El Viejo und La Vieja

Sardinen und Sardellen als globale Lebenszyklen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Fische sind nicht nur eine Freude für die Augen oder gesunde Kost, sondern eingebunden in komplexe Ökosysteme und abhängig von den klimatischen Verhältnissen. Was ist natürlich, was verursacht der Mensch? Diese Fragen dringen ins politische Bewusstsein vor, obwohl die Wissenschaftler häufig noch dabei sind, Ordnung in das komplizierte Gefüge zu bringen. F.P.Chavez vom Aquarium Research Institute in Kalifornien und Kollegen aus Mexiko und Peru versuchen in Science (From Anchovies to Sardines and Back: Multidecadal Change in the Pacific Ocean) eine Bestandsaufnahme. "Für den Pazifischen Ozean gibt es ein Naturphänomen, nämlich El Viejo, die Zeit der Wärme, und La Vieja, die Periode der Kälte. Beide Epochen haben sich im vergangenen Jahrhundert alle 25 Jahre abgewechselt."

Immer wieder gibt es Zeiten, in denen die Passatwinde warmes Wasser in die äquatornahen indonesischen Gewässer treiben. Die anfängliche Senke vor der südamerikanischen Küste wird durch aufquellendes Wasser ersetzt, das zwar kalt, aber reich an Nährstoffen ist. Vom Plankton angezogen und gesättigt, entsteht eine reichhaltige Fauna, die tropische Fische wie die Sardinen verdrängt und statt dessen die Freunde des kalten Wassers, die Sardellen, anzieht. Die wiederum sind Futter für den Kormoran und andere fischfressende Vögel.

Die globalen Veränderungen über zwei Zyklen (Credit Science)

Die Beobachterkameras in den Satelliten und die zur Zeitlupe zusammengefassten Abläufe erwecken den Eindruck, dass für diesen Ablauf El Niño und seine Gegenspielerin, La Niña verantwortlich sind. Der Eindruck trügt, auch wenn Winde und Veränderungen der Wasseroberflächen inzwischen ungemein präzise gemessen werden können. Eine der großen Unbekannten ist der Luftaustausch mit Kohlendioxyd, eine andere die Bildung von Plankton. Hinzu kommen unterschiedliche Salzkonzentrationen, die - wie soeben von Robert H. Tyler und seinen Kollegen aus Potsdam in Science (Satellite Observations of Magnetic Fields Due to Ocean Tidal Flow) berichtet, den Geomagnetismus beeinflussen.

Zeitreihenanalysen, wie sie in den letzten Jahrzehnten entwickelt werden, versuchen Ökosysteme einzubinden, um auf Klimaveränderungen rückzuschließen. Das ist kein einfaches Unterfangen, weil der Lebensrhythmus von Tieren auf vielfältigen Verflechtungen beruht, die unterschiedlich synergistisch und antagonistisch einwirken. Viele Modelle folgen der Simulation von Räuber-Beute-Populationen und zeigen ein Auf und Ab mit zum Teil verblüffenden Einsichten. Dazu passt besonders gut, dass Kormorane und ihrer Vorliebe für Jungfische den Niedergang der peruanischen Fischerei bereits vorweg genommen haben. In der Zeit des Überflusses kann ein Pärchen genügend Fische zusammentragen, um zwei Junge aufzuziehen. Mit dem Aussterben der Sardellen und damit den Übergang zu El Viejo, die Zeit der Wärme, nimmt die Population der Vögel ab, weil die Elterntiere nicht mehr ausreichend Nahrung finden.

Die Wechselwirkungen, obwohl gleichsinnig, laufen in den Anrainerstaaten zeitversetzt ab (Credit Science)

Nicht alles ist Menschenwerk. Das An- und Abschwellen der Fischschwärme ist in Wirklichkeit ein uraltes Phänomen wie 2000 Jahre alte Ablagerungen vor der kalifornischen Küste beweisen. Ähnlich den Jahresringen der Bäume verraten die zu Stein gewordenen Schuppen der Sardinen, dass sich warme und kalte Perioden regelmäßig abwechseln. Die für die Wissenschaftler notwendigen physikalischen Meßdaten gibt es allerdings erst seit 100-140 Jahren. Danach bestehen zweifelsfrei kühle Perioden von 1900 bis 1925 sowie von 1950 bis 1975, und warme Epochen dazwischen und danach. "Stehen wir vor einem neuen Wechsel?" fragen die Forscher und geben auch gleich die Antwort. Die Satellitenmessstationen registrieren seit 1997 die Aushöhlung der Meeresoberfläche vor der amerikanischen Küste und ebenso den beträchtlichen Anstieg der Chlorophyllmengen. Vor Oregon und Washington werden seit drei Jahren die Lachse selten. Zugleich geht der Bestand an Sardinen vor Kalifornien und im Japanischen Meer rasch zurück, während Sardellen als "Beifische", weil unerwünscht mitgefangen, immer häufiger in den Netzen werden.

"Die Anfänge natürlicher Oszillationen können nur schwer festgemacht werden, weil die Zeitreihenkurve physikalische Größen und biologische Marker nebeneinander betrachtet," erklärt F.P.Chavez. "Im Nachhinein den Wechsel nachzuweisen, ist einfach, sobald der Trend erkannt ist. Sehr viel schwieriger ist es, die Ursachen aufzudecken oder Veränderungen festzumachen, die durch das Überfischen oder die globale Erwärmung entstehen." Da die Auswirkungen gleichsinnig zu El Niño und La Niña sind, schlagen die Wissenschaftler El Viejo (der alte Mann) für die (warme) Epoche der Sardinen und La Vieja (die alte Frau) für die (kalte) Epoche der Sardellen vor.

Für die Ansicht der Forscher gibt es bemerkenswerte Zeitzeugen. John Steinbeck, Literaturnobelpreisträger von 1962, hat in seiner Novelle "Die Straße der Ölsardinen" (Cannery Row, Erstausgabe 1945) die Epoche beschrieben, in der die Sardinenfischerei vor der kalifornischen Küste bereits dem Niedergang geweiht war. Er konnte nicht ahnen, dass damit die Zeit der Sardellenfischerei beginnen würde, die Peru zum Zentrum der Fischmehlproduktion machte und Hamburg zum größten Importhafen für das als Kraftfutter vermarktete Produkt. In den 70er Jahren ratlose Enttäuschung und bittere Verarmung an der peruanischen Küste, weil die Fischerei innerhalb weniger Jahre vollständig zusammenbricht. Die gnadenlose Überfischung ist ein Grund. El Niño kommt als Totengräber hinzu. El Niño, "das Christkind", beginnt mit der Klimaveränderung um die Weihnachtszeit. Obwohl ein Jahresereignis, werden die Auswirkungen alle 3-7 Jahre besonders intensiv. Dennoch, so die Erkenntnis der Forscher, sind El Niño und La Niña eingebettet in den übergreifenden globalen 25-Jahre-Zyklus, so wie die aufsteigenden und immer mächtigeren Wellen zur Flut gehören, und der Sog und das flache Gekräusel zur Ebbe.

Was da im fernen Pazifik abläuft, lässt uns Europäer nicht kalt. Generationen von Fischern in Ost- und Nordsee sind den Heringsschwärmen nachgezogen und, in der Tradition ihrer Väter wussten sie, dass auf die dürren auch wieder fette Jahre folgen, weil die Heringe zurückkehren werden.