"Eine Auseinandersetzung zwischen zwei Blöcken des internationalen Terrorismus"
Ein Gespräch mit Aso Jabbar, dem Auslandsvertreter der irakischen Arbeitslosengewerkschaft
Der schiitische Prediger Muqtada el-Sadr, der sich an der Spitze des Aufstands in Irak gegen die Besatzung sieht, bestätigt ein Bild, das Orientexperten wie Peter Scholl-Latour zu erzeugen nicht müde werden. So forderte er eine libanesische Lösung, eine Aufteilung des Irak nach ethnischen und religiösen Gesichtspunkten. Doch in den vergangenen Monaten waren es immer wieder die anhaltenden sozialen Missstände, die zu Demonstrationen, krawallartigen Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen und Toten in irakischen Städten führten, und es ist eine Tatsache, dass el-Sadr vor allem die Armen organisiert.
Auch andere, wie Organisation Occupation Watch (vgl. 17179) oder der Frankfurter Politologe Sabah Alnasseri, widersprechen der These, der Aufstand sei vor allem religiös motiviert und mahnen die Besatzungsmächte an, die drastischen Versorgungsmängel zu beseitigen. Dass es auch Alternativen zu einer ethnisch/religiösen Orientierung in der irakischen Gesellschaft gibt, zeigt der Aufbau der (marxistisch orientierten) Arbeitslosengewerkschaft UUI (Union of the Unemployed of Iraq), die in der letzten Zeit zahlreiche Proteste organisierte und nach eigenen Angaben über ca. 250 000 Mitglieder verfügen will. Michael Liebler sprach mit Aso Jabbar, dem Auslandsvertreter für die UUI in der Schweiz, über die Situation im Irak.
Wie positioniert sich die UUI in der Auseinandersetzung zwischen dem bewaffneten Widerstand und den Besatzungsmächten?
Aso Jabbar: Dies ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei Blöcken des internationalen Terrorismus - dem US-Terrorismus und dem des politischen Islam. Den USA geht es um die neue Weltordnung, die militärische Dominanz und die Kontrolle der Ölvorkommen. Die Perspektive des bewaffneten Widerstands, in dessen Zentrum islamistische Gruppierungen und die Reste des Baath-Regimes stehen, ist äußerst reaktionär und menschenfeindlich. Sie bedeutet Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung, Schaffung einer islamischen Regierung und Reaktion im Irak. Dem müssen wir die Forderungen der zivilisierten Menschheit entgegensetzen.
Leisten inzwischen nicht auch Menschen, die gar nicht zu dieser reaktionären Fraktion gehören, spontan Widerstand?
Aso Jabbar: Das ist die Folge der zugespitzten Situation. In den vergangenen Monaten gab es in Bagdad und anderen Städten zahlreiche Demonstrationen von Gewerkschaften und Arbeitslosen, die in gewaltsame Auseinandersetzungen mit Besatzungskräften mündeten. In Kud entwickelte sich auch aus einer friedlichen Demonstration eine gewaltsame Konfrontation mit der Gefolgschaft von Muqtada al-Sadr.
Das Hauptproblem ist, dass die islamistischen Strömungen vom Hass der Menschen gegen die Besatzungskräfte und von ihrer Wut über die schlechten Lebensbedingungen profitieren. Daher gehen viele normale Menschen und Zivilisten auf die Strassen, um sich in diesen bewaffneten Widerstand einzureihen. Leider sind Kräfte der Linken nicht stark genug, um den Protest dieser Menschen zu leiten, die über die schlechten Lebensbedingungen, die Besatzung und übrigens auch die politischen islamischen Strömungen zornig sind.
Wie verhält sich dann die UUI?
Aso Jabbar: Wir organisierten dort, wo wir Einfluss und Autorität haben, bewaffnete Gruppen, um Kampfhandlungen zu verhindern. Zum Beispiel in den Nachbarschaften von Kirkuk, in Al Huda und anderen Bagdader Vierteln.
Unter welchen Bedingungen leben Arbeitslose im Irak derzeit?
Aso Jabbar: Äußerst schlecht. Die Menschen wollen Trinkwasser. Armut und Hunger prägen ihr Leben. Die meisten Firmen im öffentlichen und privaten Sektor sind außer Betrieb, entweder geplündert oder zerstört. So sind die meisten arbeitslos, dazu kommen noch die Frauen, die in den Einflussgebieten der sunnitischen und schiitischen Strömungen nach Hause geschickt wurden. 70-80% der ArbeiterInnen im Irak sind arbeitslos. Viele haben sich in der UUI organisiert, Proteste durchgeführt und auch mit der Ziviladministration verhandelt - aber die Besatzungskräfte und die irakische Regierung sind nicht bereit, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Welche Forderungen haben sie?
Aso Jabbar: Wir wollen entweder Arbeitsplätze oder Arbeitslosengeld. Wir fordern die offizielle Anerkennung der UUI als Vertreterin der Arbeitslosen. Wir haben auch den Vorschlag zu einem progressiven und demokratischen Arbeitsgesetz öffentlich gemacht. Aber die Besatzungskräfte und der provisorische Regierungsrat sind nicht bereit, diese gerechten Forderungen der Arbeitslosengewerkschaft zu akzeptieren. Und so müssen die Familien weiter in Armut und in Hunger leben.
Wie sollte es nach Ihrer Vorstellung im Irak weitergehen?
Aso Jabbar: Erstens: Das Ende der Besatzung. Zweitens: Gründung eines säkularen Staats. Das ist sehr wichtig, da die irakische Gesellschaft vor schwerwiegenden ethnischen und religiösen Konflikten steht. Drittens: Trennung der Religion von Staat, Erziehung und Ausbildung. Vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Das Wichtigste ist: Wir weigern uns, den provisorischen Regierungsrat anzuerkennen, der von den USA eingesetzt ist und sich nach ethnischer und religiöser Identität formiert. Wir wollen eine Regierung, die direkt von der irakischen Bevölkerung gewählt wird.
Wie beurteilen Sie die durch die USA angekündigte Machtübergabe?
Aso Jabbar: Es kann keine Machtübergabe im Irak stattfinden ohne den Abzug der US-Besatzung. Die Propaganda der US-Besatzungskräfte lautet, wir bringen Menschenrechte und die Demokratie. Den irakischen Regierungsrat wollen sie uns als ein Modell ihrer Demokratie vorführen. Aber was ist der Regierungsrat? Das sind die politischen islamistischen Strömungen plus die kurdischen nationalistischen Gruppierungen. Doch diese Kräfte bekämpfen sich, und dieses Modell für den künftigen irakischen Staat ist ein Modell für einen ethnisch, religiösen Staat. Und das ist eine Katastrophe.