Elefanten und Löwen im wilden, wilden Westen
Artenschützer wollen in einem Ökologischen Geschichtspark die Artenvielfalt des Pleistozäns wieder auferstehen lassen
Nordamerika hat die meisten seiner großen Wirbeltiere, die so genannte Megafauna, gegen Ende des Pleistozäns, verloren. Die Wissenschaft findet immer mehr Belege dafür, dass der Mensch dazu sein Scherflein beigetragen hat (vgl. Der Jäger ist des Faultiers Tod, Massenschlachten im Pleistozän). Große Tiere brauchen Raum, und den macht ihnen der Mensch rund um den Globus streitig. Jetzt haben nordamerikanische Wissenschaftler einen kühnen Plan entworfen: Sie wollen vom Aussterben bedrohte Großtiere, deren frühe Verwandte schon vor 13.000 Jahren in Nordamerika heimisch waren, dort wieder ansiedeln. Damit soll nicht nur deren Aussterben verhindert, sondern natürliche Evolutionsprozesse wieder in Gang gebracht werden.
„Pleistocene re-wilding“: Artenschutz supersize
Es gibt viele Ansätze, vom Aussterben bedroht Arten zu retten: Man kann Gänsen neue Flugrouten beibringen, Brutprogramme durchführen und Schutzräume einrichten. Josh Donlan vom Department of Ecology and Evolutionary Biology an der Cornell University in New York und ein Team von Biologen verschiedener Institute und Einrichtungen stellen in der aktuellen Ausgabe von Nature ein weitaus gewagteres Vorhaben vor, das zahlreiche weltweit bedrohte Großtiere womöglich auf einen Schlag retten könnte. Ihre Vision heißt „Pleistocene re-wilding“ und stellt einen proaktiven Ansatz von Artenschutz dar, mit dem nicht nur das Aussterben vermieden, sondern natürliche Prozesse aktiv wiederhergestellt werden.
Der Ort des Geschehens sollen die Plains im Mittleren Westen der USA sein, dort gibt es viel Raum und wenig Menschen, weil die Region wirtschaftlich ziemlich am Boden ist. Optimale Voraussetzungen also für das Projekt, das Donlan und Kollegen vorschlagen: In drei Phasen wollen sie große Wirbeltiere ansiedeln, die vom Aussterben bedroht sind. Bevorzugt Tierarten, deren Vorfahren vor vielen Tausend Jahren schon dort lebten, die dann aber gegen Ende des Pleistozäns ausstarben, als der Mensch einwanderte.
Den Anfang sollen z. B. diverse Pferde- und Eselarten und auch das Trampeltier (Camelus bactrianus) machen. Ihnen folgen Afrikanische Geparden (Acionyx jubatus) sowie Asiatische und Afrikanische Elefanten und Löwen, die in eingezäunten Schutzräumen allmählich an ihren neue Umgebung gewöhnt werden, bis in der dritten Phase schließlich einer oder auch mehrere „Ökologische Geschichtsparks“ geschaffen werden – umzäunt an der Peripherie, so wie dies bei afrikanischen Reservaten gehandhabt wird.
Ein Vorhaben, das viele Probleme löst
Mit dem Projekt glauben Donlan und Kollegen mehrere Probleme auf einmal zu lösen. Es könnte neue Perspektiven für die ansässigen Rancher schaffen, die von dem entstehenden Ökotourismus profitieren würden. Die Tiere würden in der Prairie Landschaftspflege betreiben und verhindern, dass sie allmählich verbuscht und zu Wald wird. Die angesiedelten Großtiere würden in die Fußstapfen ihrer Vorfahren treten: Der Afrikanische Löwe in die des ausgestorbenen amerikanischen Löwen (Panthera leo atrox), Elefanten in die der Rüsseltierarten (z. B. Mammuts, Gomphiterium und Mastodon), die dort einst ansässig waren. Es entstünde eine Artenvielfalt, ähnlich wie im Pleistozän. Es würden evolutionäre Prozesse angekurbelt, die der Mensch unterbrochen hat. Und er könnte auf diese Weise, so schreibt Donlan, seine „ethische Verantwortung“ dafür übernehmen.
Der Einwand, dass die potenziellen Neueinwohner genetisch nicht identisch mit den Urbewohnern sind, halten die Forscher für irrelevant. Das Wichtigste sei, dass die Tiere sich erfolgreich einbürgern lassen. Als gelungenes Beispiel verweisen sie auf den Wanderfalken (Falco peregrinus): Die heute in den USA heimischen Vögel sind das Resultat aus Unterarten von vier Kontinenten, die sich jetzt als „kollektive Art“ in weiterentwickeln.
Andere kritische Punkte sind die Übertragung von Krankheiten, die Tatsache, dass Lebensräume nicht über Jahrhunderte gleich bleiben und die ökologischen und sozialen Folgen der Wiederansiedelung nicht vollständig vorhersehbar sind. Diesen Risiken muss nach Meinung der Forscher vorab gründlich Rechnung getragen werden. Allerdings ist es heute schon so, dass sich allein auf texanischen Ranches 77.000 große Wirbeltiere, vor allem Huftiere aus Asien und Afrika, aber auch Geparden, Kamele und Känguruhs tummeln.
Die ganze Bandbreite der Evolution
Große Fleisch- und Pflanzenfresser spielen eine wichtige Rolle für den Erhalt der Biodiversität. Sie haben die Evolution vieler Arten, die wir heute kennen, entscheidend mitgestaltet. Ihr Aussterben verändert Ökosysteme und evolutionäre Prozesse; es schmälert die künftige evolutionäre Vielfalt des Lebens auf der Erde.
Donlan und Kollegen kritisieren, dass der gegenwärtig praktizierte Artenschutz das evolutionsgeschichtliche Potenzial bestimmter Arten nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Perspektive wollen sie mit den „Ökologischen Geschichtsparks“ stärker zum Tragen bringen. Ihren Vorschlag nennen die Wissenschaftler eine „optimistische Alternative“, eine Vision für den Artenschutz im 21. Jahrhundert. Sie wollen den wilden Westen wiederbeleben, so schnell, aber so überlegt wie möglich. Die erste Pilotstudie läuft bereits: Auf einer privaten Ranch in New Mexico machen sich die ersten Exemplare der Mexikanischen Gopherschildkröte (Gopherus flavomarginatus) mit ihrer neuen alten Heimat vertraut.l