"Einige im Westen wollen Taiwan zur nächsten Ukraine machen"
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Das Elend des Westens im Umgang mit China, über die chinesische Corona-Strategie, Werte-Ramboisierung und neue Konkurrenzverhältnisse – Interview mit dem Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner.
In seinem Buch "China und der Westen" schildert Wolfram Elsner den Aufstieg Chinas und den Abstieg des Westens, seiner Beobachtung nach flankiert durch eine verzerrte mediale Berichterstattung. Telepolis sprach mit dem Autor.
Herr Elsner, mir scheint, als ob es China in der deutschen Öffentlichkeit nicht gerade leicht hätte: So wurde beispielsweise während der rigiden Corona-Politik der chinesischen Regierung erst einmal diese als skrupellose Diktatur und jeder Gegen-Demonstrant als Freiheitsheld dargestellt.Nun, nachdem die Regierung ihren Kurs geändert und ihre Null-Covid-Politik aufgegeben hat, bekommt man zu hören, die Chinesen würden Tausende von Toten einkalkulieren und die Krankenhäuser, bzw. die Krematorien wären überfüllt. Können Sie uns das erklären?
Wolfram Elsner: Weltweit sind sich Virologen einig: Hätten Anfang 2020 auch nur für drei Wochen lang alle Länder Null Covid praktiziert, mit Testen, Diffusionsverfolgung und Lockdowns, wäre Corona seit 2020 Geschichte gewesen. Dazu aber war der Westen weder staatlich-organisatorisch in der Lage noch politisch-ideologisch bereit.
Zwar hat man mehr oder weniger das Konzern-Businessmodell des mRNA-Impfens gepusht, ansonsten jedoch gesundheitspolitisch früher oder später resigniert und mehr oder weniger kapituliert.
Das beschönigende Narrativ dazu heißt: "Leben mit Corona". Dabei sterben im Westen immer noch jeden Tag viele an Corona und erkranken an Long Covid, beides eher tabuisiert: In den USA z.B. sind 23 Millionen Menschen an Long-Covid erkrankt, an die fünf Millionen davon dauerhaft arbeitsunfähig. Kein Pappenstiel!
"Der westliche Medien- und Politik-Mainstream ist vor allem ideologisch motiviert"
Und in China?
Wolfram Elsner: Dort hat man hingegen mit Null-Covid geschätzte fünf Millionen Corona-Tote und Millionen Long-Covid-Erkrankte verhindert. Und international bekannte Virolog:innen wie Eric Feigl-Ding, Devi Sridhar oder auch Christian Drosten sagen, China war mit Null-Covid sehr erfolgreich.
Die Datenkurven lassen daran keinen Zweifel. Aber Null-Covid (Null Tote) lässt sich eben auf Dauer nicht in einem Land allein durchhalten. Zumal Sars-CoV-2 mit den neueren Omikron-Varianten seit Ende 2021 zu einem sehr infektiösen Virus mutiert ist.
Nun hat der Westen, trotz eigenem gesundheitspolitischen Durcheinander, China einerseits wegen Null-Covid immer "gebasht", aber nun, wo man China anscheinend dort hat, wo man es immer haben wollte, nämlich auf einem Weg der Annäherung der Infektionssituation an den Westen, ist es auch wieder nicht recht.
Jetzt wird die Beendigung von Null-Covid kritisiert, wird über Millionen Tote spekuliert und werden Einreisebeschränkungen für Chines:innen gefordert – Reisebeschränkungen, die China soeben beseitigt hat. Das zeigt, dass der westliche Medien- und Politik-Mainstream weiterhin vor allem ideologisch und nicht sachlich motiviert ist: Hauptsache "bashen" und die Welt weiter spalten.
Dabei liegt die Logik in Chinas Beendigung von Null-Covid ja darin, dass die dominierenden Omikron-Varianten (in China v.a. BF.7) deutlich weniger pathogen und letal geworden sind. Im Moment reagiert die Statistik der Coronatoten für China noch nicht und schwere Verläufe bleiben selten.
Wenn alles gut geht, wird China in den nächsten wenigen Monaten also die gesamte Bevölkerung "durchseucht" haben, wie im Westen. Ein Paradies übrigens für das Virus, das dort – eben wegen Null-Covid und wegen z.T. noch relativ geringem (und konventionellem) Impfschutz – auf Hunderte Millionen Menschen mit noch geringer Immunisierung trifft.
Die Kalkulation Chinas dabei: Gerade weil Omikron es nun so leicht hat, hat es kein "Motiv", "Immunflucht" zu begehen und gefährlichere Mutationen zu entwickeln.
"Ich sehe keinen Grund für die Schnelligkeit der Wende"
Also halten Sie die aktuellen Maßnahmen für richtig?
Wolfram Elsner: Ich halte den Zehn-Punkte-Plan von Anfang Dezember dennoch für um zwei bis drei Monate verfrüht. Da man immer extreme Rücksicht auf die konservativen und ängstlichen Älteren genommen hat (von wegen Diktatur), haben wir bei den Über-80-Jährigen eine Impfquote von noch unter 50 Prozent (Über-60-Jährige: gut 70 Prozent).
Die Impfkampagne läuft zwar und könnte in zwei bis drei Monaten alle auf 90 Prozent, besser noch 95 Prozent, bringen. Aber parallel dazu darf sich das Virus schon mal austoben, insbesondere in der chinesischen Reisewelle zum jetzt anstehenden Neujahrsfest (Jahr des Hasen, Beginn 22. Januar).
Und ob es tatsächlich keine gravierend tödlicheren Mutationen geben wird und ob Long-Covid wirklich keine Rolle spielen wird, können wir eben noch nicht mit Sicherheit sagen, da niemand die exakte "Variantensuppe" und damit die konkreten Evolutionsbedingungen kennt. Also, eine nicht risikofeie Strategie. Erst hätte wohl besser das Impfen kommen müssen.
Den ganzen Druck von außen hat man ja bisher ohne Weiteres ausgehalten, die hohen ökonomischen und sozialen Kosten auch. Und neben den Demonstranten für weniger rigide Lockdowns hat es genauso viele Stimmen aus Städten und Provinzen gegeben, gerade jetzt nichts zu überstürzen.
Man hätte es also ohne Weiteres noch zwei bis drei Monate ausgehalten, vor allem wenn man einen Stufenplan verabschiedet hätte und ein Ende möglicher Lockdowns vom Fortschritt der (Impf-)Immunität abhängig gemacht hätte.
Eine Frage von einigen Wochen. Ich sehe also keinen Grund für die Schnelligkeit der Wende. Jeden Opportunismus gegenüber dem Westen kann man aber bei der chinesischen Regierung getrost ausschließen.
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