"Eine neue Phase der russischen Aggression""
Das "Handout" der britischen Regierung, mit der die Verantwortung der russischen Regierung begründet wurde, ist nun von der russischen Zeitung Kommersant veröffentlicht worden
Wir hatten bereits das ominöse Handout der britischen Regierung an die anderen Regierungen erwähnt. Die Sprecherin der russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, hatte gestern gefordert, dass es der russischen Regierung und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, da hier die Beweise und Gründe für die konzertierte Aktion der westlichen Staaten unter Führung Großbritanniens und der USA genannt seien.
Die Zeitung Kommersant hat das Handout nun in die Hände bekommen und veröffentlicht. Zakharova hat eilig auf ihrem Facebook-Account darauf verwiesen und spricht "von der größten Manipulation der öffentlichen Meinung, an der britische Behörden beteiligt sind". Und sie fährt fort: "Auf der Grundlage von 6 Bildern wurden Entscheidungen zur staatlichen Verantwortung bei einem chemischen Angriff getroffen."
Es sind allerdings nicht nur Bilder, es gibt auch Text. Aber die Beweislage ist dürftig. Wir hatten gestern schon Ähnlichkeiten mit den Berichten und Dossiers der britischen und amerikanischen Regierungen zu den Massenvernichtungswaffen erwähnt, die den Einmarsch in den Irak rechtfertigen sollten.
Wie jetzt Russland warf man dem Hussein-Regime Lüge und Betrug vor (Von Wahrheit und Lüge), während man dies selbst im großen Stil inszenierte und wahrhaft Fake News verbreitete, die selbst noch im UN-Sicherheitsrat präsentiert wurden (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?). Auch damals standen die Briten bei der Konstruktion von Berichten und Beweisen im Vordergrund (Das Theater mit den Geheimdienstinformationen über irakische Massenvernichtungswaffen, Das verräterische Microsoft-Dossier). Nicht vergessen sollte man, dass vor dem Beginn des Irak-Kriegs viele Medien mitspielten. Auch damals präsentiert man Beweise jenseits allen Zweifels ... seitens der britischen Regierung.
Die Ähnlichkeit verdichtet sich nun mit diesem Handout, das ganz ähnlich gestrickt ist. Man wundert sich allerdings, weil ausgerechnet Donald Trump sich über die Berichte der Geheimdienste zum Irak lustig gemacht hatte, die zeigen würden, wie zuverlässig sie sind. Aber das war, als er noch gegen die Geheimdienste kämpfte, die wiederum ihn bekämpft hatten. Hier scheint Friede eingetreten zu sein, das Weiße Haus zeigt auf der Basis der "Beweise" Härte, auch wenn sich auffälligerweise bislang Donald Trump nicht persönlich eingeschaltet hat.
"Es gibt keine plausible alternative Erklärung"
Auf der ersten Folie werden einige Ereignisse des Skripal-Falls vom Anschlag bis zur Ausweisung der russischen Diplomaten aufgeführt. Betont wird, dass die russische Regierung nicht auf das ihr gesetzte Ultimatum geantwortet hat, vergessen wird, dass die britische Regierung sich weigerte, Proben und nähere Informationen an die russische Regierung zur Prüfung weiterzugeben.
Auf der zweiten Folie mit dem Titel "Eine neue Phase der russischen Aggression" wird erklärt, dass das bei der OPCW akkreditierte Labor in Porton Down positiv das Nervengift Nowitschok identifizierte habe. Nowischok sei eine Gruppe von Wirkstoffen, die "nur" von Russland entwickelt, aber nicht im Rahmen des Chemiewaffenabkommens deklariert worden sei. Daraus wird eine "Verletzung des fundamentalen Verbots des Einsatzes von Chemiewaffen" abgeleitet. Dann kommen die Sätze, die auch von den anderen Regierungen verwendet wurden. Es sei die "erste offensive Verwendung von Nervengift in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg". Und dann heißt es: "Ohne den geringsten Zweifel ist für uns Russland verantwortlich. Kein Land außer Russland hat die kombinierte Kapazität, die Absicht und das Motiv. Es gibt keine plausible alternative Erklärung."
Das Motiv wird in der sophistischen Argumentation nicht weiter erklärt, auch nicht, welche alternativen Erklärungen denn in Betracht gezogen wurden. Dafür wird aber gesagt, dass bis zum 18. März "30 parallele Linien russischer Desinformation" gezählt worden seien. Die nur auf einigen Indizien und vielen Annahmen beruhende Behauptung, dass es die russische Regierung gewesen sein muss, soll also wie bei den irakischen Massenvernichtungswaffen dadurch glaubhafter gemacht werden, dass man dem Gegner die Verbreitung von Falschinformationen unterstellt.
Auf der dritten Folie wird die Wirkung von Nowischok erläutert sowie die Zahl der Opfer und die der Polizisten und Soldaten aufgeführt. Auf der vierten geht es darum, "ein langes Muster der bösartigen russischen Aktivität" durch Nennung von Ereignissen zu erstellen, die den Anschlag plausibler machen sollen. Das reicht von dem Anschlag auf Litwinenko und dem DDoS-Angriff auf das Internet Estlands über die Invasion Georgiens und die "Besetzung der Krim, die Destabilisierung der Ukraine" bis zum Abschuss von MH17, der offenbar Russland zugeschoben wird, und der Einwirkung auf die Wahlen in den USA. Dann gibt es dann noch den Hack auf den Bundestag, die Lisa-Desinformtaionskampagne, den Hack des dänischen Verteidigungsministeriums, einen Anschlagsversuch in Montenegro (2106), den "Angriff mit der NotPetya-Ransomware". Am Schluss steht eben der "versuchte Anschlag" auf Skripal und seine Tochter.
Auf der fünften Folie werden die "angemessenen" Maßnahmen der britischen Regierung aufgeführt, zuerst wird die Zurechnung an den russischen Staat genannt, gefolgt von der "Zerschlagung des Netzwerks russischer Geheimdienstagenten in Großbritannien", womit die Ausweisung der russischen Diplomaten gemeint ist. Es wird auch von neuen Gesetzen und anderen Maßnahmen zur Bekämpfung "feindlicher staatlicher Aktivitäten" genannt.
Ja, und das war es. Zu befürchten ist, dass die übrigen Regierungen, die sich mit Großbritannien solidarisch erklärten, auch nicht mehr Informationen hatten. Wenn das anders sein sollte, dann wäre es höchste Zeit, diese der Öffentlichkeit vorzulegen.
In dem Handout sind keine neuen Informationen, keine näheren Beweise, keine Beschreibung, wie der Anschlag vonstattengegangen ist, wer ihn beauftragt und begangen hat und was das Motiv gewesen sein soll. Wie auch Kommersant feststellt, ist die bedeutsame Veränderungen gegenüber früheren Aussagen, dass nicht mehr von "hoher Wahrscheinlichkeit" gesprochen wird, sondern gesagt wird, die russische Regierung sei "ohne den geringsten Zweifel" für den Anschlag verantwortlich.
Die letzte Mitteilung der Metropolitan Police vom vergangenen Freitag macht darauf aufmerksam, dass es beim Skripal-Fall um "eine der größten und komplexesten Untersuchungen der britischen Antiterror-Polizei" handelt. Die Untersuchung werde "höchstwahrscheinlich viele Monate" dauern. Neuigkeiten würden der Öffentlichkeit mitgeteilt. Die neue Koalition der Willigen unter amerikanischer und britischer Führung war allerdings nicht bereit, die Ergebnisse der Ermittlungen der britischen Polizei und die der Untersuchungen der OPCW abzuwarten.