Eine historische Rede zum Irak-Krieg und die Mörder unter uns
In Großbritannien wird ehrlicher des Irak-Verbrechens gedacht als bei uns. Im Guardian werden die Handlanger "Mörder" genannt. Auch an die mutige Rücktrittsrede von Außenminister Cook wird erinnert. Wir dokumentieren sie am Schluss.
Großbritannien zog 2003 an der Seite der USA mit eigenen Soldaten in den Irak-Krieg, während man sich in Deutschland skeptisch zeigte angesichts der Kriegsziele. Eigene Truppen wollte man nicht entsenden, nur die Nutzung der militärischen Infrastruktur auf deutschem Boden – im Widerspruch zum Grundgesetz – wurde für die Abwicklung des Angriffskriegs gestattet.
Heute jedoch zeigt sich, dass in Teilen der britischen Öffentlichkeit der Krieg und die Konsequenzen daraus offener thematisiert werden als hierzulande. So fragt der Kolumnist George Monbiot im Guardian: "Wie viele derjenigen, die Putins Verhaftung fordern, waren an der illegalen Invasion des Irak beteiligt?"
Und er gibt in seinem detailliert argumentierenden Artikel jede Menge unangenehme Antworten:
Blair [ehemaliger britischer Ministerpräsident Tony Blair], Brown [ehemaliger britischer Finanzminister Gordon Brown], Bush [damaliger US-Präsident George W. Bush,] und Rice [ehemalige nationale Sicherheitsberaterin von Bush, Condoleezza Rice] sind ebenso schuldig an einem "offenkundig illegalen Krieg" wie Putin und seine engen Berater.
Sie alle und viele Komplizen mehr – worunter auch diejenigen in Deutschland zählen, die als Sponsoren und Unterstützer den Krieg ermöglichten – hätten sich, so Monbiot im Guardian, des Massenmords schuldig gemacht. Doch es werde nach der "Siegermentalität" angeklagt.
Abgesehen von Putin seien noch 31 andere Fälle vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht worden. Es handele sich dabei ausschließlich um afrikanische Staaten. Das liege nicht daran, dass lediglich in Afrika Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen würden, so Monbiot. Vielmehr sei es so, dass Afrikaner nicht die gleiche Protektion genießen wie Regierungsvertreter:innen westlicher Staaten, selbst wenn sie weiter größere Verbrechen begehen.
Anstatt sich der Justiz zu stellen, wandeln die Mörder unter uns, werden respektiert, verehrt und als Elder Statesmen behandelt, an die sich Medien und Regierungen wenden, wenn sie Rat brauchen. Brown kann sich als über den Zeitläuften schwebender Menschenfreund aufspielen. Alastair Campbell, der die Zusammenstellung des "dubiosen Dossiers" beaufsichtigte, worin eine Begründung für den Krieg mit Fakes konstruiert wurde, und daher genauso mitschuldig ist wie jeder von Putins "Handlangern", wurde gründlich "screenwashed": mit anderen Worten, er wurde, wie andere düstere politische Figuren, vom Fernsehen rehabilitiert.
Der Guardian erinnert zudem an eine historische Antikriegsrede, die Robin Cook vor zwanzig Jahren im Unterhaus des britischen Parlaments hielt. Es war seine Rücktrittrede und zugleich einer der wenigen Momente, in der ein Politiker Moral über Karriere stellte.
Robin Cook war zu jener Zeit britischer Außenminister in der Regierung Tony Blair. Sein damaliger Berater, David Clark, erinnert sich im britischen Guardian, wie er dabei assistierte, die Rede zu schreiben, nachdem Cook entschieden hatte, wegen der absehbaren britischen Kriegsbeteiligung nicht weiter im Amt zu verbleiben.
Über mehrere Tage sei es hin- und hergegangen. Cook habe bis zum Schluss an den richtigen Worten gefeilt, die er unter emotionaler Hochspannung vor dem House of Commons vortrug, um mit Würde von der großen Bühne abzutreten.
Sicher, so erinnert sich Clark, habe es nach der Rede keine Rebellion, weder in der Regierung, noch im Parlament bei den Abgeordneten gegeben, auch wenn die Rede, gegen die Hausregeln, frenetisch beklatscht wurde. Der politische Kurs wurde beibehalten, niemand schloss sich Cook an. Doch Clark sieht trotzdem eine Fernwirkung, die die Worte Cooks auslösten:
Er konnte einen unnötigen Krieg und das schreckliche Leid, das er auslöste, nicht verhindern – was er als persönliches Versagen empfand –, doch sein Eingreifen hat zweifellos unser Verständnis der Folgen des Kriegs verändert. Vor allem hat er die Ausrede entkräftet, dass der falsche Vorwand für den Regimewechsel das Ergebnis eines einfachen Versagens der Geheimdienste war. Wie er in seiner Rede offenlegt, war es möglich, die von unseren Nachrichtendiensten erstellten Beurteilungen zu lesen und zu der richtigen Schlussfolgerung zu gelangen, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gab.
Cook-Rede: Ich trete zurück, weil ich gegen den Krieg stimmen werde
Hier das deutsche Transkript von Robin Cooks Rede im House of Commons am 17. März 2003:
"Sehr geehrter Herr Vorsitzender des House of Commons, das ist das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass ich von den hinteren Bänken aus zu diesem Haus spreche. Ich muss gestehen, dass ich vergessen habe, wie viel besser die Aussicht von hier aus ist. Die letzten beiden Jahre haben mich sehr beglückt und erfüllt. Ich hatte das große Privileg, diesem Haus als Vorsitzender zu dienen, was umso erfreulicher war, Herr Vorsitzender, als ich die Gelegenheit hatte, eng mit Ihnen zusammenzuarbeiten.
Häufig musste ich als Vorsitzender des Hauses dem Vorwurf begegnen, dass der parlamentarischen Erklärung ein Presseinterview vorausgegangen war. In diesem Fall kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass diese Erklärung keinem Interview folgt. Ich habe mich dafür entschieden, mich zunächst an das Haus zu wenden und zu erläutern, warum ich einem Krieg ohne internationale Zustimmung oder Unterstützung im Inland nicht zustimmen kann.
Der derzeitige Premierminister ist der erfolgreichste Vorsitzende der Labour Party zu meinen Lebzeiten. Ich hoffe, dass er es weiterhin bleibt und erfolgreich sein wird. Ich habe kein Verständnis für diejenigen, die diese Krise nutzen wollen, um ihn zu verdrängen, und ich werde sie auch nicht unterstützen.
Ich begrüße die heldenhaften Anstrengungen, die der Premierminister unternommen hat, um eine zweite Resolution im UN-Sicherheitsrat zu erhalten. Die Intensität der Versuche unterstreicht, wie wichtig es ist, erfolgreich zu sein. Jetzt, da diese Versuche gescheitert sind, können wir aber nicht so tun, als wäre es unwichtig, eine zweite Resolution zu bekommen.
Frankreich wurde in den letzten Tagen mit vielen Kommentaren überschüttet. Es ist nicht nur Frankreich, das mehr Zeit für Inspektionen verlangt. Auch Deutschland und Russland fordern das. In der Tat haben wir zu keinem Zeitpunkt auch nur das minimal Notwendige geleistet, was für eine zweite Resolution erforderlich wäre.
Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, dass der Grad der internationalen Feindseligkeit allein auf Präsident Chirac zurückzuführen ist. Die Realität ist, dass Großbritannien aufgefordert wird, einen Krieg zu beginnen, ohne dass in einem der internationalen Gremien, in denen wir ein führender Partner sind, eine Zustimmung vorliegt. Sie ist nicht vorhanden in der Nato, der Europäischen Union und jetzt auch nicht im Sicherheitsrat.
Eine solche diplomatische Schwäche ist ein schwerer Rückschlag. Noch vor einem Jahr waren wir und die Vereinigten Staaten Teil einer Koalition gegen den Terrorismus, die breiter und vielfältiger war, als ich es je für möglich gehalten hätte. Die Geschichte wird sich über die diplomatischen Fehleinschätzungen wundern, die so schnell zum Zerfall dieser mächtigen Koalition geführt haben.
Die USA können es sich leisten, einen Alleingang zu unternehmen, aber Großbritannien ist keine Supermacht. Wir schützen unsere Interessen nicht durch unilaterale Maßnahmen, sondern durch multilaterale Vereinbarungen und eine Weltordnung, die sich an Regeln hält. Doch heute Abend zeigen sich die für uns wichtigsten internationalen Partnerschaften geschwächt: Die Europäische Union ist gespalten, der Sicherheitsrat steckt in einer Pattsituation. Das sind schwere Opfer in einem Krieg, in dem noch kein Schuss gefallen ist.
Es werden immer wieder Parallelen gezogen zwischen den militärischen Maßnahmen jetzt und damals, als wir im Kosovo eingriffen. Es bestand kein Zweifel an der multilateralen Unterstützung, die wir für unsere Intervention im Kosovo hatten. Sie wurde von der Nato mitgetragen. Sie wurde von der Europäischen Union und von jedem einzelnen der sieben Nachbarstaaten in der Region unterstützt.
Frankreich und Deutschland waren damals unsere aktiven Verbündeten. Gerade weil wir diese Unterstützung im vorliegenden Fall nicht haben, ist es umso wichtiger, eine Resolution im Sicherheitsrat zu erzielen, um damit eine internationale Einigung zu demonstrieren.
Die Rechtsgrundlage für unser Handeln im Kosovo war die Notwendigkeit, auf eine dringende und zwingende humanitäre Krise zu reagieren. Unsere Schwierigkeit, dieses Mal Unterstützung zu bekommen, besteht darin, dass weder die internationale Gemeinschaft noch die britische Öffentlichkeit davon überzeugt sind, dass es einen dringenden und zwingenden Grund für die Militäraktion im Irak gibt.
Die Schwelle für einen Krieg sollte immer hoch sein. Niemand von uns kann vorhersagen, wie viele Zivilisten bei der bevorstehenden Bombardierung Iraks ums Leben kommen werden, aber die Warnung der USA vor einer Bombenkampagne, die "Schock und Furcht" auslösen wird, macht es wahrscheinlich, dass die Zahl der Opfer mindestens in die Tausende gehen wird.
Ich bin zuversichtlich, dass britische Soldaten und britische Soldatinnen sich mit Professionalität und Mut bewähren werden. Ich hoffe, dass sie alle zurückkehren werden. Ich hoffe, dass Saddam, selbst jetzt, Bagdad verlässt und den Krieg abwendet. Aber es ist falsch, zu behaupten, dass nur diejenigen, die dem Krieg zustimmen, unsere Truppen unterstützen. Es ist völlig legitim, unsere Truppen zu unterstützen und gleichzeitig nach einer Alternative zu dem Konflikt zu suchen, der unsere Soldaten gefährdet.
Es ist auch nicht fair, denjenigen, die weitere Inspektionen verlangen, vorzuwerfen, dass sie keine alternative Strategie hätten. Vier Jahre lang war ich als Außenminister mitverantwortlich für die westliche Strategie der Eindämmung. In den letzten zehn Jahren hat diese Strategie mehr Waffen zerstört als im Golfkrieg, das irakische Atomwaffenprogramm zerschlagen und Saddams Programme für Mittel- und Langstreckenraketen gestoppt.
Die militärische Stärke des Irak ist heute nicht einmal halb so groß wie zur Zeit des letzten Golfkriegs. Ironischerweise können wir eine Invasion des Irak nur deshalb in Erwägung ziehen, weil seine Streitkräfte so schwach sind. Einige Befürworter des Konflikts behaupten, seine [Saddam Husseins] Armee sei so schwach, demoralisiert und schlecht ausgerüstet, dass der Krieg in wenigen Tagen vorbei sein werde.
Herr Vorsitzender, wir können unsere militärische Strategie nicht auf die Annahme stützen, dass Saddam schwach ist, und gleichzeitig eine präventive Intervention mit der Behauptung rechtfertigen, er sei eine Bedrohung.
Der Irak verfügt wahrscheinlich nicht über Massenvernichtungswaffen im üblichen Sinne des Wortes, d.h. nachweislich über eine Waffe, die gegen ein strategisches Ziel in einer Stadt eingesetzt werden kann. Er verfügt wahrscheinlich immer noch über biologische Gifte und chemische Kampfstoffe, aber das schon seit den 1980er-Jahren, als US-Firmen Saddam Milzbranderreger verkauften und die damalige britische Regierung chemische Fabriken und Munitionsfabriken genehmigte.
Warum ist es jetzt so dringend, dass wir militärische Maßnahmen ergreifen sollten, um eine militärische Kapazität zu entwaffnen, die seit zwanzig Jahren vorhanden ist und die wir mit aufgebaut haben? Warum ist es notwendig, diese Woche einen Krieg zu beginnen, während Saddams Bestreben, sein Waffenprogramm umzusetzen, durch die Anwesenheit von UN-Inspektoren blockiert wird?
Erst vor ein paar Wochen erklärte Hans Blix dem Sicherheitsrat, dass die wichtigsten verbleibenden Abrüstungsaufgaben innerhalb von "Monaten" abgeschlossen werden könnten. Ich bekomme dann zu hören, dass der Irak nicht Monate, sondern zwölf Jahre Zeit gehabt habe, um die Abrüstung abzuschließen – unsere Geduld sei nun erschöpft.
Dabei ist es schon über 30 Jahre her, dass Israel mit der UN-Resolution 242 zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufgefordert wurde. Wir zeigen hier keine Ungeduld mit der anhaltenden Weigerung Israels, dem nachzukommen.
Ich begrüße das starke persönliche Engagement des Premierministers für Frieden im Nahen Osten. Aber die positive Rolle Großbritanniens im Nahen Osten hebt nicht das stark empfundene Gefühl der Ungerechtigkeit in der gesamten muslimischen Welt auf. Sie sehen, dass eine Regel für die Verbündeten der USA angewendet wird, und eine andere Regel für den Rest der Welt.
Zugleich wird die Glaubwürdigkeit nicht gerade dadurch erhöht, dass unser Partner in Washington sich weniger für Abrüstung als Regimewechsel im Irak interessiert. Das erklärt auch, warum jeglicher Hinweis bezüglich Fortschritten bei den Inspektionen in Washington nicht mit Genugtuung, sondern mit Bestürzung aufgenommen wird – weil er die Argumente für einen Krieg schwächt.
Was mich in den letzten Wochen am meisten beunruhigt, ist meine Vermutung, dass wir jetzt nicht im Begriff wären, britische Truppen zu entsenden, wenn die Entscheidung in Florida bezüglich der Präsidentschaftswahl damals anders ausgegangen und Al Gore gewählt worden wäre.
Herr Vorsitzender, je länger ich hier im Parlament meinem Land diene, desto mehr Respekt habe ich vor dem gesunden Menschenverstand und der kollektiven Weisheit des britischen Volkes. Was den Irak anbelangt, so glaube ich, dass die Briten eine vernünftige Position einnehmen. Sie bezweifeln nicht, dass Saddam ein brutaler Diktator ist, aber sie sind nicht davon überzeugt, dass er eine eindeutige und gegenwärtige Gefahr für Großbritannien darstellt.
Sie wollen, dass den Inspektionen eine Chance gegeben wird, und sie haben den Verdacht, dass sie von einer US-Regierung, die ihre eigenen Ziele verfolgt, zu schnell in einen Konflikt gedrängt werden. Vor allem ist es ihnen unangenehm, dass sich Großbritannien ohne eine breitere internationale Koalition und angesichts der Ablehnung vieler unserer traditionellen Verbündeten in ein militärisches Abenteuer stürzt.
Von Beginn der gegenwärtigen Krise an habe ich als Vorsitzender auf dem Recht dieses Hauses bestanden, darüber abzustimmen, ob Großbritannien in den Krieg ziehen soll. Es ist ein Lieblingsthema von Kommentatoren, dass unser Parlament keine zentrale Rolle in der britischen Politik mehr spielt. Nichts könnte besser zeigen, dass sie sich irren, als wenn dieses Haus den Einsatz von Truppen in einem Krieg stoppen würde, der weder internationale Zustimmung noch nationale Unterstützung hat.
Ich werde mich morgen Abend denjenigen anschließen, die jetzt gegen eine Militäraktion stimmen. Aus diesem Grund, und nur aus diesem Grund, trete ich schweren Herzens aus der Regierung aus."
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