Elftes Sanktionspaket gegen Russland – wird es diesmal Wirkung zeigen?
Das elfte Sanktionspaket gegen Russland wurde verabschiedet. Was ist das politische Ziel?
EU-Staaten einigen sich auf neue Maßnahmen. Erstmals werden Drittstaaten ins Visier genommen. Doch es gibt grundsätzliche Zweifel an Wirksamkeit von Sanktionen.
Die EU-Staaten haben sich am Mittwoch auf ein neues Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Es ist mittlerweile das elfte. Es umfasst Strafmaßnahmen gegen weitere Personen und Organisationen, soll aber auch mögliche Schlupflöcher im bisherigen Sanktionsregime schließen.
Erstmals werden auch Länder ins Visier genommen, die mit Russland Handel treiben. Künftig soll es möglich sein, ihnen den Verkauf ziviler Güter und Technologien zu untersagen, die auch militärisch genutzt werden können. Damit soll verhindert werden, dass diese auf indirektem Wege nach Russland gelangen.
Die Namen der betroffenen Länder können künftig in die EU-Sanktionsverordnung aufgenommen werden, wenn alle 27 EU-Mitglieder dies einstimmig beschließen. Im Blick haben die EU-Beamten Nachbarländer Russlands wie Armenien, Kasachstan oder Kirgisistan. Aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei oder China.
Mehrere EU-Staaten hatten im Vorfeld Bedenken gegen den Mechanismus geäußert. Auch die Bundesregierung befürchtete, dass die diplomatischen Beziehungen zu Drittstaaten beeinträchtigt werden oder diese gar in die Nähe des Kremls rücken könnten.
Können Sanktionen einen Politikwechsel bewirken?
Wohl auch deshalb wurde er nur in abgeschwächter Form verabschiedet. Er sei so abgeschwächt worden, dass es "fast unmöglich werden könnte, ihn zu aktivieren", berichtete euractiv.de unter Berufung auf EU-Diplomaten.
Vor diesem Hintergrund werfen die EU-Sanktionen Fragen auf. Elf Sanktionspakete – allein diese Zahl zeigt, dass die Maßnahmen bislang kein Umdenken im Kreml bewirkt haben. Was also wollen die Verantwortlichen in Brüssel erreichen?
Zudem ist die Wirkung von Sanktionen inzwischen gründlich erforscht. Sie können nachweislich wirtschaftlichen Schaden anrichten, unter dem Menschen leiden. Dass sie aber grundlegende politische Veränderungen bewirken können, dafür fehlen bislang die Belege.
Ökonomischer Schaden durch Sanktionen
Einen Beitrag zum Verständnis von Sanktionen haben Wissenschaftler der Universität Hamburg geleistet. In einer Studie, die 2021 veröffentlicht wurde, haben sie die Auswirkungen von Strafmaßnahmen untersucht.
Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es mehr als 1.400 Fälle, in denen Sanktionen angedroht oder verhängt wurden. Darunter waren Maßnahmen, die sich gegen die Wirtschaft, das Finanzsystem oder das Militär richteten. Auch andere Sanktionen wie Reisebeschränkungen waren darunter.
Bekannte Sanktionsziele waren etwa der Iran, Kuba, Libyen, Südafrika oder Nordkorea. Aber auch die Vereinigten Staaten und die Mitglieder der Europäischen Union haben sich bereits gegenseitig sanktioniert.
Die Forscher stellten einen wirtschaftlichen Schaden in den sanktionierten Ländern fest. Die Wirtschaftsleistung sank im Durchschnitt um 2,8 Prozent gegenüber dem zuvor erwarteten Wert. Zudem sanken Konsum und Investitionen, der Außenhandel schrumpfte und ausländische Direktinvestitionen gingen zurück.
Militärausgaben steigen
Sanktionen wirken, folgert Studienautor Jerg Gutmann, Professor an der Universität Hamburg. Mit einer Einschränkung: "Lang andauernde Sanktionen bieten nach unseren Erkenntnissen keine messbaren Anreize mehr, um politische Zugeständnisse zu erzwingen".
Gleichzeitig zeigten die Wissenschaftler, dass Sanktionen keine Abrüstung erzwingen können. Im Gegenteil: Die Militärausgaben stiegen sogar an.
Dabei handelt es sich nicht um einen rein statistischen Effekt, der darauf beruht, dass der gesamte Staatshaushalt schrumpft, während das Militärbudget konstant bleibt. Gutmann betont, dass es primär in sanktionierten Demokratien zu einer Umverteilung staatlicher Ressourcen zugunsten des Militärs kommt.
Die negativen Folgen bekommt die Zivilgesellschaft zu spüren: steigende Armut, wachsende Einkommensunterschiede und sinkende Lebenserwartung, vorrangig bei Frauen.
Können Sanktionen Russland zum Umdenken zwingen
Forscher des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) haben die Auswirkungen der EU-Sanktionen auf Russland untersucht. Erfahrungen gibt es seit 2014, als Russland die Halbinsel Krim nach einem umstrittenen Referendum annektierte.
Die Europäische Union verhängte daraufhin Sanktionen, die zu erheblichen Handels- und Wohlstandsverlusten in Russland führten. Dennoch entzogen die Menschen ihrer Regierung nicht das Vertrauen, sondern rückten enger zusammen. Beim IfW heißt es dazu:
In Reaktion darauf hielten mehr Menschen den Regierungskurs für richtig und machten offenkundig den Westen und nicht die eigene Regierung für die Wohlstandsverluste verantwortlich.
Das zeigte sich laut IfW-Studie zum Beispiel bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2016 und 2018. Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Partei konnten ihren Stimmenanteil steigern – im Schnitt um dreizehn Prozent.
Weiter heißt es beim IfW:
Unsere Forschung zeigt: Auch wenn Sanktionen den gewünschten ökonomischen Effekt erzielen, können sie den politischen Zielen mutmaßlich zuwiderlaufen und ein Regime stärken, anstatt es zu schwächen.
Sanktionen können sogar auf ihre Urheber zurückfallen, wie eine weitere IfW-Studie zeigt. Sie verursachen auch Kosten für die sanktionierende Seite. Politisch äußert sich das darin, dass prorussische Positionen mehr Zuspruch erhalten und extreme Kandidaten bei Wahlen mehr Stimmen bekommen.