Ein Ur-Säugetier von 2 Gramm Gewicht

Der "Hadrocodium wui" ist die neueste Entdeckung der Paläontologie und einer der Vorläufer der Säugetiere

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

. In der Zeitschrift Science vom 25. Mai veröffentlicht ein internationales Wissenschaftler-Team seine Untersuchungsergebnisse über den winzigen Ur-Säuger

Kleiner als ein Daumennagel ist der erstaunlich gut erhaltene Schädel, der vor über 10 Jahren in China gefunden, aber erst jetzt von einem internationalen Wissenschaftlerteam analysiert wurde. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift Science vom 25. Mai. Zhe-Xi Luo vom Carnegie Museum of Natural History, Alfred W. Crompton vom Department of Organismic and Evolutionary Biology der Harvard University und Ai-Lin Sun of the Chinese Academy of Sciences haben das neu entdeckte Säugetier "Hadrocodium wui" getauft. Der Name leitet sich ab von "Hadro“ (Griechisch: groß und voll) und "Codium“ (Griechisch: Kopf) - wegen seines ungewöhnlich großen Gehirns.

Der Schädel wurde in der Yunnan Provinz in Südchina gefunden, einem ergiebigen Fundort für Fossilien. Der Schädel war in Gestein eingebettet und Ai-Lin Sun brachte ihn nach Harvard mit, als sie dort ihre Gastprofessur antrat. Nachdem die Knochen freigelegt worden waren, hatten die Wissenschaftler ihre Sensation: sie sind sich sicher den Missing Link zwischen Reptilien und Säugetieren gefunden zu haben. Das älteste echte Säugetier, das bisher gefunden wurde.

Hadrocodium wui war winzig, sicher nicht schwerer als 2 Gramm und auf Grund seiner Kopfform sowie der Körpergröße ein Insektenfresser. Die Forscher vermuten, dass das Tier ein behaarter Warmblütler war, was sie aber nicht sicher beweisen können, zumal sie nur den 13 mm langen Schädel haben. Ihre Rekonstruktion, die ein braunes Pelztier zeigt, das einem Marder ähnelt, ist sicher etwas gewagt. Wie der Rest des Körpers des kleinen Säugers ausgesehen hat, ist reine Spekulation, ebenso die Beschaffenheit seiner Haut.

Entscheidend für die Einordnung als Säugetier ist die Form der Mittelohr-Knochen, der Zähne und des Kiefers. Drei miteinander verbundene Knochen im Mittelohr, die dafür zuständig sind, vibrierende Luftströme in Nervensignale umzuwandeln, die dann vom Gehirn als akustische Signale verarbeiten werden können, sind anerkanntes Merkmal der Gattung Mammalia (Säugetiere).

Auch der Unterkiefer in Form eines einzigen Knochens, in den die Zähne eingebettet sind, gehört zwingend zu dieser Klassifikation. Ein Säugetier ist Angehöriger einer Klasse der Wirbeltiere, deren Junge durch ein Milchsekret ernährt werden und typisch sind Milchzähne, die dann durch zweite Zähne ersetzt werden. Im Gegensatz dazu haben Reptilien Zähne, die immer wieder nachwachsen. Die Form der Zähne lässt darauf schließen, dass der großhirnige Winzling Hadrocodium wui seine Jungen säugte.

"Säugetiere unterscheiden sich von den nicht-säugenden Wirbeltieren durch ein größeres Gehirn und eine fortgeschrittene Ohr-Struktur,“ meint Zhe-Xi Luo, "Es ist eine Herausforderung für die Wissenschaftler, diese wichtigen Merkmale von Säugetieren in fossilen Fundstücken aufzuspüren."

Hadrocodium wui lebte gesichert vor mindestens 195 Millionen Jahren, der Zeit des frühen Jura. Der Schädel beweist also, so argumentieren die Forscher, dass sich Säugetiere 45 Millionen Jahre früher als bisher angenommen, aus Reptilien entwickelten.

Die Dinosaurier stampften über das Land und ließen die Erde erzittern, während der kleine Insektenfresser unaufhörlich Käfer und Würmer verspeiste. Das Zeitalter der Säugetiere wird erst vor 65 Millionen Jahren (Tertiär) beginnen, nachdem die riesigen Reptilien vermutlich durch die Klimaveränderung nach einem Meteoriten-Einschlag (Kometentheorie doch falsch?) ausgestorben waren. Die flexiblen Warmblütler übernahmen die Erde und entwickelten sich in eine Vielzahl von Arten, angefangen bei der Feldmaus bis zum Wal.

Das Wissenschaftlerteam ist überzeugt, ein echtes Säugetier gefunden zu haben und damit gängige Theorien in Frage zu stellen. Aber es ist ihnen klar, dass ein Fund noch keine Revolution auslösen wird. Alfred Crompton kommentiert: "Bisher sind die ältesten Funde direkter Vorfahren von Säugetieren nur an 150 Millionen Jahre alten Fundorten ausgegraben worden. Nicht jeder wird mit unserer Interpretation übereinstimmen, dass dieser Schädel einer Spezies, die vor 195 Millionen Jahren lebte, tatsächlich unser Urahn ist.“ Weitere Fund von Fossilien werden das untermauern müssen, es ist auch nicht auszuschließen, dass die Linie des Hadrocodium wui ausstarb.

Sicher ist – und dem stimmt auch André Wyss von der Mammalian Paleontology der University of California, Santa Barbara, in seinem Begleitartikel in Science zu – dass diese Kreatur erstaunlich winzig ist und die Erkenntnis über Bandbreite der Körpergröße früher Säugetier-Verwandter beträchtlich erhöht. Die morphologische Entwicklung der Mammalia erscheint nach diesem Fund in einem neuen Licht.