Ein Forum für den Frieden

Mit der Gründung eines Forums will die Gesellschaft für bedrohte Völker die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Tschetschenien fördern

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Anlässlich der Feiern zum 8. Mai hat der russische Präsident Wladimir Putin vollmundig von der Wichtigkeit friedlicher Versöhnung gesprochen. Für den Krieg im eigenen Land, in der Kaukasusrepublik Tschetschenien, gilt das freilich nicht – dort werden schließlich Terroristen gejagt. Die Kritik an seiner Politik ist international eher verhalten, und wenn, wird sie ohne Nachdruck vorgetragen.

In diesem Jahr hat auch die EU-Gruppe in der Menschenrechtskommission erstmals keine Resolution eingebracht, in der Russland wegen des Vorgehens in Tschetschenien kritisiert würde. Angesichts der Zusammensetzung der Kommission ist das zwar nicht erstaunlich, trotzdem bedeutet es für Tschetschenien einen großen Rückschritt – für die dort aktiven humanitären und Menschenrechtsorganisationen ist es ein Schlag ins Gesicht.

Jetzt erst recht

Doch diese Organisationen müssen und werden aktiv bleiben, für viele gilt die Devise: Jetzt erst recht. Um sie bei ihrer Arbeit zu stärken und zu schützen, hat die Gesellschaft für bedrohte Völker ein Projekt ins Leben gerufen, das zivilgesellschaftliche Strukturen in Tschetschenien fördern will.

Zerstörte Stadt: Grosny im Jahr 2003 (Bild: Archiv GfbV)

Ziel ist es, den aktiven Gruppen dabei zu helfen, sich untereinander stärker zu vernetzen, ihre Aktivitäten besser zu koordinieren und auch zu professionalisieren. Sie sollen dabei unterstützt werden, Verbindungen zu ausländischen Partnern, also etwa internationalen Organisationen, politischen Organen und Geldgebern, aufzubauen und zu festigen.

Schlecht vernetzt

Es hängt wohl allein schon mit den desolaten Rahmenbedingungen in Tschetschenien zusammen, dass viele der zivilgesellschaftlichen Gruppen wenig professionell arbeiten. Häufig handelt es sich eben auch nicht um eine Gruppe, sondern um Einzelkämpfer, die irgendwann eine Initiative gestartet haben, aber teilweise nicht einmal über ein eigenes Büro oder Telefon verfügen. Von einem eigenen PC können die meisten nur träumen. Die Vernetzung dieser Initiativen ist relativ schlecht, Zusammenarbeit selten.

Das hat sich nach Angaben von Projektleiterin Rahel Specht von der Schweizer Sektion der GfbV als das größte Problem herausgestellt, liegt jedoch nicht nur an den mangelhaften Kommunikationsbedingungen.

Die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit rühren nicht einmal von ideologischen Unterschieden her, sie liegen vielmehr auf der persönlichen Ebene. Es herrschen großes Misstrauen und zum Teil auch Neid, weil eine Gruppe mehr Geld zur Verfügung hat oder über bessere Kontakte zum Ausland verfügt.

Teilweise hat das mit dem ausgeprägten Clan-System zu tun, die Hintergründe für diese gesellschaftliche Fragmentierung sind jedoch sehr viel komplexer angelegt und von außen schwer zu durchschauen. Jedenfalls ist es ein besonderes Anliegen des Projektes hier eine engere Vernetzung zu schaffen und der Fragmentierung entgegenzuwirken.

Um Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppen herzustellen, arbeitet das Projekt mit Koordinationspersonen, die über den direkten Kontakt Personen und Gruppen zusammenbringen und Informationen weiterleiten. Sie wurden von den Vertretern der Organisationen ausgewählt.

Mehr Professionalität

Die Gruppe von Aktivisten, die es geschafft hat, sich international ein bisschen zu vernetzen, ist klein. Die meisten schlagen sich tapfer durch. Mehr Kompetenzen bei der Projektarbeit sollen durch verschiedene Ausbildungsprogramme vermittelt werden, die Partnerorganisationen durchführen. Ein Ausbildungsgang widmet sich den Menschenrechten und der systematischen Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Dazu ist eine gute Kenntnis der Institutionen und Instrumente zum Schutz von Menschenrechten notwendig.

„Es ist wichtig zu wissen, wie bestimmte Mechanismen in Russland funktionieren und wie mit ihnen umzugehen ist“, erklärt Specht. „Die tschetschenischen Aktivisten sollen befähigt werden, effiziente Informationen an die zuständigen Stellen auf internationaler Ebene weiterzugeben und sie werden dazu auch im Umgang mit einer speziellen Software geschult. Mit diesen Daten wird ein elektronisches Archiv über Menschenrechtsverletzungen aufgebaut, das später für juristische Zwecke genutzt werden soll.“

Alltag in Tschetschenien: Gemeinde bei einer Totenmesse (Bild: Archiv GfbV)

Die Kurse finden in Inguschetien statt, weil sich die meisten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dort aus Sicherheitsgründen niedergelassen haben.

Ein zweiter Ausbildungsbaustein heißt Projektarbeit und Organisationsentwicklung. Im Rahmen dieses Programms werden die Teilnehmer zunächst einmal Englischkenntnisse erwerben und sich mit den Grundlagen der Planung und Durchführung von Projekten befassen. Sie sollen dabei auch Ideen entwickeln, wie sie mit internationalen Geldgebern in Kontakt treten können und welche Möglichkeiten der Partnerschaft es mit westeuropäischen Organisationen gibt. Das erste Trainingsprogramm zum NGO-Management wird von der russischen Organisation CAF Russia durchgeführt, die vom britischen Außenministerium finanziert wird.

Schutzmaßnahme Mentoring

Ein weiteres ganz grundlegendes Problem ist die Sicherheit. Denn jeder, der sich in Tschetschenien und immer mehr auch in den umliegenden Regionen im humanitären Bereich oder zum Thema Menschenrechte engagiert, riskiert täglich sein Leben. Um hier für einen gewissen Schutz zu sorgen, wird ein Mentoring-System aufgebaut. Dazu sucht die GfbV öffentlich bekannte Personen, die eine Verbindung mit einem tschetschenischen Partner knüpfen sollen.

Ziel ist es, zwischen beiden Seiten ein persönliches Verhältnis aufzubauen. Gerät der tschetschenische Partner in eine Notlage, wird der Mentor informiert und es wird zusammen mit der in Russland ansässigen internationalen Helsinki Föderation beraten, was getan werden kann. Der Mentor soll dann sein Beziehungsnetz einschalten. Der Start für das Mentoring-System wurde mit fünf Schweizer Parlamentariern gemacht.

Nicht immer nur Säbelrasseln und martialische Sprüche

Im Herbst findet die Gründung des Chechen Civil Society Forum in Bern statt. Rund 20 Vertreter unterschiedlicher zivilgesellschaftlicher Organisationen werden im Beisein von Repräsentanten verschiedener Staaten sowie des Europarates das Forum als Plattform der Zivilgesellschaft offiziell gründen. Gleichzeitig soll die Veranstaltung den tschetschenischen Vertretern die Gelegenheit bieten, nützliche Kontakte aufzubauen und ihr Anliegen einem breiteren Publikum vorzutragen.

Der GfbV liegt daran, dass endlich wieder andere Stimmen die Öffentlichkeit erreichen, nicht immer nur die der russischen Regierung, mit ihrer monotonen Rechtfertigung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, aber auch nicht die gewaltsame Stimme der Rebellen.

Flüchtlingskinder in einem Lager bei Nasran in Inguschetien (Bild: Archiv GfbV)

Seit dem Tod von Aslan Maschadow hat Tschetschenien keinen international anerkannten Fürsprecher mehr. Prominente Köpfe wie Iljas Achmadow und Achmed Sakajew leben im Ausland, haben ihre Heimat schon lange nicht mehr gesehen – und sie werden immer älter. Außerdem: Wer empfängt schon offiziell einen Achmed Sakajew?

Die Menschenrechtler hingegen gelten als integer und nicht korrumpierbar. In der jetzigen Situation kommt ihnen als „Botschafter“ des tschetschenischen Volkes eine doppelt wichtige Rolle zu, auf die sie das Projekt vorbereiten soll. Aber auch die EU sucht verlässliche Partner in der Kaukasus-Republik, die humanitäre Projekte gut und professionell durchführen können. Immer wieder steckt die EU Gelder in den Aufbau des Landes, das auf wundersamen Wegen auf Nimmerwiedersehen versickert. Die Anbindung der Menschenrechtsgruppen vor Ort an die große Öffentlichkeit ist mithin wichtiger denn je. Das Forum will einen Dialog in Gang bringen und damit zu einer friedlichen Lösung des Konflikts beitragen.