Ein absichtliches Versehen?

Burg von Chalkida. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Wieso die Nea Dimokratia Schwierigkeiten mit den Folgen der Nazi-Besatzung hat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der vergangenen Woche wurde im griechischen Parlament über die Wiedergutmachung eines sieben Jahrzehnte zurückliegenden Unrechts abgestimmt. Eine Gruppe von Syriza-Abgeordneten hatte eine Gesetzesvorlage ins Plenum gebracht, mit der auch die Nachkommen von Juden, die während der Besetzung Griechenlands durch das Dritte Reich ihrer Staatsbürgerschaft beraubten wurden, einen Anspruch auf die griechische Staatsbürgerschaft haben.

Ein zuvor gültiges Gesetz gab nur den Überlebenden des Holocaust dieses Recht. Damit blieben all jene ausgeschlossen, die zwar von griechischen Juden abstammten, aber deren Vorfahren, die als griechische Staatsbürger geborenen waren, vor Gültigkeit des Gesetzes verstorben waren. Trotz des Symbolcharakters der Gesetzes-Novelle handelt es sich um eine Regelung, die nur einen überschaubaren Personenkreis betrifft.

Komplette Wiedergutmachung ist ohnehin nicht möglich, zumal viele der in jener Zeit staatenlos gewordenen jüdischen Griechen und ihre Familien mit der Staatsbürgerschaft den Rechtsanspruch auf ihre Immobilien und sonstigen Vermögenswerte verloren hatten. Gültig wurde der Rechtsanspruch für die Überlebenden erst mit Artikel 13 des Gesetzes 4018 aus dem Jahr 2011.

Antisemitische Vorgeschichte der Nea Dimokratia

Vorher, zu Zeiten als die Goldene Morgenröte noch eine kleine, unbeachtete Splitterpartei war, fielen vor allem Politiker der Nea Dimokratia durch antisemitische Sprüche auf. So relativierte der frühere Bürgermeister von Thessaloniki, der wegen Untreue in Millionenhöhe verurteilte Vassilis Georgopoulos, die Auslöschung der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki, die zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert die größte jüdische Ansiedlung überhaupt darstellte, mit dem Kommentar, dass die Juden schließlich keine Eingeborenen Griechenlands gewesen seien und im Übrigen außerhalb des Landes gemeuchelt wurden.

Seit jedoch Kyriakos Mitsotakis vor knapp einem Jahr den Vorsitz der Nea Dimokratia als Parteichef antrat, versucht er - zumindest verbal - die antisemitischen Töne seiner Partei vergessen zu machen. So bemerkte er selbst anlässlich des Holocaustgedenktages in Thessaloniki, "und wenn wir einige harte Wahrheiten aussprechen müssen, so soll es geschehen. Die Gesellschaften entwickeln sich nur dann weiter und wiederholen die alten Fehler nicht, wenn sie die alten Rechnungen der Geschichte begleichen".

Sein Vize, der nationalkonservative Adonis Georgiadis sah sich gar bemüßigt, öffentlich von den Juden Griechenlands Vergebung zu erbitten. Georgiadis, der einen Buchverlag mit überwiegend rechtskonservativen Schriften betreibt, hatte in diesem auch antisemische Bücher vertrieben und solche früher über seinen Teleshop begeistert beworben.

Offenbar goutierten nicht alle potentiellen Wähler der Nea Dimokratia diese Politik. Es gab in sozialen Netzwerken durchaus kritische Stimmen aus dem konservativen Lager. Zudem versucht die Nea Dimokratia den Spagat, gleichzeitig im politischen Zentrum Wählerstimmen zu gewinnen und der Goldenen Morgenröte die einstigen, eigenen Anhänger abspenstig zu machen.

Zudem ist eine der von Mitsotakis als harte Wahrheit bezeichnete Geschichte eng mit dem Gründervater der Nea Dimokratia, aber auch mit früheren, konservativen Spitzenpolitikern verbunden. Der gerichtsfest belegbare Vorwurf gegen den "Ethnarchen" Karamanlis ist der der Kollaboration mit den Besatzern, aber auch der Bereicherung am Vermögen der in Konzentrationslagern vergasten griechischen Juden.

Entsprechende Berichte gab es bereits seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als das Magazin Der Spiegel die Affäre um den als Schlächter von Thessaloniki bekannt gewordenen Max Merten aufarbeitete. Merten war in Griechenland als Kriegsverbrecher in Haft genommen worden, konnte aber - offenbar nach Intervention seines "guten Onkels Kostas" unbehelligt wieder ausreisen, ohne sich vor einem griechischen Gericht verantworten zu müssen.

Später beschuldigte er vor einem deutschen Gericht den königlichen Premierminister Karamanlis und seinen damals amtierenden Innenminister Dimitrios Makris, dass diese gegen gute Tipps an die Besatzer, über Merten jüdischen Besitz erhielten.

Die Abstimmung: Isoliert von anderen Parteien

In Griechenland wird dieses Thema, welches offenbar auch mit Karamanlis Zögern bei der Einforderung von Kriegsreparationen zusammenhängt, bis heute eher totgeschwiegen. Der verstorbene Parteigründer wird innerhalb der Nea Dimokratia auch heute noch wie ein Heiliger verehrt.

Die Besatzungszeit ist ebenso wie die der Befreiung folgende Bürgerkriegszeit bis heute ein Thema, welches im griechischen Geschichtsunterricht an Schulen nur flüchtig erwähnt wird. Dementsprechend lassen sich wissenschaftliche Arbeiten über jene Zeit eher in US-amerikanischen Hochschulen statt in griechischen Universitäten finden.

Unter diesen Vorzeichen ist das Abstimmungsverhalten der Nea Dimokratia am vergangenen Freitag verständlich - wenngleich es hinterher als "Versehen" dargestellt wurde. Der Antrag der Syriza-Abgeordneten wurde außer von Syriza und vom Koalitionspartner Unabhängige Griechen einstimmig von den Kommunisten, der Demokratischen Fraktion (PASOK ua) und To Potami verabschiedet.

Andreas Loverdos von der PASOK, der eigentlich über Syriza nie ein gutes Wort verliert, lobte die Regierungspartei ausdrücklich für ihren Vorstoß. Nur die Nea Dimokratia konnte offenbar keinen Gefallen daran finden. Sie enthielt sich der Stimme, während die Goldene Morgenröte wie erwartet mit einer Ablehnung reagierte.

Plötzlich fand sich die Nea Dimokratia von den demokratischen Parteien isoliert und in der Nähe der auch von ihr als Nazipartei bezeichneten GM wieder. Sie versuchte eine Wiedergutmachung auf ihre Art. Die Stimmenthaltung, so ließ die Partei verlauten, sei schlicht ein Versehen gewesen. Ein Schelm sei, wer Böses dabei denke.