Ein bisschen Liebe

Dr. Motte hegt weiter umstürzlerische Pläne: Statt Krieg und Terror will er die Welt mit Liebe regieren

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15 Jahre "Friede, Freude, Eierkuchen" mit der Love Parade haben die Welt zwar nicht wirklich besser gemacht. Doch der spirituelle Erfinder des nicht tot zu kriegenden Techno-Spektakels in Berlin glaubt immer noch an seine Botschaft: Die Love Parade sieht er als eine der größten Friedensdemonstrationen weltweit. "Liebe und Respekt" wurde so auch am gestrigen Samstag wieder unter der Siegessäule musikalisch und wortreich bis in die Nacht hinein wummernd gepredigt: Der Sound sei mit euch - und in meinem Geiste. Amen.

Foto: Alexander Schubert

Voller Charisma und eingehüllt in das Meer der Scheinwerfer am Großen Stern im Berliner Tiergarten verkündete im Jubiläumsjahr Dr. Motte seine Frohe Botschaft fast pünktlich um 20.00 zur musikalischen Abschlusskundgebung der Love Parade 2003: Die Liebe regiert!

"Wir konnten mit den weltweiten Friedensdemonstrationen den Irak-Krieg nicht verhindern", gab der zusammen mit seinem Kind in die Jahre gekommene DJ - der erfolgreiche Selbstvermarkter wurde vor kurzem 43 - zwar zu. "Wir können den weltweiten Terror nicht verhindern."

Das waren fast schon unerhörte Worte auf der größten Freiluft-Tanzverstanstaltung der Welt, da die Love Parade trotz ihres jahrelang gehätschelten politischen Demonstrationsanspruchs bislang nur das Gute, Schöne und Wa(h)re auf der Welt wahrnehmen wollte (Ein Stream der Motte-Ansprache findet sich auf der Website zum LoveRadio des Jugendsenders "Fritz", der am Donnerstag mit dem Deutschen Dance Award ausgezeichnet wurde).

Doch dem Bösen stellte Dr. Motte alias Matthias Roeingh rasch wieder die Liebe und den Respekt gegenüber, der sich in jeder bisherigen Love Parade manifestiert habe. "Hunderttausende feiern friedlich zusammen, ohne Unterscheidung von Hautfarbe, Religion oder Sprache", so Mottes Beweisführung. Verständigung und Geduld seien gefragt. Mit Krieg löse man dagegen keine Probleme, mit Terror überzeuge man niemanden und mit Egoismus oder Vorurteilen schaffe man keine lebenswerte Welt.

Foro: Stefan Krempl

"Uns" dagegen, feuerte der Love-Parade-Papa seine Kinder mit sich überschlagender Stimme zu Trillerpfeiffen-Orgien an, "uns verbindet etwas, was jeder versteht: Unser Sound". Die Liebe regiere, "weil jeder Mensch glücklich sein will, weil wir weltweit eine große Familien sind und jeder Einzelne dafür Verantwortung trägt", redete Motte den halbnackt um die Goldelse auf der Siegessäule tanzenden Ravern ins Gewissen. Die große Familie der Freunde der elektronischen Musik, die unterm Mischpult geeinte Nation der E-Musik-Liebhaber - in Berlin feierte sie in den Worten des DJ noch einmal eine Wiederauferstehung, bevor Stars der Musikmachenden wie Paul van Dyk , DJ Hell oder Westbam - mit mehr oder weniger heftigen Beats - um die Wette "schranzten".

Ganz neu war dieses Jahr, dass die Abschlusskundgebung von einem Umzug der Poprock-Punk-Band Mia gemeinsam mit einem Blaskapelle angeführt wurde. Das sollte wohl als Beweis für die "kreativen Konzepte" der Veranstalter sowie die Öffnung gegenüber frischen Musikrichtungen gelten. Ungewöhnlich war auch die hohe Anzahl der sich in den Schlussreigen einreihenden DJs aus östlichen Ländern wie etwa Kroatien: Sie spiegelte wider, dass die Love Parade immer weniger von Gelgenheitsravern aus Untertürkheim oder Sindelfingen besucht wird und stattdessen eine Anlaufstelle für Tanzwütige aus Polen, Tschechien oder vom Balkan.

Foto: Stefan Krempl

Die Notwendigkeit, den Liebesumzug auf ein gänzlich neues Ideenfundament zu stellen, sieht Dr. Motte jedoch nicht. "Ich finde unser Konzept gut, das hält 30 Jahre", sagte er jüngst in einem Interview. Er fühle sich "stark wie Neo aus Matrix". Insgesamt glaubt Roeingh auch nach wie vor an seine politische Sendung und spekuliert auf Amt und Würden. Zwar soll es nicht gleich das ja eventuell bald wieder frei werdende Amt des Bundespräsidenten sein. Aber "in zehn Jahren könnte ich glatt Regierender Bürgermeister von Berlin sein", stellt sich der Vertreter der Technopartei vor.

Foto: Stefan Krempl

Als erstes würde er dann vermutlich der Love Parade den Status der politischen Demonstration wieder zuerkennen, sodass die Veranstalter sich nicht mehr an den lästigen Gebühren etwa für die Müllentsorgung beteiligen müssten. Denn auch im Vorfeld der diesjährigen Parade gab es natürlich wieder heftige Diskussionen, ob das Land Berlin die Kosten für die imageträchtige Mega-Party übernehmen sollte. Fast wäre das Spektakel sogar ganz beerdigt worden, wenn in letzter Minute nicht noch die Messe Berlin eingesprungen wäre und mit 500 000 Euro etwa ein Drittel der Kosten übernommen hätte.

Wo die Gelder aus den fetten Jahren, als der Umzug noch Millionen in den Tiergarten lockte und Sponsoren wie das Licht die Motten anzog, bleibt derweil ein Rätsel. In den vergangenen "drei Jahren haben wir ein Minus von mehreren Hunderttausend Euro gemacht - alle Rücklagen sind weg", beteuerte Love-Parade-Geschäftsführer Fabian Lenz jedenfalls vor wenigen Tagen. Alles sei durchgerechnet und geprüft worden. Das Netz der Firmen, das sich in den Jahren rund um die Love Parade gestrickt hat, soll also kein Fass ohne Boden sein. Gerüchte über die goldenen Nasen, die sich Motte und andere Co-Organisatoren mit Merchandisiung und Sponsoring verdient hätten, halten sich aber trotzdem noch.

Foto: Stefan Krempl

Der Kommerz rund um die Parade erhielt in diesem Jahr aber zumindest eine "humanitäre" Note: Der Techno-Doktor kündigte in seiner Predigt an, dass vom Verkauf der "coolen Schlüsselbändchen" dieses Jahr auch ein ungenannter Prozentanteil für die Opfer des Irak-Kriegs gespendet würde. Erstmals hatten die Veranstalter zudem einen 4600 Meter langen Bauzaun mit 50 Zugängen rund um den Tiergarten gezogen. Angeblich, um Vandalismus und Müllberge zu vermeiden. Tatsächlich mussten die Straßenfeger mit ihren Schneepflügen dieses Jahr "nur" etwa 100 Tonnen Glasscherben und Plastikflaschen abräumen, etwa 50 Tonnen weniger als im vergangenen Jahr. Doch letztlich ging es mit der Love Parade hinter Gittern vor allem darum, das Catering vor Ort und die damit verbundenen Geldflüsse besser zu kontrollieren.

Die Raver tanzten derweil unbenommen all der Streitereien ums Image des Umzugs outdoor und später in den großen und kleinen Clubs der Stadt. Tausende zog es dabei unter anderem wieder zum Lovestern Galaktika untern Funkturm am Messegelände oder in Discos wie den Sage Club oder den vor der Schließung stehenden Tresor. Am aller begehrtesten waren begleitend zur Love Parade wieder die Pässe für die "VIP"-Party von Sony Music im Cafe am Neuen See, wo unter anderem die TurntableRocker oder Tom Novy die Freilicht-Tanzbühne rockten.

Die Berliner Lokalpresse feierte angesichts der etwa 500.000 Teilnehmer, welche die Love Parade trotz eher mäßigen Wetters letztlich doch wieder in den Bann zog, eine durchaus gelungene Veranstaltung: "Und sie tanzt doch!" titelte etwa die "Berliner Morgenpost", während der Tagesspiegel über die "Love Parade Reloaded" philosophierte. Auch im nächsten Jahr werden daher wohl wieder mitten im Juli junge Damen mit Outfits aus Kunstrasen mit dazu passenden Stulpenstiefletten und junge Herren im pokurzen Schottenrock den Tiergarten bevölkern.

Eine ausführliche Bildergalerie zum Regiment der Liebe 2003 findet sich auf der Event-Website Am-Ende-des-Tages.de.