Eingekesselt in Donezk
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In dem Film "Frontstadt Donezk" beleuchten die Filmemacher Mark Bartalmai und Nelja Oystrakh den Alltag einer Gesellschaft, die sich an den Geschützdonner gewöhnt hat, aber sich nach Frieden sehnt
Sommer in der Innenstadt von Donezk. Das sind Musik, Blumenbeete und Eis am Stil. Das sind Jugendliche, die in vollen Klamotten in einen See springen, Eltern, die mit ihren Kindern spazieren gehen, und Omis, die bei einem Plausch auf der Parkbank die Wärme genießen. Ein paar alte Männer machen Straßenmusik. Auf einer Bühne entlockt ein Rocker seiner E-Gitarre ein mitreißendes Blues- Solo.
Die Dokumentarfilmer Mark Bartalmai und Nelja Oystrakh haben einen neuen Film gemacht, "Frontstadt Donezk - Die unerwünschte Republik" (Trailer). Er handelt vom Leben der einfachen Leute in der international nicht anerkannten "Volksrepublik Donezk" (DNR). Zwölf Monate haben sie dafür ununterbrochen in Donezk gelebt.
"Von Zeit zu Zeit wird geschossen"
Was ihn am meisten erstaune, sei "das absurde Nebeneinander von Krieg und Frieden", erklärt Mark Bartalmai, der im Film immer wieder als Erklärer auftritt. An der Front kämpften die Soldaten der DNR-Streitkräfte "im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben", und je weiter man von der Front wegfährt, desto normaler wird das Leben. Eine junge Frau sagt, "von Zeit zu Zeit wird geschossen. Wir versuchen das zu ignorieren. Das dauert schon ein Jahr und wir haben uns quasi daran gewöhnt. Krieg ist Krieg, aber wir leben trotzdem weiter." Ein junges, etwa achtjähriges Mädchen erzählt - mit der Gelassenheit einer Erwachsenen -, wie sie die Beschießungen ihres Wohnviertels erlebt.
Die beiden Dokumentarfilmer haben überall hingeguckt und Fragen gestellt. Sie besuchten Schulen, ein Opern-Theater-Haus, zerbombte Wohnungen, Leichenschauhäuser, ein Bergwerk und Beamtenstuben. Sie führten Interviews mit Kindern, Eltern und alten Menschen. Ihr Fazit: Nicht alles klappt in der DNR, aber 80 Prozent der Bevölkerung würden zur international nicht anerkannten DNR stehen und nicht weg wollen.
15 Prozent der Bevölkerung haben eine kritische Haltung gegenüber der DNR und gegenüber der Ukraine. Fünf Prozent seien Kritiker der DNR. Unter diesen fünf Prozent seien viele Geschäftsleute, die 2014 Donezk verlassen haben, aber jetzt zurückgekommen sind. Vor der Kamera wollten sie nicht sprechen. "Sie sagen, wegen dem MGB (Geheimdienst der DNR) und den Nachbarn", erklärt Filmemacher Bartalmai.
Hohe Geburtenrate
Der Film zeigt Menschen, die in halbzerstörten Häusern wohnen. "Die Leute hier schlafen zu viert auf einem Bett", erzählt eine junge Frau. Aber vor allem handelt der Film von der Normalisierung des Lebens, vom Wiederaufbau der Versorgung und des Lebensraumes. Ein Zeichen der Normalisierung ist auch die Geburtenrate. Der Zuschauer erfährt, dass pro Woche 220 Kinder in der "unerwünschten Republik" geboren werden.
Man sieht von Waren überquellende Supermärkte und fragt sich, wie können die Menschen das bei Löhnen von 120 Euro überhaupt bezahlen? Im Theater sieht man Ballett-Tänzerinnen beim Training. Der künstlerische Leiter des Theaters, Wadim Pisapew, erklärt, man habe während des Krieges "keinen einzigen Tag zu arbeiten aufgehört" und sogar mehrere Uraufführungen gemacht.
Die Menschen in der Großstadt Donezk, die nur wenige Kilometer von der Demarkationslinie entfernt liegt, wissen, wie westliche Medien über sie schreiben, und reagieren auf die negativen Zuschreibungen mit Humor. "Wir sind Separatisten", sagt eine junge Frau lachend in die Kamera. "Betrachten Sie sich als Terroristen?", fragt Filmemacher Bartalmai den Rektor der Universität von Donezk, Wladimir Kaliuschchenko. "Ja, natürlich", antwortet der Rektor. Dabei lächelt er ironisch.
Nach seinem ersten Dokumentar-Film über den Krieg in der Ost-Ukraine - "Ukrainian Agony - Der verschwiegene Krieg" - wurde Bartalmai in den Fernsehsendungen "Fakt" (MDR) und "Frontal" (ZDF) Propaganda für Russland vorgeworfen. Der Dokumentarfilmer, der monatelang sein Leben bei Recherchen im Kriegsgebiet Donbass riskiert hatte, wurde dem deutschen Fernsehpublikum abfällig als "selbsternannter Kriegsreporter" vorgestellt. Er habe den Beruf des Journalisten gar nicht erlernt, hieß es. Er sei Geschäftsmann gewesen. Der Autor dieser Zeilen findet diesen Vorwurf albern, denn nicht wenige Journalisten - auch der Autor selbst - haben ihren Beruf nicht studiert, sondern sind learning by doing langsam in diesen Beruf hineingewachsen.
Als Journalist fragte ich mich, ob in der Diffamierung eines Kollegen nicht einfach Neid der westlichen Redaktionen steckt, die ihre Korrespondenten nicht in die selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk schicken.
Normalerweise haben Journalisten ja keine Angst dorthin zu gehen, wo es brennt. Das ist ihr Beruf. Doch für Donezk scheint das nicht zu gelten. Die westlichen Zeitungs- und Fernsehredaktionen lassen die international nicht anerkannte Republik lieber in einem Nebel des Nichtwissens, was Kiew nur Recht sein kann.