Elon Musks geheime Vorbilder: Die Technokraten-Bewegung
Basis und Überbau der technokratischen Weltanschauung. Wer entscheidet über unsere Zukunft, wenn Ingenieure zu Herrschern werden?
Die erste Verwendung des Begriffs "technocracy" als Bezeichnung einer neuen Gesellschaftsform wird dem kalifornischen Ingenieur William Henry Smyth zugeschrieben. In seinem Werk "Technocracy: First and Second Series" (1919) versammelt Smyth verschiedene Essays zu seiner Vision.
Kriegswirtschaft als Vorbild
Sie trägt das Brandmal des Ersten Weltkriegs. Allerdings anders, als man zunächst meinen könnte: Durch die Bedrohung ihrer Existenz seien die USA in einen Moment der temporären Geistesgegenwart ("sanity") gezwungen worden.
Die streng koordinierte Kriegswirtschaft, schreibt Smyth, habe die "Ahnung von einer idealen sozialen Verwaltung ("management")" gegeben. Einer Verwaltung jenseits der zwar effizienten, aber unfreien Autokratie und der zwar freien, aber ineffizienten Demokratie.
Zwei Forderungen erwachsen aus Smyths Zeitdiagnose: Die Formulierung einer "nationalen Zielrichtung" einerseits und die Bildung eines "obersten Rats der Wissenschaft" andererseits, der allen anderen Institutionen übergeordnet ist und die Gesellschaft anleiten soll, wie das Leben optimal zu führen ist und wie das nationale Ziel zusammen mit individuellen Zielen effizient erreicht werden kann.
Smyths Weltanschauung weist deutliche Parallelen zu den historischen Strömungen auf, die in Teil 2 dieser Artikelserie angesprochen wurden.
Dieser zufolge hat der "mechanistische Industrialismus" die modernen Vorstellungen von menschlicher Freiheit und Autonomie erst erzeugt. Die religiöse Vorstellung von einem allmächtigen Gott sei mit diesen Vorstellungen grundsätzlich unvereinbar.
Wenn es einen Gott gibt, der über unser Wohl und Wehe bestimmt, kann es keine Freiheit geben, meint der Ingenieur.
Im Zeitalter der Maschine habe sich die Technik dagegen als Teil des eigentlichen transzendentalen Prinzips offenbart, das auch in der "kreativen Evolution" der Natur am Werke sei. Eine Kraft jenseits der (religiös-)moralischen Kategorien von gut und böse, welche – das sieht er klar – "in kriminellen Händen genauso gut funktioniert wie in denen eines Heiligen".
Kapitalismuskritik mit marxistischem Einschlag
Als das kriminelle Element des demokratischen Gesellschaftssystems macht Smyth den Kapitalismus aus. Dieser habe es zu verschulden, dass die Masse der Menschheit nicht die Früchte des Fortschritts kosten könne, welche die zunehmende Effizienz der Maschinen verspreche. Vielmehr habe er diese versprochene Freiheit eingeschränkt.
Smyths Abgesang auf die "Institutionen des sozialen Unfriedens", die den menschlichen Fortschritt unter den Vorbehalt der privaten Bereicherung stellten, offenbart eine unübersehbare Nähe zur marxistischen Ideenlehre.
So etwa in der Kritik der "Hunger-Sklaverei-Idee von Arbeitgeber und Arbeitnehmer", den "Bräuchen, die auf (dem) Trugschluss beruhen, dass 'Geld' die Funktionen der Lebensenergie oder der 'repräsentierten' Produkte übernehmen kann". Schließlich paraphrasiert er die marxistische Kernforderung, dass anstelle von Eigentum, das auf Besitznahme gründe, "natürliches Eigentum auf Basis der schaffenden Kraft" treten solle.
Howard Scott, die mysteriöse Ursprungsfigur der Technokratie-Bewegung, die Smyths Weltanschauung teilt, wird 1963 sagen: "Was die Ideen der Technokratie betrifft, stehen wir so weit links, dass wir den Kommunismus bourgeois aussehen lassen."
Regierungseffizienz als Maxime
Eine "wirkliche Zivilisation", schreibt Smyth, habe sich dagegen an den menschlichen Bedürfnissen und Wünschen auszurichten. Der Name dieser neuen Zivilisation lautet – Technokratie:
Wenn (…) organisierte Wissenschaft, Technologie und spezialisierte Fähigkeiten (…) in einem nationalen industriellen Management koordiniert werden, dann wird die wahre Zivilisation beginnen, das Zeitalter der sozialen Vernunft, die Technokratie.
Smyth: Technocracy Part III: Ways and Means To Gain Industrial Democracy
Seine Überzeugung teilt Smyth auch mit der sogenannten Social-Credit-Bewegung, die ebenfalls in Reaktion auf die Great Depression die Abkehr von einem irrationalen Finanzsystem zugunsten einer Gebrauchswert-fokussierten Währung forderte. In Kanada schafft es die teilweise als antisemitisch geltende Social-Credit-Bewegung in den Rang einer politischen Partei, gewinnt sogar 1935 überraschend die Wahlen in der Provinz Alberta.
Ein prominenter Anhänger wird 1944 der Großvater von Elon Musk, Joshua N. Haldeman.
Es ist nicht die einzige Parallele zum SpaceX- und Starlink-Chef. Denn das Kernelement von Smyths Traktat ist die Kritik an der Ineffizienz der Regierungsführung. Smyth zufolge würden die bestehenden Verwaltungs- und Organisationssysteme "einen gefährlich großen Teil unserer Energie" mit "ständigem Nachjustieren verschwenden", statt sich systematisch gegen Krisen und Veränderungen zu wappnen.
Für die Aufgabe, den "Gott des Zufalls" aus der gesellschaftlichen Organisation zu verbannen, sieht Smyth den "praktischen Ingenieur" als prädestiniert an. Der Maschinenbauer verkörpert für ihn das Prinzip der Überwindung natürlicher Grenzen, welches die Menschheit unvergleichlich bereichert hat. Er soll die neue Rolle des "sozialen Konstrukteurs" übernehmen.
Vordenker der Technokraten: Thorstein Veblen
William Henry Smyth hat zwar den Namen geprägt, die Ursprünge der Technokratie-Bewegung sind aber nicht bei ihm zu suchen. Einer der größten Einflüsse auf die Bewegung war Edward Bellamys utopischer Roman Looking Backward (1888).
Darin schildert der Autor eine utopische Gesellschaft im Jahr 2000, in welcher der Protagonist Julian West nach einem langen Schlaf aus dem Jahr 1887 in einer Gesellschaft wiederfindet, deren gesamte Industrieproduktion sich in (kollektivem) staatlichem Besitz befindet und von einer elitären Gruppe zentral verwaltet wird, die auf eine effiziente Ressourcennutzung spezialisiert ist.
Ein allgemeines Grundeinkommen, verteilt über personalisierte "Kreditkarten", garantiert eine gemeinschaftliche Teilhabe an den Errungenschaften des technologischen Fortschritts und reduziert die menschliche Arbeit auf das Notwendigste zum Erhalt des Gemeinwohls.
Neben dieser literarischen Inspiration liefert ein anderer Zeitgenosse den theoretischen Überbau der technokratischen Utopie, der norwegischstämmige US-Ökonom Thorstein Veblen. Veblens Theorie basiert auf der Dichotomie zwischen Technologie und gesellschaftlichen Institutionen (historischen, kulturellen oder soziopolitischen), die beeinflussen, wie Technologien eingesetzt werden. Seine Kritik an diesen breitet Veblen in "The Engineers and the Price System" (1921) aus.
Smyth übernimmt die wesentlichen Punkte: dass das kapitalistische (Preis-)System "eine Vorenthaltung ("withholding") von Effizienz" bedeutet. Und dass ein oberster Rat von Technologen an seine Stelle treten soll, ein "soviet (sic) of Technicians", wie es bei Veblen heißt.
Während des Ersten Weltkriegs hatte Thorstein Veblen unter Präsident Woodrow Wilson als Wirtschaftsberater für eine festzulegende Nachkriegsordnung gearbeitet und war Administrator bei der U.S. Food Administration. 1918 gründet er in New York City die "New School for Social Research". Hier lernt Veblen Howard Scott kennen, die spätere Leitfigur von Technocracy Inc.
Ein Jahr später gründet Veblen gemeinsam mit dem mysteriösen Scott, der nach eigenem Bekunden auf eine Karriere als Ingenieur zurückblickt, die "Technical Alliance". Scott regt den Aufbau eines Forschungszentrums an, das eine landesweite quantitative Untersuchung ("survey") zur Verfügbarkeit von Ressourcen und ihrer technologischen Nutzbarkeit durchführen soll.
Dieser Ansatz soll unter Veblen und seinen Anhängern allerdings auf Ablehnung gestoßen sein, weil sie die Allianz eher als politische (Vorfeld-)Organisation denn als Forschungsinstitut begreifen. 1921 fordert der Exekutivausschuss den sofortigen Austritt Scotts. Die erhoffte politische Resonanz bleibt aus. Bis zum Ende des Jahrzehnts.
Denn mit der Großen Depression und der anschließenden "New Deal"-Politik des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt erlebt das technokratische Denken seine Renaissance. Wieder ist es eine Krise, die den Blick für die revolutionäre Idee weitet.
Renaissance
Nach seinem Bruch mit dem Veblen-Kreis gründet der zwischenzeitlich von der Bildfläche verschwundene Scott 1932 an der Columbia University das "Committee on Technocracy", gemeinsam mit Marion King Hubbert und Walter Rautenstrauch.
Hubbert ist ein angesehener Geologe und Experte für Energiefragen, Rautenstrauch Effizienzingenieur (sprich: Prozessoptimierer) und ein Anhänger der "New Machine" – einer Vereinigung, die der von Veblen beeinflusste Ingenieur Henry Gantt gründete, um das industrielle Effizienzdenken in die Politik zu verpflanzen.
Mit Hubbert und Rautenstrauch will Scott unter dem Namen "Energy Survey for North America" an sein Herzensprojekt aus der Technical Alliance anknüpfen. Er ist überzeugt, dass die Menschheit dank des technischen Fortschritts einen Punkt erreicht hat, an dem maschinelle Arbeit menschliche Arbeit zunehmend obsolet macht. Die entscheidende Frage betrifft für ihn den verantwortungsvollen Umgang der Menschheit mit ihren Energieressourcen.
Mit ihrer Sorge vor den "Grenzen des Wachstums" eilen die Technokraten dem Club of Rome bzw. den Bedenken gegenüber den Folgen des Klimawandels weit voraus. Hubbert wird sich einige Zeit später, im Jahr 1956, einen Namen mit der Theorie des Ölfördermaximums ("peak oil") machen, das immer wieder angekündigt wurde, aber nie eingetreten ist.
Die Technokratie-Bewegung findet nun endlich ihre erhoffte Resonanz in der Öffentlichkeit. In der New York Times erscheinen in den drei Monaten von Dezember 1932 bis Februar 1933 mehr als 100 Artikel, die sich in irgendeiner Form mit der Technokratie-Bewegung befassten.
In den späten 1930er Jahren kippt diese Stimmung allerdings, und in Kanada wird die Bewegung 1940 verboten, weil sie durch ihre pazifistische Ausrichtung im Verdacht steht, die Kriegsanstrengungen zu unterminieren. 1943 wird dieses Verbot aber wieder aufgehoben, weil sich die Technokraten nun ausdrücklich zur Notwendigkeit der Mobilmachung bekennen.
Der Kult um Technocracy Inc.
In dieser turbulenten Zeit beginnt sich Walter Rautenstrauch zunehmend von dem Vorhaben mit Scott zurückzuziehen. Einmal, heißt es, weil ihm Scotts Ideen zu radikal erscheinen, zum anderen, weil plötzlich Presseberichte auftauchen, die Zweifel an Scotts Ingenieursvergangenheit wecken bzw. dafür keine Beweise finden können. Hubbert schreckt das jedoch nicht ab.
Gemeinsam mit Scott gründet der Geologe im März 1933 die berüchtigte politische Bewegung mit dem Namen Technocracy Incorporated. Der Bewegung wird ein pseudo-religiöser, sektenähnlicher Auftritt nachgesagt. Die Technokraten tragen graue Uniformen, die einige genauso an den Faschismus erinnern wie der institutionalisierte Gruß an den "Chief Engineer" Howard Scott.
Rückblickend haben andere vielleicht auch die Assoziation mit den grauen Herren aus Michael Endes Roman "Momo" (1973).
Manche Technokraten sollen sich selbst sogar mit Nummern-Buchstaben-Kombinationen identifiziert haben, weil sie der Überzeugung gewesen sein sollen, dass Namen nicht mehr zeitgemäß sind. Der New Yorker hat 2023 die Verbindung zu Elon Musks Sohn gezogen, der den Namen X Æ A-12trägt.
Technocracy Inc. entwickelt sogar ein eigenes Lexikon und Symbole, von denen das prominenteste als ihr Erkennungszeichen fungiert. Die sogenannte "Monade" orientiert sich grafisch am chinesischen Yin-Yang-Symbol.
Ursprünglich soll die Monade für den Einklang von Konsum und Produktion gestanden haben, heute reklamieren die Nachfahren von Technocracy Inc. bereits lange vor der Nachhaltigkeitsthematik den Einklang von Mensch und Natur verbildlicht zu haben. Der Chief Engineer selbst bot dagegen eine dritte Deutung an: "Die Monade (…) stellt die Grundzelle eines jeden Lebewesens dar."
Das Ende der Arbeit
In seinen öffentlichen Äußerungen – zusammengetragen in dem knapp 2.000(!)-seitigen Werk "The Words and Wisdom of Howard Scott" (1989) – übernimmt auch der Chief Engineer Veblens Kritik am kapitalistischen "Preissystem" als einer "Nonsens-Ordnung" sowie dessen Argument, dass die politische Methode zur sozialen Entscheidungsfindung den Möglichkeiten des Maschinenzeitalters nicht länger angemessen ist.
Scott gießt die schon von Bellamy skizzierte Idee eines universellen Grundeinkommens in die Gestalt der "energy certificates", die den Menschen individuell und unveräußerlich zugeteilt werden und so als "soziale Währung" (social credit, s.o.) dienen.
Beispielhaft für den, wie man ihn in unserer Zeit nennt: "Solutionismus" der Technokraten ist die von Scott immer wieder gerne erzählte Anekdote der Standplattformen der frühen Straßenbahnen, wo man das Problem der hohen Verletzungsgefahr nicht politisch, etwa durch einen Appell an die Eigenverantwortung gelöst habe, sondern technisch: indem man Straßenbahnen ohne Plattformen baute.
Zur Verwaltung der neuen Gesellschaft schlagen die Technokraten ähnlich wie in Bellamys Roman eine übernationale, zentrale Verwaltungseinheit vor. Dieses "Technate" soll zunächst den gesamten amerikanischen Kontinent von Panama bis zum Nordpol umspannen.
Geleitet werden soll die neue Verwaltungseinheit von einem Continental Director, dem ein Continental Board beigestellt ist, das sich wiederum aus Experten für die jeweiligen Politikbereiche (Militär, Außenpolitik, Sozialpolitik, Forschung) zusammensetzt.
Das wohl werbewirksamste Versprechen der Technokraten ist wohl die extreme Verkürzung der Lebensarbeits- und die Verlängerung der persönlichen Freizeit. Das Zeitalter der Technokratie wird dem "Nonsens, zu arbeiten, um leben zu können", Einhalt gebieten, prophezeite Scott. Stattdessen werde eine Zeit kommen, in der
die gesamte Lebensarbeit von jedem Mann zwischen 20 und 45 Jahren geleistet werden kann, der acht Monate im Jahr vier Stunden pro Tag, vier Tage pro Woche arbeitet.
The Words and Wisdom of Howard Scott
Es ist eine Diskussion, die in unseren Tagen der sogenannten Künstlichen Intelligenz und der verkürzten Arbeitswochen erneut entbrannt ist.
Im letzten Teil unserer Artikel-Serie wollen wir uns diesem und weiteren Beispielen widmen, wie das technokratische Denken uns noch heute begleitet.
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