Einmal Erdachse kippen – zum Beispiel mit Kartoffeln
Neue Studie: Die ungehemmte Nutzung des Grundwassers verändert die Rotation der Erde. Nicht der einzige Einfluss auf die Jahreszeiten. Auch der Klimawandel trägt zu einer Verschiebung bei.
Ein Beispiel sind Kartoffeln im Bio-Supermarkt: Aktuell kommen die vermehrt aus Israel oder dem Wüstenstaat Ägypten. Es ist "Frühkartoffelzeit", einheimische Anbieter können noch keine Speisekartoffeln liefern, hierzulande steht die Reife noch aus. Frühkartoffeln werden in Deutschland bis in den Mai gepflanzt.
Mindestens 120 Tage Wachstumszeit sind notwendig, bevor einheimische Kartoffeln auf den Markt kommen – die dann aber zunächst teurer sind als die ausländische Konkurrenz, beispielsweise aus Israel oder Ägypten.
Für Frühkartoffeln haben sich diese beiden Staaten deshalb zu einem der Hauptlieferanten auf dem deutschen Markt entwickelt. Man kann das sogar aus dem Flugzeug sehen: Um die Sahara oder die Wüste Negev fruchtbar zu machen, wurden riesige Berieselungsanlagen aufgebaut, die sich im Kreis drehen und so die Wüste ergrünen lassen.
Kartoffeln aus der Wüste? Wieder so ein Projekt, das nur funktioniert, weil der Mensch kurzfristig grünes Kapital veruntreut. Nach Angaben von Öko-Test verbrauchen die ägyptischen Anbauer im Schnitt 407 Liter Wasser pro Kilogramm Kartoffeln.
Die Sahara ist aber eine der trockensten Regionen dieser Welt. Im Arabischen wird sie als baḥr bilā māʾ bezeichnet, als "Meer ohne Wasser". Ägyptische Frühkartoffeln gibt es in unserem Supermarkt nur, weil für die Bewässerung auch Jahrtausende altes Grundwasser eingesetzt wird, das tief unter der Erde im Wüstenboden lagert und mit moderner Pumptechnik gefördert wird, so wie andernorts Erdgas oder Erdöl.
Kartoffeln auf deutschen Äckern kommen in der Regel dagegen ganz ohne Bewässerung aus: Weil äqyptische Bauern aber billiger produzieren – sie verdienen weniger – werden die Erdäpfel aus der Sahara bei uns derzeit stark nachgefragt – das Land ist mittlerweile Deutschlands drittgrößter Kartoffelexporteur.
Damit "fließt" Wasser, das in Ägypten knapp ist, quasi direkt nach Deutschland, wo die Bauern auf ihren Kartoffeln sitzen bleiben: Heimische Frühkartoffeln kommen erst in den kommenden Wochen auf den Markt und die aus dem vergangenen Herbst sehen längst nicht mehr so frisch aus, wie die neuen Wüstenkartoffeln.
Pro Jahr dreifaches Bodensee-Volumen Grundwasser abgepumpt
Kartoffeln aus der israelischen Negev, Tomaten aus Andalusien, Blaubeeren aus Chile, Oliven aus Marokko, Baumwolle aus Usbekistan – es gibt viele Beispiele für Landwirtschaft, die nur funktioniert, weil sie kostenloses öffentliches Grundwasser anzapft. Auch die Industrie ist enorm durstig, Modellrechnungen zufolge wurden 2.150 Gigatonnen Grundwasser von 1993 bis 2010 abgepumpt – pro Jahr etwa das dreifache Volumen des Bodensees.
Und weil diese ungehemmte Form der Grundwasser-Nutzung auf die Erde nicht ohne Folgen bleiben kann, haben Wissenschaftler der Seoul National University in Südkorea sich ins Zeug gelegt und die Auswirkungen untersucht.
Und zwar im Hinblick auf die Masseverteilung des Planeten: Nord- und Südpol haben keine starre Position, weshalb auch die Erdachse ständig in Bewegung ist. Wasser mit seinem Gewicht hat in der Masseverteilung der Erde auf diese Bewegung einen starken Einfluss, die "Umverteilung" von Grundwasser beeinflusst damit die Polwanderung sehr stark, wie die südkoreanische Studie ergab.
Das ist natürlich naheliegend: Wer an einen Kreisel einen Kaugummi klebt, wird erleben, dass dieser seine Laufbahn verändert. Genauso kreist der Kreisel anders, wenn man seinem Körper die Masse eines Kaugummis entzieht.
Etwa zehn Zentimeter pro Jahr
Es geht um die Frage, wie die Erde kreist: Gegenüber der Umlaufbahn um die Sonne ist die Erdachse um 23,4 Grad geneigt. Weil dadurch die Sonnenstrahlen im Laufe eines Jahres mit unterschiedlichen Winkeln auf die Erdoberfläche einfallen, entstehen die Jahreszeiten. Die Achse, um die die Erde rotiert, verändert im Lauf der Zeit ihre Lage – um etwa zehn Zentimeter pro Jahr Richtung Südwesten. Doch in den 1990er-Jahren änderte sich das plötzlich, die Driftbewegung verschob sich nach Osten.
Eine Ursache scheint jetzt gefunden. Als würde man einem Kreisel ein kleines Stück Gewicht hinzufügen: Wird Wasser von seinem ursprünglichen Platz bewegt, dreht sich die Erde ein wenig anders um ihre Achse. "Unsere Studie zeigt, dass die Umverteilung des Grundwassers tatsächlich den größten Einfluss auf die Rotationspoldrift hat", erklärt Ki-Weon Seo, Geophysiker an der Seoul National University, der die Studie leitete. Demnach hat sich zwischen 1993 und 2010 der Nordpol alleine durch die Grundwasser-Umverteilung um etwa 80 Zentimeter verschoben - pro Jahr um 4,36 Zentimeter.
Dass die Verteilung des Wassers auf dem Planeten dessen Massenverteilung beeinflusst, ist bereits durch andere Studien nachgewiesen. Die Chinesische Akademie der Wissenschaften legte 2021 eine Studie vor, nach der die schmelzenden Gletscher, besonders auf Grönland, den allgemeine Drift der Achse verändern.
Damit bestätigten sie eine Arbeit der NASA aus dem Jahr 2018, nach der der Achsendrift auf den Klimawandel reagiert: In den letzten 100 Jahren verwandelte die Erderhitzung 7.500 Gigatonnen Eis aus Grönlands Gletschern in Schmelzwasser und verteilte es so in den Weltmeeren, was die Masseverteilung änderte.
Was ein anderer Drift der Erdachse auslöst, ist noch nicht erforscht. Zuständig ist dieser Drift immerhin für Beginn und Ende der Jahreszeiten auf der Nord- und Südhalbkugel, eine Änderung wird also nicht folgenlos bleiben. Klären konnte die nun vorgelegte Studie immerhin, was die massive Grundwassernutzung bedeutet: Weil es aus dem Boden ins Meer gelangte, sind die weltweiten Pegel der Ozeane um 6,24 Millimeter gestiegen.
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