Ein Klima-Camp in der Autostadt
Ausgerechnet am VW-Standort Wolfsburg werben Aktivisten für die Verkehrswende. Sie stoßen dort nicht einmal auf pauschale Ablehnung. Ein Ortstermin.
"Aalto" steht groß auf dem Plakat in der Wolfsburger Innenstadt. Im ersten Moment vermutet man, dass hier ein Plakat verfremdet wurde, das für ein Produkt werben soll, das in Wolfsburg noch immer eine sehr große Bedeutung hat: das Auto. Doch es ist kein Druckfehler. Das Plakat in der Wolfsburger Innenstadt wirbt tatsächlich für eine Veranstaltung zum finnischen Architekten Alvar Aalto, der auch hier Spuren hinterlassen hat.
An eine gelungene Plakatveränderung denkt man zunächst auch deshalb, weil es dieser Tage eine Veranstaltung zum Thema "Adbusting" im Verkehrswende-Camp gab, das noch bis Mittwoch mitten in der Wolfsburger Innenstadt direkt gegenüber vom Hauptbahnhof seine Zelte aufgeschlagen hat. Unter den vielen Veranstaltungen war auch ein Vortrag über Adbusting, wie das Verfremden von Plakaten genannt wird.
Aktivisten und Beschäftigte gemeinsam für Straßenbahnen statt Autos
Dass es den Verkehrswende-Aktivisten darum geht, die Stadtbevölkerung zu gewinnen, zeigte sich an den Parolen auf Transparenten und Flugblättern. Da wird immer wieder die Kooperation zwischen Klimabewegung und VW-Beschäftigten beschworen. Konkreter heißt es auf einem Transparent vor dem Camp: "Wer künftig Straßenbahnen baut, keine Arbeitsplätze klaut".
Schon im März hatten Verkehrswende-Aktivisten Transparente mit aufgemalten Straßenbahnen über einen Autozug gespannt. Doch sie wollen natürlich nicht bei symbolischen Aktionen stehen bleiben. Ihnen geht es weniger darum, Autos mit Bildern von Straßenbahnen zu verdecken, als darum, dass tatsächlich Bahnen statt Autos produziert werden. Da gelangen den Aktivisten auch schon reale Erfolge.
Im letzten Jahr wurde durch Proteste der Bau einer weiteren VW-Fabrik verhindert. Noch wichtiger ist, dass es auch in der Belegschaft durchaus Sympathien für diese Art Verkehrswende gibt. Viele VW-Beschäftigte stehen auf dem Standpunkt, dass ihnen egal ist, was produziert wird, wenn nur der Arbeitsplatz erhalten bleibt. Es gibt aber auch eine Minderheit von VW-Arbeitern, die aktiv für diese Verkehrswende in der Autobranche kämpft.
Dazu gehört der Vertrauensmann bei VW Braunschweig, Lars Hirsekorn. Auch VW-Arbeiter hätten ein Interesse daran, dass die Umwelt nicht weiter aufgeheizt wird, argumentiert er.
Wenn Arbeiter entscheiden, was produziert wird
Allerdings gäbe es noch andere Argumente dafür, dass sich Beschäftigte für einen Produktionswechsel bei VW einsetzen. Dabei geht es um die Frage der Produzentenmacht im Betrieb. Die wurde ihnen durch die Art der Autoproduktion nicht nur bei VW immer mehr genommen. So beklagten sich schon vor über einem Jahrzehnt Opel-Arbeiter in Bochum, dass Streiks durch die Umstellung der Produktion zunehmend ins Leere gelaufen wären.
Wenn an einem Standort die Arbeit niedergelegt wird, sollen sofort andere Standorte einspringen, damit die Produktion nicht beeinträchtigt wird. Das war 2004 noch anders, als Beschäftigte von Opel-Bochum für sechs Tage die Produktion stoppten und damit die Lieferkette empfindlich beeinträchtigen. Die Antwort des Kapitals war eine Umstellung der Produktionsketten, damit der Widerstand ins Leere läuft.
Damit soll auch die Selbstermächtigung der Beschäftigten verhindert werden. Würden relevante Teile der Belegschaft dafür kämpfen, dass Straßenbahnen statt Autos mit den jetzt in VW-Werken vorhandenen Maschinen produziert werden, wäre das ein Akt der Selbstermächtigung der Arbeiter, die sich wieder auf ihre Produzentenmacht besinnen könnten und dafür Unterstützung von außerbetrieblichen Gruppen wie der Klimabewegung bekämen.
Im Film "Der laute Frühling" von Johanna Schellhagen wurde ein solcher gemeinsamer Kampf schon mal filmisch dargestellt. Damals haben selbst wohlmeinende Stimmen davor gewarnt, dass hier Illusionen erzeugt würden. Doch diese Szenen haben auch Klimaaktivisten inspiriert, die Perspektive der Verkehrswende im Zentrum der VW-Stadt Wolfsburg zu propagieren.
Klima-Aktivismus auf der Porsche-Straße
Am Sonntag war ein Teil der Porsche-Straße gegenüber vom Wolfsburger Bahnhof für den Autoverkehr gesperrt. Dort hatten Aktive der Klimabewegung Stände aufgebaut, um für die unterschiedlichsten Aspekte der Verkehrswende zu werben. Auch Vorträge, Musikeinlagen oder Theaterstücke wurden auf die Straße verlegt. Die Beteiligung der Wolfsburger Bevölkerung hielt sich auch wegen der kühlen Witterung in Grenzen.
In einem nahegelegenen Restaurant unterhielten sich ältere Männer an einem Tisch über die "Klimakleber", die jetzt in der Stadt seien, wie sie aus der Lokalzeitung erfahren hätten. Tatsächlich berichteten die Wolfsburger Nachrichten ausführlich auf der ersten Seite über die Aktivisten und stellten auch deren Argumente vor. Die älteren Männer im Café schimpften nicht auf die Aktivisten, aber den Schritt, einfach die fünf Minuten zum Camp zu gehen und mit ihnen zu reden, machten sie dann doch nicht. Doch es gab auch ältere und jüngere Wolfsburger, de da weniger Berührungsängste hatten und in den Dialog traten.
Die Klimawende und die Zukunft der Arbeit
Drei Kilometer vom Camp entfernt in der Wolfsburger Altstadt befindet sich das Schloss, das heute vielen Kultureinrichtungen ein Domizil gibt. Am vergangenen Sonntag lud der Wolfsburger Kunstverein in den Räumen zur großen Foodsharing-Aktion ein. Am Ende wurde ein Teil der übrig gebliebenen Brötchen und Brote für das Verkehrswende-Camp gespendet.
Es hat sich schnell gezeigt, dass es – wie in vielen anderen Städten – auch in Wolfsburg eine sehr gespaltene Stadtgesellschaft gibt. Da dominiert in der Innenstadt noch immer das Gebäude der IG-Metall, die natürlich nicht für das Camp Werbung macht, aber durchaus Mitglieder hat, die mit den Verkehrswende-Aktivisten sympathisieren. Nur wenige hundert Meter weiter ist auch offene Armut nicht zu übersehen. Dort leben Menschen, die von der Gesellschaft abgehängt wurden und im alltäglichen Überlebenskampf wenig Zeit und Interesse für Verkehrswende-Konzepte haben.
Würden auch sie profitieren, wenn vielleicht durch Bau von Straßenbahnen Wolfsburg ein Zentrum der Verkehrswende würde – und würde dann das Interesse an solchen Konzepten wachsen? Das ist snd Fragen, die sich die Menschen stellen, die die Verkehrswende im Herzen der VW-Stadt vorantreiben wollen. Es ist jedenfalls ein Erfolg, dass zumindest ein Teil der Beschäftigten die Verkehrswende-Konzepte hin zu Straßenbahnen direkt unterstützt oder zumindest toleriert.
Größer ist das Problem, die Menschen zu erreichen, die von der Gesellschaft schon längst nichts mehr erwarten. Hier stellen sich Fragen, die am 11. Mai ab 19 Uhr bei einer Podiumsdiskussion im Berliner Mehringhof unter dem Motto "Ökologische und soziale Fragen zusammendenken!" mit Aktiven aus verschiedenen Klimagruppen diskutiert werden sollen. Einige werden dabei ihre Erfahrungen aus Wolfsburg mit einbringen können.
Transparenzhinweis: Der Autor moderiert gemeinsam mit Anne Seeck am 11. Mai die Diskussionsveranstaltung "Ökologische und soziale Frage zusamnendenken! Und wie sieht die Zukunft der Arbeit aus?" im Berliner Mehringhof