würge- und Wundmale an ihrem Körper entdeckt. Er schreit die übliche männliche Racheformel "violée" heraus, greift großspurig zur Pistole und spielt sich als wütender Beschützer auf. Aber die junge Frau ist nicht so betroffen, wie es der marode patriarchalische Codex vorschreibt. Der Freund ist schnell nicht mehr der Freund, für ihn hat sie ihren moralischen Anspruch auf Schutz verloren: Sie sei eine "Nutte", äußert er ebenso abrupt wie verächtlich. Im Gerangel löst sich ein Schuss, ihm schlägt die Kugel durch die Stirn. Die Gewalt baut sich schlagartig auf, logisch und doch wie ein unerwartetes Ereignis, weil es diesmal die Unterdrücker trifft..

Die gemeinsame Flucht Manus und Nadines führt in die Idylle eines atlantischen Badeorts. Hier wird der Gewalt eine neue, unkorrekte Gestalt gegeben, wie sie bisher Männern vorbehalten war. An einem Bankomat wird eine bürgerliche Kundin im Kostüm beim Abheben sorgfältig beobachtet. Die Geheimzahl entschlüsseln, die Karte stibitzen, jede Menge Geld abheben. Nichts leichter als das. Doch dann folgt die Rückblende: Die Erschießung der hilflosen Frau, die nicht versteht, was ihr geschah. Einfach so aus Spaß. Gegen alte feministische Korrektheit. Von Kugeln durchsiebt, sinkt sie an der düsteren Wand nieder. Die zwei Mörderinnen genießen in der lärmigen Kneipe das Geld als Wohlstandsdroge. Jetzt käme es darauf an, "viel zu saufen und Wölfe zu fangen." Die Ladies schalten um und geben Gas.

Die folgende Sequenz, in der die Heldinnen sich im Hotel zwei Männer sexuell vorknöpfen, ist die positive Replik auf die anfängliche Vergewaltigungsszene. Ein Ganzkörperpanorama mit drastisch-rauschhafter Erregung und Sexaktion. Die Frauen nehmen sich und lassen sich nehmen und schauen sich dabei tief in die Augen. Ein Mann verlangt zuviel. Manu sagt: "Hau ab." Den anderen überlässt sie der Freundin. Das Spiel hat begonnen. Jetzt ist die Macht da, über sich selbst zu bestimmen, gegen den fremden Zwang von Kerlen aus dem Milieu und gegen das gebildete Gerede von Männern aus der gehobenen bürgerlichen Klasse, die ihre Lüste in Bücherregalen katalogisieren. Die Gegengewalt Manus und Nadines ist ein dramaturgisches Mittel, sich der auf Zeit gewonnenen Freiheit kriegerisch zu versichern. Die "Kondommänner" sollen vernichtet, zertreten werden. Auf ihr Geschlecht soll erbrochen werden. Die männlichen Liebhaber haben Glück, wenn sie der Gier und Wut der verrückten Liebesracheengel entkommen. Angst und Wut ist der Herzschrittmacher, der immer stärkere, immer rasantere Demütigungs- und Vernichtungsrituale herbeizieht, in denen die Frauen sich für das an ihnen begangene Unrecht imaginär und real schadlos halten. Gewalt, willkürlich und zweckfrei ausgeübt von einer Frau, ist der skandalöse Eingriff in die männlich vermachtete Körperwelt.

Am Ende überschlägt sich die überhitzte Dialektik von Leib und Schauspiel, wenn die wilden Stuntfrauen, längst zu Waffenartistinnen geworden, im übertriebenen Stil eines John-Woo-Films sich im Körper ihres Feindes aufhalten und in einem Sex-Club die koitierenden Pärchen hinstrecken. "Baise-moi" - "Leg mich flach." Die Gewalt hat längst ihren Ereignischarakter verloren, sie ist zur hyperbolischen Hongkong-Action geworden, zum Schauspiel der suchtbeschleunigten Liquidierung einer missliebigen Umwelt, des nur herbeigefieberten irrealen Ausbruchs aus der ebenso irrealen unwahren, bedienungsfixierten Prostitution. Der Gewaltporno ersetzt den Pornoporno: Die Waffe wird zum Fetisch der Befreiung, der Sexualität, der Penetration der anderen Art, ohne dass der simulative Kreis aus Angst und Aggression durchbrochen würde.

Baise-moi geht übrigens weit über Ridley Scotts Thelma and Louise hinaus: Manu und Nadine fliegen nicht als gute Mädchen mit dem schicken Straßenkreuzer in den touristischen Himmel des Grand Canyon. Manu wird wie beiläufig von einem gut bewaffneten Ladenbesitzer niedergestreckt. Wieder der Schnitt - mitten durch das beinah ausgelöschte, vollbetäubte Bewusstsein: Nadine liegt wie leblos am Boden, die wilden Bilder Manus im Kopf. Doch die zurückfahrende Kamera zeigt, dass die etablierte Ordnung sie aus ihrem Rausch herausreißen wird. In der Nahaufnahme sehen die Kräfte des Spezialkommandos noch wie Vergewaltiger aus. Die irritierende Spitze von Buch und Film bleibt die ästhetische Ritualisierung der weiblichen Gewalt zur rauschhaft-drakonischen Gegenkraft. Sie saugt den Eros in sich auf und bietet dem Alltag und dem Medienglamour die Amazonenstirn:

"Ich finde es erschreckend vulgär, ein Motiv zum Töten zu haben. Das ist eine Frage der Ethik. Drauf lege ich Wert. Großen Wert. Die Schönheit einer Geste, ich messe der Schönheit einer Geste sehr große Bedeutung bei. Sie muss selbstlos bleiben."

So lautet die anarchistische Abrechnung mit jeglicher Normierung, mit dem Usancen der Porno-Industrie, mit den kultivierten Formen des Autoren-Kinos sowie dem politisch korrekten Feminismus. Die Explosion von Baise-moi signalisiert die totale Verstörung und Entschränkung dessen, was eine Frau sein kann und sein will.

Baise-moi. Film. Frankreich 2000. 35 mm. Farbe. 77 min. OF. Regie: Virginie Despentes, Coralie Trinh Thi. Kamera: Benoît Chamaillard. Schnitt: Aïla Auguste, Francine Lamaître. Darstellerinnen: Raffaëla Anderson, Karen Bach. Produktion: Pan Européenne Production. Philippe Godeau, Paris.

Virginie Despentes. Wölfe fangen. Roman. Übers. v. Kerstin Krolak und Jochen Schwarzer. Originaltitel: Baise-moi. Éditions Florent-Massot, Paris 1996. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999.

Carla Despineux, Verena Mund (Hrsg.): Girls, Gangs, Guns. Zwischen Exploitation-Kino und Underground.Schüren, Marburg 2000.

Katalog der Feminale, 10. Internationales Frauen Film Festival in Köln, 2000. Hier: S. 118 f.