"Eine Partei ist kein Selbstzweck!"

Baerbock und Habeck beim Wahlkampf, September 2021. Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen/CC BY-SA 2.0

Habeck liest zum Abschied als Bundesvorsitzender den Grünen die Leviten. Die Partei auf der Suche nach ihrer Rolle

Kompromisse sind die Kunst von Politik. Kompromisse sind nicht der Abschied von den eigenen hehren Idealen.

Robert Habeck

Wird die Regierungsbeteiligung der Grünen zu einer Belastung für die Partei? Wie wird über die nächsten mindestens vier Jahre das Verhältnis zwischen Regierung und Partei aussehen? Diesen Fragen sind zentral für die zukünftige Handlungsfähigkeit der Grünen und dafür, ob es der Partei tatsächlich gelingen kann, den Spagat zwischen Bürgerbewegung und Establishment zu überbrücken und zur "stärksten Kraft der linken Mitte" zu werden, wie der designierte Parteivorsitzende Omid Nouripour seine Zielvorstellung in den letzten Wochen mehrfach charakterisiert hat.

Schon in den letzten Wochen begann eine öffentliche Debatte und mediale Beobachtung der Grünen unter dem Motto: Die Grünen an der Regierung – kann das gut gehen?

"Ich halte das für eine total unsinnige Debatte", sagte Habeck jetzt und verwies darauf, dass die Grünen seit sehr vielen Jahren an vielen Regierungen beteiligt sind und in dieser Rolle "stärker geworden" seien.

Absage an die interne Logik der Partei

Zugleich gab Habeck zum Abschied als Bundesvorsitzender der Partei vor allem einige Ermahnungen auf den Weg:

"Eine Partei ist kein Selbstzweck. Wir waren immer dann stark, wenn wir die Dinge von der Sache her gedacht haben, und nicht von der internen Logik der Partei. Eine Partei ist ein Mittel zum Zweck. Und Mittel bedeutet, möglichst stark eingesetzt zu werden, aber der Zweck ist, die Wirklichkeit zu gestalten."

Habeck verwies auf die Kunst des guten Kompromisses. Also auf eine überaus altmodische Richtschnur des politischen Handelns, zugleich eine tendenziell konservative, die bereits grundsätzlich davon ausgeht, dass es nie zur hundertprozentigen Durchsetzung politischer Programme kommen kann.

"Das Beste für die Menschen, die Umwelt, das Klima rauszuholen – das ist unsere Aufgabe! Und wer das nicht sieht, wer glaubt, das durch abstrakte Debatten abwehren zu können, der verkennt, was die Aufgabe von politischen Parteien lässt."

Man habe die Aufgabe, politische Wirklichkeit zu gestalten. "Das ist kein oh weh oh weh die schlimme Wirklichkeit, sondern das ist ein Privileg!"

Der Politiker Habeck richtet sich damit nach dem aus, was der Soziologe Max Weber vor gut 100 Jahren als "Verantwortungsethik" beschrieben und einer prinzipiengeleiteten dogmatischen "Gesinnungsethik" entgegengestellt hat ("Politik als Beruf").

Das grüne Machtdreieck darf kein Bermudadreieck werden

Will man die derzeitige Machtdynamik innerhalb der grünen Partei beschreiben, muss man diese ein Machtdreieck nennen. Dessen eine und derzeitig stärkste Säule besteht aus den Ministern und Staatssekretären in der Regierung. Die Exekutive bietet dabei außerordentliche Möglichkeiten nicht nur der tatsächlichen Gestaltung, sondern auch der medialen Profilierung.

Die mediale Dauerpräsenz qua Amt kann eine politische Karriere beschleunigen, zugleich gibt es gegen ein allmähliches Abschleifen des Charakteristischen und eine zunehmende Stereotypisierung in der öffentlichen Wahrnehmung kein Mittel. Genau diese Gratwanderung müssen vor allem Baerbock und Habeck in Zukunft bewältigen.

Die zweite Säule ist die Partei-Basis: Emotionsgesteuert, von abstrakten Werten und höchst subjektiven Begehrlichkeiten getrieben, auch von parteiinternen Dynamiken und dem Ringen um Posten und Repräsentation, um Rederechte und um Durchsetzung auf irgendwelchen Kreisdelegiertenkonferenzen, dabei zugleich ohne klare Strategie, sondern eher ein latent frustrierter Resonanzraum, der als diffuse Schwarmintelligenz nur dann kraftvolle Wirkung entfaltet, wenn die beiden anderen Säulen des Dreiecks Schwäche zeigen.

Dazwischen stehen als dritte Säule Parteiführung und Bundestagsfraktion. Beide sind in einem gewissen Grad an der Regierung beteiligt, zugleich stehen sie nicht nur hinter sondern auch neben ihr. Sie müssen die genannten Begehrlichkeiten der Partei befriedigen, ohne in die Regierung hineinzuregieren und vor allem ohne die eigenen Minister zu beschädigen.

Sondern sie müssen diese eigenen Minister stützen und möglichst stärken, und die Grünen gegenüber den beiden anderen Ampel-Partnern SPD und FDP profilieren, sowie die Opposition in Schach halten, ohne dabei die Partei zu vernachlässigen, und ihr gegenüber als abgehoben und elitär zu erscheinen.

Eine besondere Rolle bei den Grünen – vergleichbar vielleicht der Rolle bestimmter Industrieverbände und Lobbyorganisationen in anderen Parteien – spielt bei den Grünen das Verhältnis zu den diversen Bürgerbewegungen und NGO, in diesem Fall namentlich zu den Fridays for Future.

Es wird die Aufgabe der Grünen-Führung und insbesondere von Robert Habeck werden, der als Vizekanzler, einflussreicher Minister und Ex-Vorsitzender in den nächsten Jahren neben dem neugewählten Führungs-Duo Nouripour und Lang de facto eine Art Über- oder Nebenvorsitzender ist, dafür zu sorgen, dass aus diesem Machtdreieck kein Bermudadreieck wird.

Regierungsbeteiligung als Jungbrunnen, nicht als Schlaraffenland

Auch wenn die Beteiligung an der Regierung dezidiert kein Ort der politischen Selbstbedienung ist, kein Schlaraffenland der Ideale, scheint sie Habeck immerhin als Jungbrunnen auch für die Partei zu empfinden: "Wir werden durch die Regierung jünger werden."

Noch einmal verwies Habeck darauf, dass Kompromisse nicht den "Abschied von den eigenen hehren Idealen" bedeuteten. "Wie könnte es anders sein? Sonst würde es ja bedeuten, dass einer oder eine die Wahrheit mit Löffeln gefressen hat und alle anderen irren. Nun glauben wir natürlich, dass wir immer ein Stück weiter und klüger und durchdachter sind als andere – aber das denken die anderen auch."

Aus dem Bundesvorsitzenden ist der Minister für Wirtschaft, Klima und Energie geworden. Ob auch diese neue Rolle sich als Jungbrunnen entpuppt, oder als Maschine zur Schnellalterung, als harter oder eher angenehmer politischer Lernprozess oder gar als Sprungbrett in ein zukünftiges Kanzleramt, wird wie so vieles erst die Zukunft weisen.