Eingeschränkt, nicht aufgehoben: Hartz-IV-Sanktionen
"Meldeversäumnisse" bleiben als Grund für die Kürzung der Regelsätze erhalten. Energiearmut droht schon bei ungekürzten Regelsätzen
Die steigende Inflation vor allem bei den Energiepreisen belastet Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, besonders stark. Von "Energiearmut" bei Menschen mit geringen Einkommen ist die Rede. Das ist nicht verwunderlich: Nach Berechnungen von Experten sind die Regelsätze beim Arbeitslosengeld II seit Einführung der Hartz-IV-Gesetze um 30 Prozent, allein die Energiekosten aber im gleichen Zeitraum um mehr als 80 Prozent gestiegen.
Solange der Stromkostenanteil im Regelsatz nicht in gleichem Maße steigt, müssen Leistungsempfänger ihren Energiebedarf durch immer größere Einschränkungen in anderen Lebensbereichen querfinanzieren. Auch die leichten Einschränkungen bei Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher sind nach Ansicht vieler Betroffener sowie von Beratungsstellen allerhöchstens ein Trostpflaster.
Die Grundlage der Reform ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019, das eine Kürzung der Leistungen auf maximal 30 Prozent begrenzt hat. Damit war die Totalsanktionierung, die es vorher durchaus gegeben hat, nicht mehr möglich.
Bedingte Klatsche aus Karlsruhe
Allerdings erfüllten sich auch die Hoffnungen mancher Erwerbslosenaktivisten, die sich seit Jahren ein generelles Verbot der Sanktionen erhofft hatten, nicht. Die ehemalige Jobcenter-Mitarbeiterin und Sanktionsgegnerin Inge Hannemann kommentierte das Urteil denn auch ernüchternd auf ihren Blog:
Dass Karlsruhe eine 30-prozentige Sanktion als akzeptabel empfindet, widerspricht ihrem eigenen Urteil gegen höhere Sanktionen, wenn sie den Artikel 1 des Grundgesetzes vollumfänglich berücksichtigt und ernstgenommen hätten. Die Menschenwürde ist nun mal absolut.
Sie unterscheidet nicht zwischen ein wenig konform oder gar nicht konform. Die Menschenwürde muss nicht rechnen, weil sie mit der Geburt für jeden Gültigkeit hat. Ein bisschen Würde gibt es nicht. Trotzdem hat Karlsruhe eine eingeschränkte Klatsche verteilt. (…) Die Chance, den Erwerbslosen ein Existenzminimum, ohne Wenn und Aber zuzugestehen, wurde vertan.
Inge Hannemann
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Bundesregierung Zeit gelassen mit der Reformierung des Sanktionsregimes. Um eine Abschaffung dieser für die Betroffenen besonders bedrückenden Maßnahme handelt es sich keineswegs, wie der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Wernecke, moniert.
Der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf beinhalte kein wirkliches Sanktionsmoratorium; das sei ein Bruch des Versprechens, das im Koalitionsvertrag gegeben wurde, so der ver.di-Vorsitzende.
Seine konkrete Kritik besteht darin, dass das Bundeskabinett an sogenannten Meldeversäumnissen – also dem unangekündigten Fernbleiben bei Meldeterminen im Jobcenter – als Sanktionsgrund festhält. Da rund 80 Prozent der Sanktionen aber auf Meldeversäumnisse zurück gehen, ist eben die Sanktionierung keineswegs abgeschafft. Harald Thomé von der Erwerbslosenberatung Tacheles in Wuppertal kommentierte auch diesen Versuch, aus Hartz IV ein neues "Bürgergeld" zu machen.
Das Sanktionsregime im § 31 SGB II existiert weiter, Gesetzesänderungen wurden von den Unionsparteien verhindert, die Regierungsampel will das Hartz IV-System umbenennen in Bürgergeld, sagt aber gleich "an Mitwirkungspflichten halten wir fest". Somit soll das Sanktionsregime weiter aufrecht erhalten werden. Ändern wird sich daher nicht viel, außer dass das neue System einen neoliberalen neuen Namen bekommt.
Harald Thomé, Tacheles
Selbst die Minireformen beim Sanktionsregime rufen aber wirtschaftsliberale Politiker auf den Plan, die ich alarmistisch wie die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke äußern. "Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was Sie mit unserem Sozialstaat machen", lamentierte die Konservative und zeichnete ein Bild von Erwerbslosen, die ohne Sanktionen die Gesellschaft zerstören würden.
Was fehlt, ist eine wahrnehmbare Stimme der Hartz IV-Betroffenen, die die vollständige Abschaffung der Sanktionen einfordern und auch dafür auf die Straße gehen.