Einschüchterung gehört zur politischen Kultur

Ein amerikanisches Berufungsgericht hebt ein Urteil gegen militante Abtreibungsgegner und ihre Website auf

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Selbst die ACLU hatte in diesem Fall die gewohnte Rolle verlassen und gegen die Betreiber einer Website geklagt, die Namen, Adressen und Fotos von Ärzten und Klinikmitarbeitern veröffentlicht, die Abtreibungen vornehmen, sie als "Babyschlächter" anklagt und indirekt bedroht. Anfang Februar 1999 hatte das Bundesgericht in Portland, Oregon, mit einem einstimmigen Urteil die Betreiber der Anti-Abtreibungswebsite The Nuremberg Files zu Geldstrafen in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar verurteilt, da diese indirekt zur Tötung aufrufen. Beispielsweise gab es eine Liste der "Babyschlächter", auf der die toten Menschen durchgestrichen und die verwundeten in grauer Schrift aufgeführt wurden.

Der Provider hatte auf eigene Veranlassung die Website daraufhn zwar vom Netz genommen, aber die militanten Abtreibungsgegner fanden sofort wieder einen anderen Provider, der die Website ins Netz stellte (Die Nuremberg Files sind wieder im Netz). Die Kläger, darunter die Organisation Planned Parenthood, hatten die Entfernung der Website gefordert, das Gericht dies aber im Urteil nicht verlangt (Abtreibungsgegner verurteilt).

Die Angeklagten, 12 Personen und 2 Anti-Abtreibungsgruppen, hatten gegen das Urteil eingewandt, dass sie unter ihren Veröffentlichungen keine Formulierungen finden, die direkt zur Gewalt und zum Mord auffordern. Die Verteidigung stellte die Klage gegen die Betreiber der Nuremberg Files als einen Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung dar und kündigte an, in die Berufung zu gehen. Die Angeklagten hatten schon vor der Urteilsverkündung ihr persönliches Vermögen an andere Menschen übergeben, um die Strafen nicht bezahlen zu müssen.

Ein Berufungsgericht in San Francisco hob jetzt einstimmig das Urteil gegen die Betreiber der Website auf. Auch wenn auf der Website Namen, Adresse und Fotos von Ärzten, Suchplakate und Listen mit Opfern von Anschlägen veröffentlicht würden, könne man sie nicht verbieten und ihre Betreiber zu Geldstrafen verurteilen. Auch derartige Äußerungen seien von der Verfassung geschützt, selbst wenn sie einschüchtern und zu Angriffen anstiften können, sofern nicht explizit zur Gewaltausübung aufgerufen wird: "Politische Meinungsäußerungen dürfen nicht deswegen bestraft werden, weil sie es wahrscheinlicher werden lasen, dass jemand zu irgendeiner Zeit in der Zukunft von einem nicht damit verbundenen Dritten verletzt werden könnte", begründeten die drei Richter, die das Urteil einstimmig gefällt haben. Politische Aktivisten würden nun einmal Worte mit dem Versuch äußern, die Gegner ihrem Willen zu unterwerfen. Einschüchterung ohne direkte Androhung von Gewalt gehört also nach Ansicht des kalifornischen Berufungsgerichts zur politischen Kultur.

"Wenn die Angeklagten damit gedroht hätten, Gewalttaten alleine oder mit anderen zu begehen, dann könnten ihre Äußerungen das Verbot zutreffend unterstützen. Aber wenn ihre Äußerungen nur nicht mit ihnen verbundene Terroristen anstacheln, dann sind ihre Worte vom Ersten Verfassungszusatz geschützt."

Neal Horsley, Hauptbetreiber der Nuremberg Files, meinte, man wolle ja auch nur die Namen und Taten der für Abtreibungen Verantwortlichen auflisten, um Beweismaterial für die Zeit zu haben, wenn Abtreibung verboten wird, was man in Nati-Deutschland nicht gemacht habe. Und überhaupt meint der christlich gesinnte Streiter: "Ich bedroehe niemanden. Das darf nach dem Gesetz jeder Bürger machen."

Und weil jetzt nicht nur die Website weiter im Netz steht, sondern auch die Klage abgewiesen wurde, nimmt Horsley auch wieder seinen alten Plan auf. Er fordert dazu auf, an möglichst vielen Abtreibungskliniken Webcams zu installieren. Das "Live Web Cam Project" werde schnell alles interessanter machen. Man wolle im ganzen Land - und besser natürlich noch: auf der ganzen Welt - alle Menschen aufnehmen, die in Abtreibungskliniken hineingehen oder dort herauskommen, "so dass wir die Menschen katalogisieren können, die losziehen, um Gottes Babies zu töten." Allerdings hasst "Satan" ein solches Projekt, weil es doch die kontinuierliche Lieferung abgetriebener Kinder stört. Und das ist wahrscheinlich nicht nur Gottes Wille, sondern auch Ausdruck der geschützten politischen Kultur. Weil aber die USA keine wirklichen Datenschutzgesetze haben, werden solche Einschüchterungs-Projekte auch nicht zu verhindern sein.